Modernste Labortechnik kommt hinter eine geschichtsträchtige Fassade. Im 200 Jahre alten Neumannflügel logierte einst die hohe Kurgesellschaft, bis 2010 wurde das Gebäude als Teil des Fünf-Sterne-Kurhaushotels von Steigenberger betrieben. Von dem Hotelbetrieb ist heute nichts mehr übrig als ein letzter, blauer Teppichrest, der im ersten Obergeschoss des Treppenhauses darauf wartet, herausgerissen zu werden. Die Bautrupps haben den Neumannflügel in den vergangenen Jahren nahezu komplett entkernt und die einzelnen Etagen inzwischen wieder neu aufgebaut. Das Gebäude ist mit dem direkt anschließenden Kurhausbad die größte Baustelle in der Stadt. Der Freistaat baut die Kurbauten für 56,9 Millionen Euro zur Außenstelle des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) um. Die Büros im Kurhausbad wurden im Dezember bezogen, hier wird nur noch im Keller gearbeitet.
Logierhaus und Kurhausbad werden für 56,9 Millionen Euro umgebaut
Die Hauptarbeiten laufen dagegen im und am Neumannflügel. Seit Kurzem ist das Gerüst an der Außenmauer verschwunden, und die frisch sanierte Fassade ist zu sehen. Aus historischer Sicht ist die ein echter Hingucker: "Die Fassade haben wir nach dem historischen Vorbild konzipiert. Nur in der Farbgebung haben wir uns an das Kurhausbad angepasst", berichtet der leitende Architekt Christian Teichmann. Fenster, Fenstersimse, Klappläden - alles zeigt sich so, wie es alte Pläne, Zeichnungen und Fotografien aus dem 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. "Wir haben mit dem Neumannflügel ein wertiges Denkmal . Die bauliche Qualität Bad Kissingens am Kurgarten wird damit fortgesetzt", sagt er.
Quaderputz nach historischem Vorbild
Komplett fertig sind die Arbeiten an der Fassade aber noch nicht. Das Erdgeschoss ist noch kahl, hier werden die Verputzer als nächstes noch einen sogenannten Bossenputz auf das Gemäuer aufbringen. "Das ist der originale Putz, der ebenfalls auf alten Fotos und Zeichnungen zu sehen ist", erklärt Architekt Ralf Alsheimer. Der Putz wird quaderförmig auf die Wand aufgetragen. Dazu befestigen die Arbeiter Holzleisten wie Schablonen an der Wand, so dass beim Auftragen des Putzes die einzelnen Quader entstehen. "Wenn man genau hinschaut, lässt sich das Raster der historischen Bossen noch erkennen. Daran richten wir das Raster der neuen aus", sagt Alsheimer.
Neumannflügel nachträglich unterkellert
Als Problemkind stellten sich die Kelleraußenwände heraus. Die Architekten vermuten, dass der Neumannflügel erst nachträglich unterkellert wurde, denn die Kellerwände sind lange nicht so massiv errichtet, wie das Gemäuer darüber. Um sie statisch abzufangen und um das Kellergeschoss abzudichten, haben die Arbeiter die Kellerwände freigegraben. Nun wird eine 15 bis 20 Zentimeter dicke Betonwand außen herum angebracht, die den Keller künftig absichert und die Labore im Innern vor Feuchtigkeit schützt. Im Hof des Neumannflügels ist ein Technikkeller entstanden. Darin kommen unter anderem Gas-Tanks für den Laborbetrieb unter, die Zuluftzentrale aber auch Müllpressen. Teichmann: "Im Labor wird viel Verpackungsmüll anfallen.Wir wollten aber in diesem sensiblen Areal keine oberirdischen Müllpressen aufstellen." Um die Lärmbelastung für das später einmal angrenzende Hotel, den Kurgarten und die weitere Umgebung gering zu halten, wandern die Müllpressen in den Untergrund. Das Dach des Technikkellers dient als Parkdeck für die LGL-Mitarbeiter.
LGL-Hightech trifft königliche Stuckdecke
Innen laufen vom Unter- bis ins dritte Obergeschoss die Laborinstallationen. Elektrotrassen, Lüftungsgeräte und Lüftungsschächte sowie Leitungen, die die Gase aus den Tanks an die Arbeitsplätze bringen, werden an den Decken montiert. "Bei einer lichten Raumhöhe von 3,60 Metern sieht man, warum der Neumannflügel für die Labore ausgewählt wurde", meint Teichmann.
Das Littmann-Treppenhaus - das Haupttreppenhaus, das Neumannflügel mit Kurhausbad verbindet - erhält zwei Aufzüge. Der bestehende, alte Aufzugsschacht wird vergrößert und bekommt eine neue Kabine, berichtet Alsheimer. Er verläuft durchgängig vom Keller bis ins dritte Obergeschoss. Weil die Etagen des Kurhausbades und des Neumannflügels auf unterschiedlichen Höhenniveaus liegen, braucht es zudem einen Ausgleichsaufzug direkt an der Treppe, damit eine barrierefreie Verbindung zwischen beiden Gebäuden gegeben ist.
Logierhaus wurde komplett entkernt
Dass der Neumannflügel für die Sanierung komplett entkernt wurde, bedeutet nicht, dass sich in ihm keine denkmalgeschützten Höhepunkte befinden. Die beiden Treppenhäuser sollen nach der Sanierung wieder in altem Glanz erstrahlen. Das westliche Nebentreppenhaus stammt aus der Entstehungszeit in den 1820er Jahren, das Haupttreppenhaus von Max Littmann entstand rund 100 Jahre später, als der berühmte Architekt das Kurhausbad anbaute. "Gerade das Treppenhaus von Littmann wird sehr lebendig", sagt Alsheimer. Es wird repräsentativ, quasi als Gegenstück zum Foyer im Kurhausbad. Ein weiteres Highlight befindet sich im südlichen Teil des ersten Obergeschosses - dort gelang es, einen Teil einer historischer Stuckdecke freizulegen und zu erhalten.
Wie die Stuckdecke vor der Entkernung gerettet wurde und wie ein Laser bei der statischen Sicherung der Treppenhäuser hilft, lesen Sie hier.