
Nicht unumstritten war die Entscheidung der damaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer , die Impfpflicht gegen Corona bei den Soldatinnen und Soldaten des Heeres einzuführen. Zwar ist die Pflicht seit Mai 2024 Geschichte, die Gerichte aber müssen sich noch immer mit dem Thema beschäftigen. So wie nun das Amtsgericht Bad Kissingen . Martin S.* wurde „Ungehorsam“ vorgeworfen, weil er sich dem Befehl widersetzte. Und weil er in seinem Kampf gegen die Spritze in Briefen an Vorgesetzte zu Drohungen griff, musst er sich auch der Nötigung verantworten.
Soldaten müssen Impfung erdulden
Im Januar 2022 erhielt der Oberfeldwebel der Infanterie in Hammelburg den Befehl, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Es waren nur zwei Soldaten in Hammelburg, die sich gegen die Spritze ausgesprochen hatten. Der andere musste sich aufgrund seiner Vorerkrankungen nicht impfen lassen – für Martin S. bestand der Befehl weiterhin.
Dass sich Soldaten gegen bestimmte Krankheiten impfen lassen müssen, unterliegt der sogenannten duldungspflichtigen Immunisierung. Natürlich kann dagegen der Rechtsweg beschritten werden, aber der sei – so der Anwalt von S., Edgar Siemund – eine langwierige Sache.
"Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
Für Martin S. war die Impfung laut Anklage ein „verbotenes Genexperiment“, „extrem giftig“ und dazu ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
So schrieb er laut Anklage des Staatsanwalts Briefe an seine Vorgesetzten. Inhalt: „Sofort danach fordere ich den Kommandanten auf, den Arzt bei erneuter Verweigerung der Beantwortung der Fragen zu zwingen, alle Fragen unmissverständlich zu beantworten, ihn zu verhören und sämtliche Covid-19-Impfungen bis zur Klärung zu stoppen.“
Drohung: Anzeige bei Generalbundesanwaltschaft
Und weiter: „Bei der Verweigerung muss ich davon ausgehen, dass sich der Kommandeur, welcher für die Rechtmäßigkeit seines Handelns verantwortlich ist, zum Mittäter eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit macht und bei der Generalbundesanwaltschaft angezeigt wird.“
Einer Oberstabsärztin schrieb er ebenfalls. Wenn die den Brief nicht in „sieben Tagen Notfrist“ beantwortet, dann müsse er davon ausgehen, dass der „Arzt sich durch Täuschung, Druck, Zwang auf rechtlose Probanden in ein verbotenes Genveränderungsexperiment auf Grundlage einer ergaunerten Zustimmung rein manövrieren wollte, von der er weiß, dass diese hochkriminell, unmenschlich und schuldhaft ist“. Und: Die Medizinerin könnte „durch ein Kriegsgericht angeklagt und verurteilt werden“.
Reichsbürger verfasste die Briefe
Das liest sich wie aus der Feder eines lupenreinen Reichsbürgers. Was stimmte: Denn wie Martin S. sagte, habe er sich vorher einem Berater anvertraut. Unglücklicherweise war der allerdings kein Anwalt, sondern wurde von Staatsanwalt , Rechtsanwalt und Richterin nur „der Reichsbürger“ genannt, dem das Ansinnen des Angeklagten „scheißegal ist, weil er Reichsbürger ist und hier nur Spaltung reinbringen will“, so der Staatsanwalt . Pech für Martin S.: Er unterschrieb die Briefe, die der Reichsbürger formuliert haben soll und die die nötigenden, drohenden Inhalte hatten.
Scharmützel zwischen Staats- und Rechtsanwalt
So blieb der Staatsanwalt bei „Gehorsamsverweigerung mit Nötigung eines Vorgesetzten“ in zwei Fällen. Und er lieferte sich kleine Scharmützel mit dem Anwalt des Angeklagten, Edgar Siemund, der sogar damit drohte, den Staatsanwalt wegen Beleidigung anzuzeigen.
Siemund war es auch, der dem Staatsanwalt an einem vorigen Prozesstag vorwarf, er habe „Weisung“ erhalten, „viele Soldaten wegen Befehlsverweigerung anzuklagen“. Der Staatsanwalt widerspricht: „Die Weisung gibt es nicht. Nach dem Legalitätsprinzip müssen wir tätig werden, wenn Befehle nicht verfolgt werden.“ Im ganzen Landkreis Bad Kissingen waren es nur drei Soldaten, die die Impfung verweigert hatten.
Anwalt nutzte Sitzungssaal als Bühne
Der Anwalt scheint eine Art Star in der Szene der Impfverweigerer zu sein. Und er blähte sich vor Gericht auch dementsprechend auf: zitierte Gutachten, warf mit angeblich jüngsten Zahlen zu „massenweise“ Todesfällen nach Covid-Impfung um sich, theatralisierte, bis man fast Applaus aus dem Publikum erwartet hätte.
Zuschauerraum voll mit Impfkritikern
Was nicht ungewöhnlich gewesen wäre, denn der Zuschauerraum – der normalerweise gähnend leer ist – war vollbesetzt mit Impfkritikern und/oder Impfverweigerern. Unmutslaute waren oft zu hören, sofort unterbunden von der Richterin. Wie sensibel die Verhandlung eingestuft wurde, zeigte die Präsenz der Polizei in zivil und in Uniform.
Der Verteidiger hatte an einem vorangegangenen Prozesstag viele Beweisanträge gestellt – die der Staatsanwalt wie auch die Richterin alle rundherum ablehnten. Begründung: nicht zulässig; als Sachverständige nicht zu identifizieren; ungeeignete Studien, da die allesamt nach der Impfverweigerung des Angeklagten veröffentlicht wurden, sowie fehlende Zusammenhänge zum aktuellen Fall.
Behauptung: Befehl existiere gar nicht
Der Verteidiger schluckte diese Schlappe, aber nicht ohne Deutschlands Staatsanwaltschaften anzuklagen: „Sie verschließen sich Erkenntnissen mit Gewalt, wie andere Staatsanwaltschaften auch.“ Das empfand er als „absurd, mein Mandant hätte sich (mit der Impfung, red.) unter Umständen der Todesstrafe ausgesetzt“. Zu guter Letzt behauptete Rechtsanwalt Edgar Siemund noch, der Impfbefehl von Annegret Kramp-Karrenbauer sei als „Tagesbefehl“ kein echter Befehl.
Für Befehlsverweigerung hat das Gesetz eine Strafe von drei Monaten bis drei Jahren Gefängnis vorgesehen. Der Staatsanwalt aber berücksichtigte, dass Martin S. mit einem jetzt begonnenen Entlassungsverfahren plus Disziplinarverfahren und der Kürzung seines Solds schon genug auf den Schultern liegen habe. Dazu stellte er auf die Haben-Seite, dass der Mann seit 15 Jahren Soldat ist – ohne eine einzige Verfehlung. Er forderte 100 Tagessätze à 40 Euro statt einer Freiheitsstrafe.
Eineinhalb Stunden Plädoyer
Das sah sein Verteidiger naturgemäß anders: Er wollte einen Freispruch. Eineinhalb Stunden lang plädierte der Mann wie aus dem Lehrbuch für Impfgegner. 180.000 Soldaten seien mit experimentellem Impfstoff behandelt worden; er zitierte den damaligen Kanzler-Kandidaten Olaf Scholz , der die Geimpften 2021 als „Versuchskaninchen“ bezeichnet habe. Allerdings ließ der Anwalt weg, was Scholz in Gänze gesagt hat: „50 Millionen sind jetzt zwei Mal geimpft. Wir waren ja alle die Versuchskaninchen für diejenigen, die bisher abgewartet haben. Deshalb sage ich als einer dieser 50 Millionen - es ist gut gegangen! Bitte macht mit!“, so warb er fürs Impfen.
Siemunds Hauptargument: „Kein Arzt der Welt darf gegen den Willen des Patienten behandeln.“ Sein Mandant habe versucht, Antworten auf seine Fragen zur Impfung zu erhalten und keine bekommen. „Dann ging er einem Scharlatan auf den Leim“, jenem Reichsbürger also, der ihm die Feder bei den Briefen mit nötigendem Inhalt geführt hat.
Soldat sei "wie aussätzig" behandelt worden
Dass ihm vor der Impfung keine seiner Fragen beantwortet worden sein sollen, könnte den Mann auf die Palme gebracht haben. Erst in seinem Schlusswort ließ er erahnen, wie viel Wut nach zwei Jahren mit Disziplinarverfahrens-Einleitung und Soldkürzung um 40 Prozent noch in ihm steckt. Wie „aussätzig“ sei er in der Truppe behandelt worden, jeden Tag hätte er zum Coronatest gehen müssen. „Ich hatte nicht einmal einen positiven Test.“
Mit zum ersten Mal fester, lauter Stimme sagte er in Richtung Staatsanwaltschaft und Richterin: „Hier geht es nicht um mich, es geht um uns alle. Aber ihr habt dafür zu sorgen, dass der Scheiß aufhört und nicht jeder Beweis gegen Menschen wie mich verdreht wird. Was ihr fünf Jahre lang studiert habt, kann ich in zwei Monaten nachholen. Frohe Weihnacht und einen guten Rutsch.“
3600 Euro Geldstrafe
Das Urteil: schuldig der Gehorsamsverweigerung, schuldig der Nötigung in zwei Fällen, macht 90 Tagessätze à 40 Euro, also 3600 Euro. Die Richterin: Die Schreiben seien keine offiziellen Beschwerden gewesen, sondern Drohbriefe. Und: „Sie lassen außer Acht, was das Virus Menschen angetan hat: schwerste Erkrankungen, Long Covid . Manch einer wäre froh gewesen, rechtzeitig Zugang zu einer Impfung gehabt zu haben.“ Sie wünschte dem Angeklagten , dass er „abschließen“ könne, „auch ich bin froh, dass wir heute nach den Einschränkungen in den Jahren 2020/21 abschließen können.“
*Name geändert
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