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Bad Kissingen
Beim zweiten Mal war's besser
Die Wiener Symphoniker standen ohne Dirigent da. Warum es der Ersatzmann schwer hatte und die Laune am nächsten Abend gestiegen ist.
Generalmusikdirektor Patrick Hahn (rechts) ist für den Chef der Wiener Symphoniker, Andrés Orozco-Estrada, eingesprungen. So richtig fanden das Orchester und er nicht zusammen. Auch mit Sopranistin Lise Davidsen war unser Kritiker Thomas Ahnert ni...       -  Generalmusikdirektor Patrick Hahn (rechts) ist für den Chef der Wiener Symphoniker, Andrés Orozco-Estrada, eingesprungen. So richtig fanden das Orchester und er nicht zusammen. Auch mit Sopranistin Lise Davidsen war unser Kritiker Thomas Ahnert nicht so zufrieden.
Foto: Gerhild Ahnert | Generalmusikdirektor Patrick Hahn (rechts) ist für den Chef der Wiener Symphoniker, Andrés Orozco-Estrada, eingesprungen. So richtig fanden das Orchester und er nicht zusammen.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 10.09.2022 17:17 Uhr

Eigentlich war alles so schön geplant. Die Wiener Symphoniker sollten mit ihrem Chef zu zwei Konzerten in den Regentenbau kommen. Aber dann verschwand Andrés Orozco-Estrada eines Nachts auf Nimmerwiedersehen durchs Fenster. Das Warum ist eine andere Geschichte.

Aber jetzt war guter Rat teuer, musste ziemlich schnell ein Ersatzdirigent gefunden werden, und die, die Zeit und Interesse haben, wachsen nicht gerade auf den Bäumen. Einer ließ sich darauf ein: Patrick Hahn, seit September 2022 Generalmusikdirektor (GMD) in Wuppertal. Und erstaunlicherweise musste in den beiden Programmen nur ein Punkt geändert werden. Statt Carl Goldmarks Konzertouvertüre "Im Frühling" erklang Carl Maria von Webers "Freischütz"-Ouvertüre.

Eine gewisse Skepsis war angebracht

Der gebürtige Grazer Patrick Hahn (27) wird zurzeit herumgereicht als jüngster GMD in Deutschland. Das ist noch kein Qualitätshinweis, denn jüngste GMDs gab es schon vor ihm und wird es auch nach ihm geben. Sondern es weckte eine gewisse Skepsis. Und das nicht zu Unrecht. Denn schlagtechnisch und interpretatorisch hat er noch Luft nach oben. Das wurde sofort deutlich, beim prominentesten Ton, den ein Musikstück überhaupt haben kann: dem ersten. Anfänge und Auftakte zu dirigieren ist eine Kunst für sich, und bei der Freischütz-Ouvertüre war der erste Akkord alles andere als synchron (und später, bei Brahms 1. Sinfonie , schlug die Pauke ein Achtel zu früh los). Und dann begann die Musik zu schleppen, weil der junge Mann keinerlei gestalterische oder agogische Hinweise dirigierte, sondern ausschließlich einen nicht immer nachvollziehbaren Rhythmus und den einen oder anderen Einsatz. Dass auch die Hörner ihren ersten prominenten Ton versiebten überraschte dann nicht wirklich.

Man hätte eigentlich erwartet, dass Patrick Hahn die Finger von Richard Strauss ' "Vier letzten Liedern " lässt, denn er ist halt noch sehr jung. Das heißt nicht, dass man dem Tod näher sein sollte, um die Lieder zu dirigieren. Aber es fehlte ihm die Erfahrung, einen Musiktanker wie die Wiener in diesem Zwischenbereich von Realität und Traum und Todesvision zum Schweben zu bringen.

Und dann war er auch stark beschäftigt mit der Solistin, der Sopranistin Lise Davidsen, die zurzeit in Bayreuth gefeiert wird und für die diese Lieder offenbar neu (und offenbar wenig gemeinsam geprobt) waren. Sie hat schon eine tolle, kraftvolle, intonationssichere Stimme mit einer ganz erstaunlich substanziellen Tiefe. Aber körpersprachlich blieb sie stumm. Vor allem aber stand sie mit dem Text auf Kriegsfuß. Sie sang schon auch Wörter an den Stellen, an die sie Hesse und Eichendorff gesetzt hatten. Aber die großen Textlücken vertuschte sie mit wohlklingendem Genuschel. Vielleicht war's Norwegisch. Insgesamt schade, denn Hahn hatte die Lieder schon einmal dirigiert: bei seinem Antrittskonzert im September 2022 in Wuppertal. Aber da hatte er Marlis Petersen an seiner Seite.

Kraftvoll und farbig

Der Brahms konnte ein bisschen entschädigen, denn es war alles da (aber auch wieder einige Unkonzentriertheiten). Die Wiener hatten sich offenbar auf ihre Hausversion verständigt, kraftvoll und farbig, mit starken Kontrasten, manchmal etwas lärmig musiziert. Da hatte Patrick Hahn keine Chance - und er versuchte es auch gar nicht erst - die Festung zu knacken und der Interpretation Spuren einer eigenen Handschrift zu verpassen. Denn es gab, bei aller Freude über das Engagement des Orchesters, einige Stellen, an denen man etwas hätte raspeln und feilen können, ohne die kreativen Reibungen der Musik zu glätten.

Das zweite Konzert hinterließ einen erheblich besseren Eindruck. Das Orchester präsentierte sich wesentlich konzentrierter, besser vorbereitet, wienerisch gutlauniger. Freilich war auch das Programm danach. Eine ganze Latte von Walzern und Polkas der Herren Strauß & Strauss & Ziehrer und ihre Ironisierung in Erich Wolfgang Korngolds "Straussiana" oder "Liebesfreud/-leid) und "Schön Rosmarin" von Fritz Kreisler stand auf dem Plan. Die spielen die Musiker auch, wenn man sie nachts um vier aus dem Tiefschlaf holt - und das wirklich gut und pfiffig gestaltet.

Schon die Fledermaus-Ouvertüre zu Beginn machte gute Laune; die den Abend beendende musikalisch hochkomplizierte Suite aus Richard Strauss ' "Rosenkavalier" hätte mitunter eine stärkere ordnende Hand vertragen. Aber für Patrick Hahn war es insgesamt ein ruhiger Abend. Er konnte sich an das Geländer des Podests lehnen, seinen Rhythmus schlagen und zuhören.

Doch noch Komplimente

Aber zwei Komplimente sollen nicht unerwähnt bleiben: das eine für Dalibor Karvay, Konzertmeister der Wiener, der die Soli der drei Kreisler-Stücke überraschenderweise völlig unschmalzig spielte, sondern geradezu introvertiert und dadurch die der Musik immanenten Gefühle ernst nahm. Und das Schöne war, dass das Orchester ihn da ernst nahm und ihn nicht zudeckte, sondern trug. Das andere Kompliment geht an die Holzbläser für ihre wunderbaren Einsatz in der "Rosenkavalier"-Suite. Zweimal zwei Polkas als Zugaben. "Unter Donner und Blitz" ging man nach Hause.

Sisi und Franz Joseph

Ach ja! Nach dem ersten Wiener-Konzert gab es noch einmal eine literarische Lesung mit Dominique Devenport als Sisi und Yannik Schümann als Kaiser Franz Joseph sowie Xiaolu Zang als Pianist , der drei Schubert-Impromptus als Zäsuren spielte. Die Erkenntnis, die die beiden Schauspieler mit Auszügen aus dem Briefwechsel der beiden vermittelten: Elisabeth und Franz Joseph müssen zwei Menschen gewesen sein, die ziemlich aneinander vorbei gelebt haben: sie auf Korfu und auf Reisen, er in Wien und manchmal in den Alpen. Für ihn war das Abschreiben seiner Tagesterminpläne schon so etwas wie ein Gefühlsausbruch; sie schrieb verquaste, aber oft gereimte Naturlyrik, von der er bestimmt kein Wort verstanden hat. Und immer dazwischen: Katharina Schratt. Kein Wunder, dass Sisi Wien so heftig gemieden hat.

 
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