
Mit langem, begeistertem Beifall verabschiedete sich das Publikum des Theaterrings der Stadt Bad Kissingen von seinem Lieblingsballett, der Truppe des Theaters Hof. Dabei gehörte der Tanzabend zum Thema "Chaplin" nicht zu den wirklich einfachen Angeboten des durch die Pandemie sowieso recht schwierigen Theaterrings 2020/21.
Für die Hofer war es auch eine fordernde Angelegenheit, auf der komplett offenen Bühne des Max-Littmann-Saales tanzen zu müssen, ohne Zugang durch Gassen, sondern einfach durch verdeckte Schlupflöcher auf den beiden Seiten der nach vorne verlängerten Tanzfläche.
Da war es gut, dass Barbara Busers Choreographie sich für die Weite der Bühne eignete und sie in ihrem Raumkonzept auch die hohen Orchestertreppen im Bühnenhintergrund sehr geschickt einbauen konnte.
Gegenüberstellung
Auch für das Publikum gehörte der von den Hofern als tänzerisch gestaltete Dokumentation über Chaplins Leben und Werk konzipierte Abend zur etwas schwierigeren Theaterkost. Die Hofer hatten es sich nämlich vorgenommen, nicht einfach Leben und Werk des ersten Filmstars der Welt abzubilden, sondern lieferten eine Gegenüberstellung der einzelnen Lebensstationen Chaplins vom armen Jungen in einer armen Londoner Gegend bis hin zum gefeierten Oscarpreisträger sowohl anhand seiner berühmten Filmrollen als auch seiner wirklichen Biografie. Mit einer Oscar-Statue auf der ansonsten noch völlig leeren Bühne begann der Abend und auf diesen Oscar lief der Abend hinaus.
Zart romanitsch
In ihrer Choreographie wollte Barbara Buser zeigen, wie sehr sich vor allem die am Anfang immer zart romantischen Paarbeziehungen in den Filmen von der Wirklichkeit seiner meist gründlich misslungenen Liebesbeziehungen unterschieden. David Santos Olero tanzte den Filmhelden vom Tramp bis zum "Großen Diktator " (den "Künstler"), während Lucas Corréa den wirklichen Chaplin ("den Privatmann") interpretierte.
Das war für die Choreographie eine großartige Chance für eine immer neue Darstellung von Pas-de-deux mit seinen Partnerinnen, aber auch der beiden Männer, die sich oft parallel auf der Hauptbühne und den Stufen im Hintergrund abspielten.
Entlang Chaplins Biografie trafen er und sein Alter Ego da die Darstellerin Edna Purviance (getanzt von Tanja Angelovski), seine drei Ehefrauen Mildred Harris (Naila Fiol), Lita Grey (Tanja Angelovski) und Paulette Goddard (Kanako Ishiko) und seine "Affäre" (Isabella Bartolini).
Verlieben und Entlieben
Vom zur Filmikone gewordenen armen Tramp wurden Verlieben und schmerzhaftes Entlieben in immer neuen Variationen dargestellt. Beeindruckend in dieser langen Abfolge dann seine letzte, die vierte Ehefrau Oona O'Neill, mit der er bis zu seinem Tod zusammenblieb. Sie wurde von Isabella Bartolini verkörpert, die (psychologisch aufschlussreich) auch die erste Frau seines Lebens, seine Mutter, schon gegeben hatte.
Mit ihr änderte sich der Paartanz der beiden entscheidend. Was bei den ersten Partnerinnen immer mit romantischer Annäherung begann und sehr schnell in heftigen Streit mündete, wurde mit Oona zu einem natürliche-harmonischen Sich-Finden.
Eine Hommage an die betörende Welt der Stummfilmschönen wurde Kanako Ishikos Soloauftritt im weißen Tüllkostüm in "Limelights", eine ungebrochene Darstellung der Schönheit des Tanzes und schöne Hinführung zu jener einzigen erfüllten Liebesbeziehung.
Chaplins kritische Haltung gegenüber seiner Zeit wurde vor allem anhand der Filme "Modern Times" und natürlich "Der große Diktator " in eindrucksvoll getanzten Tableaus gestaltet. Die Monotonie und Menschenfeindlichkeit der Fließbandarbeit in "Modern Times" tanzte die Truppe in schmerzhaft wirkenden Verrenkungen und mit gesenktem Kopf vor dem mörderischen Räderwerk, in das Chaplin im Film gerät.
Diktator mit der Weltkugel
Ins Zentrum ihres Ballettabends stellten die Hofer den wohl berühmtesten Film Chaplins mit der in ihrer ganzen Absurdheit und mit viel Zeit von David Santos Ollero interpretierten Pas-de-deux des Diktators mit der Weltkugel, jene Hitlerparodie, die um die Welt ging.
Eine zentrale Rolle bekam aber dann kein Musikstück, sondern die Rezitation der berühmten Friedensrede Chaplins im Film als Antwort auf den sich 1940 auf dem Höhepunkt seines Erfolgs fühlenden Gewaltherrscher in Deutschland: "Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein. Wir müssen es nur wieder zu leben lernen."
Genialer Schöpfer
Einen riesigen Bilderbogen präsentierte die Hofer Truppe, die auch im Ensembletanz die Welt der Arbeiter, Soldaten und die habgierigen Straßenleute in Chaplins Zeit und deren Rolle in seinem Leben in interessanten Formationen zeigten, meist zur Originalmusik Charlie Chaplins, zu Kompositionen, die ihn auch auf diesem Gebiet als genialen Schöpfer ausweisen.
Trotz der recht nüchternen Umgebung im Max-Littmann-Saal wurde das Publikum hineingeführt in Chaplins Welt, ihre komisch wirkenden Absurditäten, aber auch in seine depressive Melancholie.
Erst am Schluss lösten heftiger Beifall und viele Bravorufe die konzentrierte Spannung des Abends auf.