
Mit dem Palliativmediziner Roland Hanke (70), der seit 35 Jahren in der Hospizarbeit aktiv ist und langjähriger Vorsitzender des Hospizvereins Fürth sowie Vorstand des Bayerischen Hospiz- und Palliativverbands war, hatte sich der Gründer des hiesigen Hospizvereins , der Palliativmediziner Reinhard Höhn , für den diesjährigen Bad Kissinger Hospiztag einen hochkarätigen Vortragsgast eingeladen. Nach dessen „Appell für eine neue Sorgekultur“ diskutierten im vollbesetzten Sparkassenpavillon Bestatter und Kirchenvertreter über die aktuelle „ Bestattungskultur im Umbruch“.

Ganzheitliche Betrachtung des Patienten
Die heutige Gesellschaft habe im Gegensatz zu ihren Vorfahren verlernt, für ihre sterbenden Angehörigen zu sorgen, beklagte „der Vater des Hospizdienstes in Deutschland“, wie Vereinsvorsitzender Höhn seinen Gastredner vorgestellt hatte. Zudem seien heutige Ärzte nicht mehr die „multiprofessionell Wissenden“ wie in vergangenen Zeiten, in denen der Hausarzt seinen Patienten ein Leben lang begleitete. Hanke kritisierte das „Auseinanderdriften der Lebenswelten“ – einerseits die Spezialisierung der Ärzteschaft, andererseits der Bedarf an ganzheitlicher Betrachtung des Patienten.
Pflegekräften und Hospizdienstleistenden wird heute die fachliche Reputation abgesprochen, monierte der Gastredner, obwohl sie doch diejenigen sind, die täglich am Patienten arbeiten. „Patienten und Sterbende drohen zum Objekt herabgestuft zu werden“, warnte er deshalb. „Heute wird die Pflege nur nach messbaren Standards bewertet.“ Den altgriechischen Arzt Hippokrates frei zitierend („Es ist viel wichtiger zu wissen, welcher Mensch die Krankheit hat, als welche Krankheit dieser Mensch hat.“), betonte Hanke, dass es bei der Versorgung eines leidenden Menschen nicht vorrangig um dessen Leiden, sondern in erster Linie um den ganzheitlichen Menschen geht.
Am Menschen orientieren
Pflegende helfen nicht nur verbal-funktional, also in ihren Handlungen messbar, sondern vor allem durch ihre persönliche Ausstrahlung – den „Duft der Pflege“. Deshalb ist es nach Hankes Überzeugung dringliche Aufgabe der Hospizdienste, den am Menschen orientierten Bedarf von Pflegeangeboten vom Staat einzufordern. Behinderte und Demenzkranke sind längst als Teil unserer Gesellschaft anerkannt, nicht aber Sterbende und deren Pflegende. Deshalb kommt es vor allem auf das Selbstbewusstsein der Pflegenden an: „Es muss Ihnen bewusst sein, wie wertvoll Sie sind.“
Bei Sterbenden steht nicht das Leiden an vorderster Stelle, mahnte der Palliativmediziner . Es gilt vor allem, ihm zuzuhören: Ist das, was er sagt, wirklich der freie Wille des Sterbenden oder steht er unter äußerem Druck? Hanke habe in seiner langjährigen Arbeit erlebt, dass manche Sterbende sich nicht zu sterben getraut haben, da deren Angehörige auf die Rente und das Pflegegeld angewiesen waren. „Wichtig ist die Wahrhaftigkeit.“
Angehörige zur Pflege befähigen
Der Fürther Palliativmediziner forderte die frühzeitige Einbindung des Hospizdienstes, was neuen Studien zufolge zu einer statistisch nachweisbaren Verlängerung der Lebensdauer eines Patienten führt. Nach aktueller Umfrage wollen aber 85 Prozent der Bevölkerung nichts mit Pflege zu tun haben, „meinen jedoch ganz genau zu wissen, was in der Pflege falsch gemacht wird“. Deshalb forderte Hanke eine „Transformation der gesellschaftlichen Haltung“, da künftig aufgrund fehlender Pflegekräfte und -plätze das „Sterben im eigenen Heim“ zunehmen wird. „Angehörige müssen wieder zur Pflege befähigt werden.“
Auch der Nachbarschaftshilfe und der ehrenamtlichen Hospizarbeit wird nach Hankes Auffassung in Zukunft eine immer größere Bedeutung zukommen. „Die Hospizbewegung ist Ergebnis und Ausdruck unserer individualisierten Gesellschaft“. Daraus folgert der Palliativmediziner : „Der ehrenamtliche Hospizdienst ist für die Medizin und unser Pflegesystem eine große Chance.“
Veränderte Trauerkultur
In der anschließenden Diskussionsrunde über „ Bestattungskultur im Umbruch“ bestätigte Bestatter Rüdiger Fehr, „dass das klassische Familiengrab immer mehr ausstirbt“. Grund sei die Zersplitterung der Familie. Man wohnt nicht mehr gemeinsam an nur einem Ort. Auch die Trauerkultur habe sich in der modernen Gesellschaft verändert.
Diakon Christoph Glaser (Herz-Jesu-Kirche) akzeptierte zwar den generellen Wandel („Heute liegt der Kirchhof nicht mehr um die Kirche, sondern am Ortsrand.“), machte aber zugleich auf Nachteile moderner Bestattungsformen wie anonyme Waldbestattungen aufmerksam: „Hinterbliebene finden das Grab nicht mehr vor lauter Bäumen.“
Friedhöfe für die Lebenden öffnen
Auch Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (Erlöserkirche) meinte, sich den wandelnden Bedürfnissen der Menschen anschließen zu müssen. Eine Akzeptanz des Friedhofs sei allerdings auch abhängig von dessen Gestaltung. Keinesfalls dürfe man auf lange Sicht die Friedhöfe verschwinden lassen, sondern müsse sie den Lebenden öffnen und stärker an den Alltag anbinden. In jedem Fall aber, so steht für Bestatterin Julia Meder fest, müssen Gemeinden derartige Herausforderungen annehmen. „Auch Seebestattungen nehmen immer mehr zu.“
Die von Moderator Reinhard Höhn in die Diskussion gebrachte Bestattungsform der „Reerdigung“, bei der der tote Körper in einem sargähnlichen Behältnis durch die körpereigenen Mikroorganismen angeblich innerhalb von 40 Tagen in Humus verwandelt wird, oder der „Lavation“, bei der der Leichnam durch Einwirkung einer Lauge hydrolysiert wird, lehnten sowohl Bestatter als auch Kirchenvertreter ebenso ab wie den Einsatz Künstlicher Intelligenz zur Trauerbewältigung.
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