
Landwirte , Mitarbeiter von Baufirmen , Privatpersonen, die einfach helfen wollen: Bereits kurz nach der verheerenden Flut-Katastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen haben sich erste Helfer auch aus dem Landkreis Bad Kissingen auf den Weg ins Krisengebiet gemacht. "Jeder gibt was Kleines, und es gibt was Großes", fasst Landwirt Alfred Greubel aus Elfershausen die Motivation der Helfer zusammen. Viele berichten von schlimmen Bildern, schweren Schicksalen und großer Hilfsbereitschaft. Einige Helfer üben aber auch Kritik am Krisenstab vor Ort, fühlten sich gar in ihrer Arbeit gebremst.
Straße drei Meter hoch voller Schutt
Landwirt Alfred Greubel aus Elfershausen hat über soziale Medien von der Flut-Katastrophe in der Nacht auf den 15. Juli erfahren. Vor allem die drastischen Bilder und Beschreibungen des befreundeten Landwirts Markus Wipperfürth aus dem Rheinland hätten ihn motiviert, schnell zu helfen. Eigentlich hatte er für den 17. Juli eine Demo mit Landwirten angemeldet, aber einen Tag vorher ließ er alles liegen und stehen und fuhr ins Ahrtal.
Ein anderer Kollege habe ihm binnen weniger Minuten einen Tieflader organisiert, der den Zwölf-Tonnen-Bagger der Greubels nach Rheinland-Pfalz brachte. "Nachts um 3 Uhr kamen wir in Walporzheim an", erzählt Greubel. Mit den beiden Lkw-Fahrern schlief er in seinem Wohnmobil . Erst am nächsten Morgen habe er dann das Ausmaß der Schäden in dem Stadtteil von Bad Neuenahr-Ahrweiler gesehen: "Drei Meter hoch lag der Dreck in den Straßen, Häuser und Brücken waren einfach weggespült." Steine, Schlamm, Gasflaschen, Hausrat, ganze Bäume mit Krone und Wurzeln lagen zwischen den Häusern.
Elfershausen: Landwirt brach am Samstagmorgen auf
Am Samstagmorgen legte er gleich los: Täglich von 8 bis 21 Uhr lud er Schlamm und Schutt auf, danach ging es am Abend oft noch zur Reparatur: Vor allem die Reifen waren oft platt. Für Abhilfe sorgten mobile Reifendienste, die kostenlos gesponserte Ersatz-Reifen montierten. Der Diesel für den Bagger kam ab dem fünften Tag kostenlos von der Bundeswehr . Bis dahin kostenlos privat organisiert mit einem Tagebauunimog von RWE . "Einen Tag waren wir quasi trocken, weil RWE heimgeschickt wurde, aber die Bundeswehr noch nicht liefern konnte", erzählt Greubel.
"Das hat alles super funktioniert", beschreibt Greubel die Zusammenarbeit der Helfer vor Ort, der Anwohner und der Firmen, die Personal schickten. Eine Baufirma habe binnen weniger Tage die weggespülte Bundesstraße komplett erneuert. Ein Bauunternehmen aus der Region, das mit einem Team von fast 20 Mitarbeitern im Krisengebiet mitanpackte, war die Firma Schick.
Landwirt aus dem Landkreis Bad Kissingen übt Kritik
Für Greubel gibt es dennoch Anlass zu Kritik: Bis heute könne er nicht nachvollziehen, weshalb die Menschen im Ahrtal nicht rechtzeitig gewarnt wurden. Hinweise auf riesige Regenmengen habe es schließlich vorher gegeben. Aber auch danach sei viel schief gelaufen. Insgesamt sieben Tage war Alfred Greubel im Krisengebiet. Sein Bagger war sogar noch einige Tage länger im Einsatz, bevor ihn ein Tieflader auf der Rückfahrt von einer Futterspende wieder mit nach Elfershausen nahm. "Erst haben wir von der Einsatzleitung nichts gesehen, dann schicken sie die Leute plötzlich heim", berichtet Greubel.
Hilfe in der Krisenregion: "Bei jedem Löffel musst du mit dem Schlimmsten rechnen"
Tagelang hätten sich viele Einsatzkräfte raus halten müssen, da sie keinen Einsatzbefehl bekamen, obwohl sie schon auf Sammelpunkten, oder direkt vor Ort waren. Als dann am fünften Tag die Durchgangsstraße halbwegs frei war, sei plötzlich eine Kolonne mit Blaulicht angerauscht gekommen, ärgert sich Greubel, und: "Die standen sich die Füße am Nürburgring platt."
Auch viele belastende Erinnerung hat Greubel aus dem Krisengebiet mitgenommen: "Bei jedem Löffel musst du mit dem Schlimmsten rechnen", sagt der 52-Jährige. Ein anderer Baggerfahrer habe eine Leiche geborgen, entlang einer Bahnstrecke sei im Nachhinein auf Blindgänger aufmerksam gemacht worden, die aber angesichts der Zerstörung ganz woanders lagen. Auch in vielen Gesprächen habe er vom Leid der Menschen erfahren, die alles verloren haben. "Wenn man dort arbeitet, geht es eigentlich, aber die Rückkehr ins normale Leben ist krass", fasst Greubel seine Erinnerungen zusammen.
THW Ortsverband Bad Kissingen: Bleibende Eindrücke
Bewegt von den Eindrücken vor Ort ist auch Philipp Kiesel, der Ortsbeauftragte des Bad Kissinger THWs. "Es war live eine ganz andere Sache, als wenn man es nur im Fernsehen gesehen hat." Der Ortsverband machte sich am Rakoczy-Sonntag auf den Weg in die Krisenregion. "Wir waren dann bis Freitag vergangene Woche vor Ort." Wie Greubel, waren sie im Ahrtal unterwegs. "Unsere Unterkunft war am Nürburgring", sagt Kiesel. Von dort aus fuhren die neun Kräfte des Bad Kissinger Ortsverbandes fast täglich neue Einsatzorte wie etwa Mayschoß oder Pützfeld an. "Dort hat es einen ganzen Campingplatz weggespült", beschreibt er die Lage in Pützfeld. "Von den Eindrücken her war es extrem. Die Müllberge und das Weggespülte - es ist was anderes als wenn man es nur auf den Bildern sieht." Hinzu kam noch der Gestank. "Draußen in der Natur ging es vom Geruch her. In den Häusern war das eine andere Sache", sagt Kiesel. "Das ausgelaufene Heizöl, der Gestank von verwesten Tieren - der Geruch haftet", beschreibt er.
Trotz der schlimmen Situation vor Ort überlegen Kiesel und der hiesige Ortsverband erneut in die Flutgebiete zu fahren, um zu helfen. Wie viele Einsatzkräfte sich am Donnerstag eventuell auf den Weg machen, steht noch nicht fest. "Das kommt darauf an, wie viele wir beispielsweise vom Schweinfurter THW ersetzen sollen", sagt Kiesel.
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Bereits vier Mal im Katastrophengebiet war Benjaminn Thorne aus Gersfeld. Der 30-Jährige arbeitet als Maschinenführer bei der Untererthaler Baufirma "Stolz" und ist Hobby-Landwirt. Drei Tage nach der Flut fuhr er zum ersten Mal nach Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit seiner Frau wollte er über die Vereinigung "Land schafft Verbindung" Futterspenden organisieren. Der Rücklauf hat ihn überwältigt: 1800 Ballen Heu, Stroh und Silage kamen auf Anhieb zusammen, 38 Lkw machten sich am 17. Juli aus Hessen, Bayern und Thüringen auf den Weg ins Ahrtal.
Die Firma Stolz stellte Benjaminn Thorne einen Unimog samt Tieflader. "Wir unterstützen unsere Mitarbeiter, helfen auch im Hintergrund, aber das ist natürlich kein offizieller Firmeneinsatz", stellt Alexander Stolz klar. Insgesamt zehn Mitarbeiter seien von sich aus auf ihn zugekommen, weil sie etwas für die Flutopfer tun wollten. Zum Teil habe es auch Freistellungen gegeben, aber vor allem würden die Helfer ihre Freizeit opfern. "Unsere Baustellen müssen natürlich weiterlaufen", verweist Stolz auf vertragliche Verpflichtungen.
Futter reicht bis in den Winter
"Da bleibt einem der Atem weg", beschreibt Benjaminn Thorne seine erste Fahrt ins Katastrophengebiet. "Schlimmer als nach jedem Krieg" seien die Zerstörungen dort. Und selbst nach zweieinhalb Wochen seien die Schäden nur zu einem sehr kleinen Teil behoben. Futterspenden seien mittlerweile aus ganz Deutschland und sogar Österreich eingetroffen. "Das reicht jetzt auf alle Fälle bis in den Winter", sagt der Gersfelder Hobby-Landwirt. Allerdings stelle er sich auf langfristige Hilfe ein: "Viele Flächen sind mit Heizöl und allem möglichen belastet, die Landwirte brauchen vermutlich noch zwei, drei Jahre Hilfe."
Behörden vor Ort hemmten Helfer
Entäuscht ist Benjaminn Thorne von den Behörden: Das Land und der Krisenstab hätten die Helfer mehr behindert oder sogar wieder heim geschickt statt zu unterstützen. "Das ist total in die Hose gegangen." Während sich die Anwohner bedanken, würden Landesbehörden nur bremsen. Alleine die Bundeswehr helfe unkompliziert, betanke Bagger und Lkw kostenlos oder berge die Särge, die auf etlichen Friedhöfen freigeschwemmt wurden.
Am vergangenen Wochenende war Benjaminn Thorne zuletzt mit einer Kehrmaschine im Krisengebiet: Die Kombination aus Bürste und Hochdruckreiniger habe dafür gesorgt, dass an vielen Stellen zum ersten Mal seit der Flut wieder die Straße zu sehen war. "Dann ist der Staub wenigstens mal kurz weg", sagt der 30-Jährige. Allerdings sei es auch nur eine Momentaufnahme, weil die vielen Baufahrzeuge schnell wieder Schlamm auf die Straßen tragen.
Eher spontan machte sich Christoph Leurer aus Obereschenbach auf ins Krisengebiet. Der 25-Jährige Zielbauer bei der Bundeswehr verkauft im Nebenerwerb Brennholz und bietet Forstdienstleistungen an. Über soziale Medien verfolgte er die Einsätze anderer Helfer. Am Samstagabend, drei Tage nach der Flut, entschied er spontan in der Kneipe, am nächsten Tag auch ins Ahrtal zu fahren. Zunächst wollten Bekannte mitfahren, wegen des schönen Wetters und der anstehenden Ernte sagten sie jedoch wieder ab.
Bekannte steuerten Spritgeld bei
Immerhin unterstützen ihn Freunde finanziell: 150 Euro Spritgeld legten sie zusammen. Christoph Leurer startete ins Ungewisse, hatte lediglich den Kontakt zu befreundeten Helfern. Der riss allerdings während der Fahrt komplett ab: "Auf der Hinfahrt ist mein Handy kaputt gegangen, alle Kontakte waren weg", erzählt der 25-Jährige. Auf gut Glück machte er sich auf in den Ort Dernau, wo er am Abend ankam. Als "die Hölle auf Erden" beschreibt er seine ersten Eindrücke, und: "Es ist, als ob die Häuser auf dem Kopf standen und alles rausgeschüttelt wurde."
Am ersten Abend habe er noch einige Stunden beim Auspumpen und Ausräumen von Kellern geholfen. Dann stellte er sein Auto neben Polizei und THW ab und schlief im Wagen. Am nächsten Morgen musste er erst einmal 50 Kilometer fahren, um sich ein neues Handy zu kaufen. Im Ahrtal sei ein provisorisches Handynetz eingerichtet worden, ab Montagmorgen packte er dann mit an: Stundenlang schaufelte er per Hand Schlamm aus Kellern und Garagen. "Es war so heiß, du fühlst dich wie in einem Gewächshaus mit Ölgestank", beschreibt er die Situation. Auch auf den Straßen lag ein rutschiger Ölfilm. Eindrucksvoll sei die Begegnung mit den Menschen gewesen: "Viele hatten außer dem T-Shirt und der Hose, die sie gerade anhatten, nichts mehr."
Durchfeuchtete Häuser
"Jeder hilft jedem", fasst Leurer den Zusammenhalt der Menschen zusammen. Ein Landwirt , deren Hof sie gesäubert haben, stellte den Helfern sein Haus und ein Notstromaggregat zur Verfügung. Er selbst kam bei Bekannten um. Das Haus sei allerdings so feucht gewesen, dass er auch die nächsten beiden Nächte lieber in seinem Auto schlief, berichtet Leurer. Hilfsdienste versorgten die freiwilligen Helfer mit Essen.
Am Dienstagabend habe er dann nach hause fahren müssen, weil am nächsten Tag ein Lohnspalter kam. Die Nacht war kurz, weil er erst gegen 3 Uhr in Obereschenbach ankam. Zum ersten Mal seit der Abfahrt konnte er sich wieder duschen, nach zwei Stunden Schlaf ging die Arbeit weiter. Für seinen Hilfseinsatz opferte Chrisoph Leurer Urlaubstage, obwohl er die eigentlich gut für sein Nebengewerbe gebrauchen könnte. "Die Kunden hatten viel Verständnis", sagt er. Falls es bei seinem Arbeitgeber Bundeswehr die Möglichkeit einer Freistellung gebe, würde er erneut helfen.
Geld, Lebensmittel und Gummistiefel
Über Alfred Greubel sind Ilona Sell-Rasch und ihre Familie auf die Not an der Ahr aufmerksam geworden. 2003 stand nach dem Hochwasser ihr eigenes Anwesen in Elfershausen komplett unter Wasser. "Wir wissen, wie das ist, deshalb wollen wir helfen", sagt Ilona Sell-Rasch. Also versuchten sie, die Initiative der Landwirte um Greubel zu unterstützen. Direkt aus dem Krisengebiet kam die Infos, was vor allem fehlt: Hygieneartikel, haltbare Lebensmittel, Schaufeln, Besen, Eimer, Gummistiefel, Magnesium-Tabletten für die Helfer und vieles mehr sammelten Ilona Sell-Rasch, ihre Eltern Elke und Wilhelm Sell, ihre Schwester Larissa Lehmann und andere.
Nach dem Aufruf über soziale Medien kamen auch Geldspenden, die Mitarbeiterinnen ihres Pflegedienst "Pflegeengel" hätten spontan ihre gesamte Kaffeekasse gespendet. Insgesamt kamen innerhalb kurzer Zeit 3000 Euro zusammen: "Die Menschen haben uns das Geld einfach so anvertraut", erzählt sie.
Weitere Aktionen geplant
Zwei Klein-Busse mit Spenden starteten mitten in der Nacht, um am frühen morgen im Ahrtal anzukommen. In Walporzheim seien sie dankbar aufgenommen worden. "Ich kann es gar nicht in Worte fassen", beschreibt die Elfershäuserin das Ausmaß der Zerstörung vor Ort. "Grausam" sei das einzige, was ihr dazu einfalle. Die Geldspenden hätten sie vor Ort an Betroffene verteilt.
"Wir wollten auch tatkräftig helfen", beschreibt Ilona Sell-Rasch den Tag im Ahrtal. Weil sie zwei Busse hatten, wurden sie vor Ort gebeten, Lebensmittel nach Altenahr zu bringen, das länger von der Außenwelt abgeschnitten und jetzt wieder erreichbar war. Also ging es mit Eskorte und durch Polizeiabsperrungen in einen anderen völlig zerstörten Ort. Am Abend ging es dann zurück nach Elfershausen. "Jede Hilfe dort ist willkommen", fasst Ilona Sell-Rasch ihre Eindrücke zusammen, deshalb wolle sie auch weiter helfen. "Wir bleiben dran", kündigt sie an und hofft auf Nachahmer.
Ein Artikel von Ralf Ruppert und Johannes Schlereth