zurück
Bad Brückenau
Ein Kaleidoskop aus Klängen: Herbstkonzert in Bad Brückenau
Das Bayerische Kammerorchester begeisterte mit einem farbenfrohen Konzertprogramm. Ein selten gespieltes Werk versetzte das Publikum in Staunen.
Pianistin Annika Treutler beim Herbstkonzert des Bayerischen Kammerorchesters.       -  Pianistin Annika Treutler beim Herbstkonzert des Bayerischen Kammerorchesters.
Foto: Wolfgang Reichelt | Pianistin Annika Treutler beim Herbstkonzert des Bayerischen Kammerorchesters.
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 04.10.2024 02:41 Uhr

„Kaleidoskop“ war der Titel des Herbstkonzerts mit dem Bayerischen Kammerorchester Bad Brückenau unter Leitung seines Chefdirigenten Sebastian Tewinkel. Das ist ein optisches Gerät, das wohl die alten Griechen schon gekannt haben sollen, das aber 1819 von dem schottischen Physiker David Brewster neu erfunden und zum Patent angemeldet wurde als Ergebnis seiner Untersuchungen über die Polarisation doppelbrechender Kristalle.

Die Optik hatte offenbar nicht allzu sehr darauf gewartet, denn es wurde zu einem beliebten Kinderspielzeug der Vorcomputerzeit. Denn wenn man in das fernrohrartige Gerät an dem einen Ende hineinschaute, sah man am anderen Ende viele kleine bunte Teilchen in einem symmetrischen Bild. Und wenn man es drehte, wechselten die Bilder.

Bunte Mischung an Stücken

Das könnte man eigentlich auf (fast) jedes Konzertprogramm projizieren, aber beim Herbstkonzert ließ es sich durchaus begründen, denn das beinhaltete auch „kleinteilige“ bunte Musik, die neugierig machen konnte. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie nur selten zu hören ist. Wie etwa gleich zu Beginn bei der „Pastorale d’été“, einem Sinfonischen Gedicht für kleines Orchester, des Franzosen Arthur Honegger, einem Mitglied der avantgardistischen „Groupe des six“, der heutzutage in Deutschland eigentlich nur noch wegen seiner komponierten Dampflokomotive „Pacific 231“ bekannt ist.

In der „Pastorale d’été“ überraschte er mit einer wunderbar gestalteten Morgenstimmung im Berner Oberland, die mit den ersten Lichtstrahlen beginnt, die die erwachenden Vögel singen lässt, die mit wunderschönen Klangfarben den Tag immer konkreter werden lässt – im Grunde genommen ein höchst intensives spätromantisches Werk, erzählt in einer modernen Klangsprache. Ein schöner und unterhaltsamer Einstieg für das Publikum, aber auch für das „kleine Orchester“, das sich in vielen individualisierten Stimmen bestens präsentieren konnte. 

Ausgezeichnete Verständigung zwischen den Musikern

Und dann, sozusagen als lockendes und vertrautes Zentrum, das Klavierkonzert A-Dur KV 488 von Wolfgang Amadeus Mozart – sein meistgespieltes. Solistin war die Pianistin Annika Treutler, die durch Auftritte beim Kissinger KlavierOlymp und dem Kissinger Sommer hierzulande bereits bestens bekannt ist. Aber sie musste erst fast 70 Takte warten.

Eröffnet wurde das Konzert von den Streichern, dann übernahmen die Bläser, und erst als alles gesagt war, durfte das Klavier eingreifen. Die Verständigung war ausgezeichnet, die Dialogstrukturen waren ganz klar herausgearbeitet, die Übergaben sehr plastisch herausmodelliert, auch in den schnellen Sätzen.

Zielstrebig in der Agogik

Der erste Satz geriet singend, lyrisch betont, mit melancholischen Untertönen, aber doch auch zielstrebig in der Agogik, wie man das von den Brückenauern kennt. Der zweite Satz ist berühmt für seine Intensität. Die Gestaltung der Trauer erinnerte deutlich an die Arie „Erbarme dich“ aus Bachs Matthäuspassion.

Das Allegro-Finale war größter Kontrast. Mit großem Schwung und starkem Vortrieb musizierten die Instrumente mit- und gegeneinander, als steckten sie in einem Perpetuum mobile, und zeigten die Farbigkeit von Mozarts geschickter Orchestrierung.

Angebote vom Orchester an die Solistin

Annika Treutler erwies sich als fast  kongeniale Partnerin in der Organisation und Abstimmung und souveräne Technikerin mit Tempo und enormer Präzision. Und doch wunderte man sich ein wenig, wenn man sie von Konzerten oder Aufnahmen kannte, dass sie bei allen dynamischen und Tempo-Varianten höchst aufmerksam dabei war, aber dass sie diesen Mozart perfekt, aber überraschend neutral spielte. Denn eigentlich ist sie eine ausgewiesene emotionale Gestalterin. Aber hier trat sie nie als Person hinter der Musik hervor. Dabei machte ihr das Orchester durchaus Angebote und Vorschläge.

Auch bei Igor Strawinskys Concerto in Es „Dumbarton Oaks“ (so hieß der Landsitz des amerikanischen Auftraggebers Robert Wood Bliss“ spürte man schnell das Bedauern, dass es nur selten auf den Programmen steht. Aber es ist halt auch nicht ganz einfach zu spielen und zu dirigieren. Denn Strawinsky tobt sich in dem Konzert, das strukturell ein bisschen an Bachs 3. Brandenburgisches Kontert erinnert, mit rhythmischen Mätzchen, -Phrasierungen und Betonungen aus.

Chaotischer erster Eindruck

Allein schon die Taktarten. Da gibt es 2/4, 3/4, 4/4, 2/8, 3/8, 4/8, 5/8, 3/16, 5/16, und 11/16, und oft wechselt der Schlag nach jedem Takt. Tonartwechsel sind nicht ganz so häufig, aber quer durch den Quintenzirkel . Und ständig verlangt die Partitur besondere, abweichende Betonungen. Das muss man alles erst mal in den Kopf und in die Finger kriegen.

Natürlich ist der erste Eindruck chaotisch. Aber halt auch witzig, weil sich alles übereinander und ineinander zu schieben scheint. Aber die Brückenauer spielten derart präzise und zupackend und mit so viel Vergnügen, dass man sich anstecken ließ und plötzlich entdeckte, dass alles eigentlich irgendwie logisch wirkte, auch wenn man nicht immer hinterherkam. Und man traute seinen Ohren kaum, als plötzlich ein bisschen Melodisches auftauchte. So kann organisiertes Chaos großen Spaß machen.

Wasserklarer Klang

Das letzte Werk führte wieder zurück in die Schweiz, wo Richard Wagner in Tribschen (was für ein Ortsname für einen Sachsen!) am Vierwaldstättersee für sechs Jahre Asyl gefunden hatte. Dort weckte er seine Frau Cosima an ihrem 33. Geburtstag mit einem eigens komponierten Morgenständchen, dem „Siegfgried-Idyll“.

Und er scheint seine Frau geliebt zu haben. Denn die Brückenauer spielten den 20-minütigen wie eine Liebeserklärung: „Ruhig bewegt“ wie Wagner sich das wünschte, mit warmem, emotionalem Legatoklang und lyrischen Klangfarben und trotzdem wasserklar. Auffallend, wie perfekt die Bläser sich da einbringen konnten.

Dass die Spannung am Ende doch etwas nachließ, lag nicht an den Musikern, sondern an Wagner. Er hätte vielleicht noch ein paar mehr Ideen einbringen können oder sich die eine oder andere Wiederholung sparen können. Denn Cosima war bestimmt schon nach ein paar Takten wach, als das Ständchen durchs Tribschener Treppenhaus schallte.

Lesen Sie auch: 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kammerorchester
Kissinger Sommer
Klavierkonzerte
Konzertprogramme
Pianistinnen
Richard Wagner
Wolfgang Amadeus Mozart
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top