Da stehe ich nun wieder in meiner Ecke, da wo ich 23 Jahre lang sehr oft bei den Aufführungen des Heimatspiels gestanden habe. Nur diesmal halte ich statt einer Kamera einen bunt geschmückten Rechen in der Hand. Es ist ein Rollentausch vom Berichterstatter und Fotograf des Spiels zum Mitwirkenden.
Schnitter bin ich geworden, also ein Teil der Gruppe, die im Spiel die Ernte eingebracht hat und sich beim Erntefest über die Gaben Gottes freut. Abgesehen von einer sind es keine Sprechrollen, aber singen müssen die Schnitter schon und tanzen beziehungsweise hüpfen auch. Das kann auf dem alten Mürschter Pflaster ganz schön in die ebenfalls nicht mehr ganz so jungen Knochen gehen.
Eine Schnapsidee
Wie es angefangen hat? Nun ja, wenn man so lange in einer Stadt arbeitet, kennt man viele Leute, die man bei den verschiedensten Anlässen trifft. Dazu zählen natürlich auch die zahlreichen Heimatspieler. Und wenn man dann beim Kolpingfasching oder auch mal in einer Weinstube zusammen sitzt, sollte man sehr aufpassen, dass man nicht wegen zuvor genossener Getränke ein wenig leichtsinnig wird.
Kurzum: Monika Petsch, die Sprecherin der Schnittergruppe, hat mich überzeugt: Ich werde Schnitter! Zwar hätte ich jederzeit von dieser Schnapsidee zurücktreten können, aber gesagt, ist gesagt: Jetzt wird es durchgezogen!
Schwierige Kostümanprobe
Die erste wirkliche Herausforderung ist die Kostümausgabe: Monika Petsch, Claudia Skuppin und Caroline Schwarz kümmern sich darum, bringen mir ein Kostüm nach dem anderen. Nur so recht passen will leider keins. Nein, die sind mir nicht alle viel zu groß, sie sind alle ein wenig knapp an Brust und Bauch, bei einem knackt es schon sehr verdächtig beim Anziehen in den Nähten.
Früher waren die Leute halt einfach kleiner und zierlicher, tröste ich mich. Aber ganz so alt sind die Kostüme dann auch wieder nicht. Claudia Skuppin schafft es schließlich mit viel Geschick, Haken und Ösen, mir quasi ein Kostüm auf den Leib zu schneidern.
Männer haben’s leichter
Der Wille ist da, das Kostüm passt, jetzt müssen Taten folgen. Bei den Workshops mit Theaterpädagoge Uwe Gröschel aus Maßbach kann ich leider nicht teilnehmen, doch bei der ersten Probe nach der Kostümausgabe bekomme ich einen kleinen Vorgeschmack: Zunächst sind es zwei Tänze, die die Schnitter beherrschen müssen. Sie sind recht ähnlich und die Männer haben eindeutig den leichteren Part. Schwer zu lernen sind sie nicht, aber ein bisschen aus der Puste komme ich schon, weil ja auch noch dabei gesungen werden muss.
Dann kommt die Probewoche vor dem ersten Spieltag. Die hat es in sich. Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag Probe. Das sind aber nur die Gesamtproben, die Solisten und einige Gruppen haben teilweise schon etliche Treffen hinter sich.
Dramatische Trennung
Wachsam achten Spielleiter Franz Wüst und Heimatspiel-Chefin Claudia Kind, dass alles passt und Uwe Gröschel gibt gute Tipps, wie man das eine oder andere noch ein bisschen besser spielen könnte: Auch die Trennung der Schnitterinnen und der Schnitter beim Angriff der Schweden wird dramatischer. Der Proben-Marathon ist geschafft.
Beim ersten Heimatspiel gibt es das Gelage im Schloss, also die Versorgung der Gäste mit Speis und Trank. Da ich weder bei den Vorbereitungen dafür, noch beim morgendlichen Stühle-Aufstellen helfen konnte, habe ich mich wenigstens für einen dreistündigen Dienst im Bratwurststand eintragen lassen. Georg Arndt und Andreas Trägner sind auch dabei, schnell bilden wir ein beinahe perfektes Team.
Ein guter Tipp
Danach schlüpfe ich schnell in mein maßgeschneidertes Kostüm. Ich beherzige einen Tipp: Eine kurze Hose unter die Kostümhose ziehen. Denn sonst hat man keine einzige Tasche, in die man ein paar Euro stecken könnte. Und die werden noch gebraucht. Andere Schnitter haben das Problem mit kleinen Stoffbeuteln am Gürtel gelöst.
Weger des Bratwurst-Einsatzes habe ich das Einholen der Feldkasse verpasst, also geht es gleich zum Oberen Tor. Der Festzug formiert sich. Monika Petsch teilt die Paare ein. Sie nimmt mich unter ihre Fittiche, was einerseits sehr beruhigend ist. Andererseits wird sie die Gruppe anführen und ich damit an ihrer Seite. Bei meiner Premiere hätte ich mich lieber ein wenig im Mittelfeld versteckt. Aber jetzt gibt es eh kein Zurück mehr.
Leichte Selbstzweifel
Zwei Tanzeinlagen geben wir beim Festzug, der sehr gut über die Bühne geht. Anschließend werden die zwei richtigen Tänze noch einmal vor dem Amtsgericht geprobt. Jetzt ist noch ein wenig Zeit, dann beginnt das Spiel. Kurz vor dem Einmarsch des Festzuges vor die Bühne und das Publikum auf dem Anger frage ich mich, ob ich nicht ein bisschen zu alt für einen Schnitter bin.
Als Tanzmädchen wäre ich unglaubwürdiger, tröste ich mich, und außerdem haben die Knechte früher oft auf dem Feld geschuftet, bis sie tot umgefallen sind. Also passt es ja, und jetzt heißt es sowieso: Augen zu und durch.
Es läuft
Das Spiel läuft klasse! Die Tipps von Uwe Gröschel machen das Spiel noch authentischer, und manche Solisten wachsen über sich hinaus. Auch bei uns Schnittern läuft es super. Nach unserem großen Tanz-Auftritt verfolgen wir mehr passiv das Geschehen auf und vor der Bühne, bis wir zusammen mit den anderen Festzugteilnehmern abziehen, um sogleich von Kanonendonner begleitet, vor den Schweden fliehend zurückkehren.
Von nun an sind die Rollen der Schnitterinnen und der Schnitter getrennt. Während die Schnitterinnen weiter aktiv am Geschehen teilnehmen, ziehen die Schnitter mit den anderen Männern zum Jörgentor, um die Stadt vor den Schweden zu beschützen.
Ausflug ins Schloss
So jedenfalls steht es im Stück. Da das Stadttor derzeit aber relativ schwedenfrei ist, biegen wir statt nach rechts zum Jörgentor nach links zum Schloss ab, um uns nach den anstrengenden Tanzeinlagen ein wenig am kühlen Gerstensaft zu laben. Dort treffen wir auch die Stadtknechte wieder, die statt gegen blau-gelbe Angreifer gegen volle Bierkrüge kämpfen.
Aber alles hat seine Zeit. Wir müssen zurück zur Bühne. Es soll ja schon mal vorgekommen sein, dass der eine oder andere diesen Auftritt verpasst hat, diesmal jedenfalls sind alle rechtzeitig da. Und so findet der Auftritt – wie das Stück selbst – ein glückliches Ende. Das Publikum dankt es mit lang anhaltendem Applaus.
Das Wetter spielt mit
Das Stück ist vorüber, die Arbeit nicht. Jetzt müssen die Stühle und Absperrungen weg, der Anger wieder hergerichtet werden. Und jetzt zeigt sich, wie gnädig die Schutzfrau wirklich mit den Münnerstädtern ist. Hat es am morgen noch geregnet, so blieb es bei der Aufführung trocken. Kurz danach öffnet der Himmel seine Schleusen. Es wäre zu schade gewesen, wenn all diese Mühe umsonst gewesen wäre.
Und die Einnahmen werden dringend gebraucht. Nur weil viele Menschen sehr viel Zeit und Mühe und noch mehr Herzblut in das Heimatspiel stecken, existiert es nach 96 Jahren noch immer. Das war mir vorher bewusst, aber als Mitspieler habe ich noch einmal einen anderen Blick darauf bekommen. Mein Fazit: Wenn ich einen Beitrag dazu leisten kann, das Heimatspiel zu erhalten, werde ich es tun. Ich bleibe Schnitter! Das hat auch noch einen anderen Grund: Es hat jede Menge Spaß gemacht.
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