
Beide gibt es schon seit Jahrzehnten: „ Dinner for One “ und die Münchner Bläsergruppe „ Blechschaden “. Die etwas aus dem Ruder laufende Geburtstagsfeier wurde in der Produktion des NDR am 8. März 1963 das erste Mal einer breiten Öffentlichkeit in der Unterhaltungssendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld “ bekannt (die echte Uraufführung war allerdings schon zwei Jahre vorher).
Das muss an Silvester sein
Und seitdem ist ein Silvesterabend nicht vollständig, wenn man den Sketch nicht in der Originalfassung gesehen hat. Und das gilt jedes Jahr. „ Blechschaden “ ist noch nicht ganz so alt. Das Ensemble hat der schottische Hornist Bob Ross 1985 aus der Taufe gehoben. Wer eine nüchterne, verwirrend sachliche Beschreibung der Gruppe und ihrer Ziele sucht, wird bei Wikipedia fündig: „Die Gruppe setzt sich aus den Blechbläsern der Münchner Philharmoniker zusammen. Blechschaden wurde 1985 von Bob Ross gegründet. Das Repertoire des Ensembles reicht von klassischer Musik über Unterhaltungs- und Rockmusik bis hin zu traditioneller Blasmusik, wobei der Ablauf der Konzerte humoristisch geprägt ist.“
Humor ist wichtig
Es ist ja nicht nur der Ablauf, der „humoristisch geprägt“ ist, sondern das beginnt schon beim Ambiente. Wer in den Max-Littmann-Saal kommt, sieht zwölf Notenpulte, behängt mit bunten Flaggen, die Herkunft oder Lieblingsfußballverein signalisieren. Am Dirigentenpult von Bob Ross hängt eine bayuwaro-schottische Fahne: die schottische Flagge, breit umrahmt von weißblauen Rauten. Klar, Bob Ross ist vor kurzem Deutscher geworden, weil ihm das nach dem Brexit das Musizieren in Europa leichter macht.
Immer wieder lustig
Und so, wie man bei „ Dinner for One “ jedes Mal herzhaft über den kleinsten Gag lacht – auch wenn man sich vornimmt, dieses Mal nicht zu lachen – lacht man auch über Bob Ross , der zwar dirigiert, aber vor allem über die Bühne kaspert. Wenn er sich etwa als den größten schottischen Dirigenten feiert – was bei 1,57 m Scheitelhöhe mutig ist und dann erst einmal mit dem 30 Zentimeter zu hoch eingestellten Mikrophon kämpft, dann kennt man das zwar schon, aber es ist halt immer wieder lustig, weil Selbstironie eine köstliche Form der Ironie ist.
Die Kollegen kriegen auch was ab
Dass er auch seine elf Kollegen kräftig durch den Kakao zieht, ist bei ihm völlig ohne Arg. Aber man kennt das halt schon, und auch seine Witze: „Was ist der Unterschied zwischen einer schottischen Hochzeit und einer schottischen Beerdigung? Na? Ein Betrunkener weniger!“ Aber seine Parodie des Dauergrinsers André Rieu ist halt wirklich jedes Mal schön und wunderbar entlarvend.
Ein begeisternder Spagat
Aber eigentlich geht’s ja um die Musik. Und da gelingt Bob Ross und seinen elf Mannen mit dem gesamten Blechbläserbesteck von Piccolotrompete bis Bassposaune und Tuba ein begeisternder Spagat: einerseits mit großer Ernsthaftigkeit und Professionalität zu musizieren, mit einem gewissen Respekt vor den Werken und mit größter Virtuosität und Perfektion – aber das kann man halt, wenn einem die Ernsthaftigkeit Spaß macht. Und andererseits locker zu bleiben, den Humor aus der Musik herauszuholen, und wenn sie keinen hat, ihn hineinzupflanzen. Und bei dem Ganze immer locker zu bleiben.
Publikum klatscht mit
Sodass sich auch das Publikum sofort animiert fühlte und nach einiger Zeit gerne auch immer wieder einmal mitklatschte. Natürlich nicht bei der Konzerteröffnung mit Richard Strauss ’ wuchtigen „Also sprach Zarathustra“. Und auch beim zweiten Stück konnte man sich überlegen, ob das eine Bearbeitung von „Whiter Shade of Pale“ von Procol Harum oder der Air aus der Suite Nr. 3 D-dur BWV 1068 oder der Kantate „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ BWV 140 von Johann Sebastian Bach war – oder von allen.
Tuba im Vordergrund
Bei Albinonis berühmtem Adagio konnte sich die Tuba wunderbar in den Vordergrund spielen; bei Giovanni Gabrielis doppelchöriger „Canzona septimi toni“ entwickelten sich sehr schon Stereo- und Echoeffekte, bei Antonio Vivaldis bekanntem Konzert für zwei Solotrompeten und Orchester kam es zu spannenden Dialogen der beiden Seiten.
Ausflug in die schottische Folklore
Aber es gab nicht nur Barockes. Bob Ross konnte und wollte seine Herkunft natürlich nicht verleugnen und brach zu einem kleinen Ausflug auf in die schottische Folklore zu der melancholischen Ballade von „Bonnie Prince Charles“, der 1745 versuchte, mit einer Invasion Englands die Macht der Stuarts wieder herzustellen – was katastrophal endete. Das Thema klang irritierend bis auf den letzten Ton genau wie „Ännchen von Tharau“. Aber natürlich gab’s auch wilde Tanzfolklore, die nicht alle im Publikum auf den Stühlen hielt.
Vier Zugaben reichen nicht
Vier Zugaben hatte Bob Ross angekündigt – als letztes eine raffinierte Mischung aus Bolero und Sirtaki. Aber das reichte nicht. Der „Steingadener Musikantenmarsch“ komplimentierte die letzten hartnäckigen Besucher aus dem Saal. Man hätte schon ganz gerne gewusst, wer die Musiker waren. Aber Bob Ross stellte nicht alle vor. Manche waren neu in der Truppe, manche waren nur eingesprungen. Aber ein mitreißendes Konzert war es trotzdem.
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