
Einmal im Leben Abgeordneter oder Abgeordnete sein. Was für manche wie ein Traum, für andere auch wie ein Albtraum klingen mag, jedoch definitiv weit weg von der eigenen Lebensrealität, war für mich für vier Tage die Wirklichkeit. Ich hatte das Privileg, als eine von mehr als 350 Jugendlichen zwischen 17 und 20 Jahren am Planspiel "Jugend und Parlament" des Deutschen Bundestages teilnehmen zu dürfen. Hierzu kamen junge Erwachsene aus allen Ecken Deutschlands zusammen, um gemeinsam vom 12. bis zum 15. Oktober für vier Tage zu beraten, zu diskutieren und abschließend über fiktive Gesetzesvorschläge abzustimmen.
Fiktive Lebensläufe und Parteien
Wie kam es dazu? "Jugend und Parlament" ist eine Simulation, bei der Jugendliche, politisch aktiv oder nicht, zusammenkommen können, um den Gesetzgebungsprozess besser kennenzulernen. Dafür darf etwa die Hälfte der Abgeordneten des Deutschen Bundestages einen Jugendlichen entsenden. Ich hatte die Ehre, über meinen Lehrer, von Manuela Rottmann (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), nominiert zu werden. Jeder Teilnehmende hat im Vorhinein einen erdachten Lebenslauf zufällig zugeteilt bekommen.
Die Rollen hatten unterschiedliche Berufe, kulturelle und soziale Hintergründe und waren jeweils einer der drei, ebenfalls fiktiven und im Bundestag vertretenen Parteien, zugeordnet. Die GP, Gerechtigkeitspartei, und die PEV, Partei für Engagement und Verantwortung, bildeten mit 60 Prozent der Abgeordneten die gemeinsame Regierungskoalition. Die BP , Bewahrungspartei, stellte mit den restlichen 40 Prozent der Abgeordneten die Opposition, der auch ich, genauer gesagt Martina Frey, 43 Jahre alt, Zerspanungsmechanikerin aus Freiburg, als Mitglied angehörte.

Besuch im Plenarsaal war etwas Besonderes
Am Samstagmittag wurden wir im Paul-Löbe-Haus empfangen. Das erste Highlight folgte sogleich, indem wir durch die Vizepräsidentin des Bundestages, Petra Pau (Die Linke), im Plenarsaal begrüßt wurden. Das ist etwas Besonderes, denn neben einzelnen Ausnahmen ist dies die einzige Möglichkeit für Nicht-Parlamentarier den Plenarsaal zu betreten. Anschließend bekamen wir eine Hausführung, was auch dringend notwendig war, um sich die nächsten Tage auf dem Weg zur Sitzung nicht mal eben zu verlaufen. Zum Schluss trafen wir das erste Mal in unseren Fraktionen zusammen und lernten uns in unseren Landesgruppen besser kennen, wobei wir in den echten Fraktionssälen tagen durften.
Simulation eines Gesetzgebungsprozesses
Nach einer kurzen Nacht, nach der sich einige schon nur mit Kaffee wachhalten konnten, kamen wir am Sonntagmorgen wieder auf der Fraktionsebene zusammen. Nach einem Treffen in der Landesgruppe, die wir nach so kurzer Zeit schon liebevoll unsere "emotionale Heimat" nannten, startete am Nachmittag die Ausschussarbeit. Wir trafen uns in unseren Arbeitsgruppen, um je nach Wahl einen der vier ebenfalls fiktiven Gesetzesvorlagen zu diskutieren. Hierbei wurde uns erst so richtig bewusst, wie schnell sich Abgeordnete in ein komplexes Thema einarbeiten müssen, um auf dessen Grundlage eine tragbare Entscheidung zu treffen. Währenddessen ließen wir es uns nicht nehmen, einander kennenzulernen, über tagesaktuelle Themen zu diskutieren und dabei Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zu finden.

Austausch mit echten Abgeordneten
Außerdem folgte am Montag ein Treffen mit unseren Abgeordneten , wobei ein wunderbarer Austausch auf Augenhöhe stattfand und man hinter die Kulissen des Alltags als "richtiger" Abgeordneter schauen durfte. Gab es bei den Arbeitsgruppensitzungen bei manchen schon die ersten Meinungsverschiedenheiten, wurde es richtig interessant, als wir in den Ausschusssitzungen mit den anderen Fraktionen zusammentrafen. Nach dem gemeinsamen Ringen um einen Kompromiss haben wir unser Vorgehen in der Fraktion letztmalig besprochen, bevor es am Dienstagmorgen zum krönenden Abschluss, der Beratung aller Gesetzesvorlagen im Plenarsaal kam, bei der final über alles abgestimmt wurde. Mein persönliches Highlight war hier, dass ich als gewählte Schriftführerin meiner Fraktion neben der Vizepräsidentin des Bundestages sitzen durfte. Abschließend durften wir unsere Fragen bei einer Podiumsdiskussion mit Abgeordneten der Fraktionen loswerden.
Ein prägendes Erlebnis
Für mich bleibt nur zu sagen, dass es vier Tage waren, die für immer in Kopf und Herz bleiben. Das Gefühl, dass man trotz unterschiedlicher Ansichten eine Gemeinschaft ist, war allgegenwärtig und gerade in Zeiten, in denen extreme Positionen weltweit immer mehr zunehmen und teils auch unter Jugendlichen in diesen Tagen sichtbar wurden, ist es umso wichtiger ein Verständnis zu schaffen. Ein Verständnis für die Politikerinnen und Politiker und für deren Arbeit, um sich gemeinsam für Demokratie stark zu machen.
Diesen Bericht verfasste Letizia Albert aus Bad Kissingen. Sie ist 17 Jahre alt und besucht die zwölfte Klasse des Jack-Steinberger-Gymnasiums Bad Kissingen.
