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Bad Kissingen
Bad Kissingen: Scherenschnitt und Musik aus den 1920er Jahren
Die "Nachtmusik 2019" in Bad Kissingen zeigt den Animationsfilm "Prinz Ahmed". Das Kurorchester spielt Filmmusik von Wolfgang Zeller dazu, der auch für die Nazis Musik gemacht hat.
Happy End: Der Sultan hat seinen Sohn Ahmed wieder, der die schöne Pari Banu als Frau mitbringt; seine Tochter kriegt Aladin, der ihr ein wunderschönes Schloss hergezaubert hat - Finale des wunderbaren Konzerts der Staatsbad Philharmonie zum Film 'Die Abenteuer des Prinzen Ahmed' von Lotte Reiniger im Max-Littmann-Saal Foto: Gerhild Ahnert       -  Happy End: Der Sultan hat seinen Sohn Ahmed wieder, der die schöne Pari Banu als Frau mitbringt; seine Tochter kriegt Aladin, der ihr ein wunderschönes Schloss hergezaubert hat - Finale des wunderbaren Konzerts der Staatsbad Philharmonie zum Film 'Die Abenteuer des Prinzen Ahmed' von Lotte Reiniger im Max-Littmann-Saal Foto: Gerhild Ahnert
| Happy End: Der Sultan hat seinen Sohn Ahmed wieder, der die schöne Pari Banu als Frau mitbringt; seine Tochter kriegt Aladin, der ihr ein wunderschönes Schloss hergezaubert hat - Finale des wunderbaren Konzerts der ...
Gerhild Ahnert
 |  aktualisiert: 18.08.2022 05:05 Uhr

Es war wirklich ein besonderes und mitreißendes Erlebnis, zu dem die Staatsbad Philharmonie Bad Kissingen anlässlich ihrer "Nachtmusik 2019" in den Max-Littmann-Saal geladen hatte. Erfreulich viele Neugierige waren gekommen, aber eigentlich hätte der Saal ganz gefüllt sein müssen bei dieser Präsentation gleich zweier Meilensteine der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts: des weltweit ersten abendfüllenden Animationsfilms von Lotte Reiniger, der im Jahr 1926, zehn Jahre vor Disneys "Schneewittchen", herauskam, und der ersten großen Filmmusik von Wolfgang Zeller, dem damaligen Komponisten und Dirigenten an der Berliner Volksbühne und gefeierten deutschen Filmmusikers der turbulenten Jahre von 1926 bis 1959.

Lotte Reiniger ist in die Annalen des internationalen Films eingegangen, auch wenn sie dem öffentlichen Bewusstsein seit ihrem Weggang aus Deutschland 1935, "weil ihr diese Hitler-Veranstaltung nicht passte", bis in die 1970er Jahre völlig entschwunden war. Ihr verschollener "Prinz Ahmed" konnte erst zu ihrem 100-jährigen Geburtstag 1999 aus Archiven rekonstruiert werden. Was von ihr nach 1945 in Deutschland vorhanden war, war eine Würdigung in einem englischsprachigen Kurzfilm aus dem Fundus des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft (FWU), das der Projektion ihres berühmten "Die Abenteuer des Prinzen Ahmed" im Littmann-Saal vorangestellt wurde.

In ihm demonstriert sie ihre Arbeitsweise von der Skizze zum Scherenschnitt mit einzeln beweglichen Gliedmaßen und ihre Aufnahmetechnik mit fest installierter Kamera über einem von unten beleuchteten "Tricktisch". Drei Jahre brauchte sie mit ihrem Mann und drei Mitarbeitern, um die aus vielen Episoden, hauptsächlich aus "Tausendundeiner Nacht", und 240.000 Einzeleinstellungen bestehende Geschichte zu einem 66 Minuten langen Film zusammenzustellen.

Keine Fußnote der Filmgeschichte mehr

In dem gelangt der Prinz Ahmed auf dem Zauberpferd des gefährlichen afrikanischen Zauberers auf die Inseln von Wak Wak, wo die betörend schöne Pari Banu über ihre Dämonen herrscht. Mit Hilfe einer mit dem Zauberer verfeindeten Hexe vom Flammenberg und Aladins und seiner Wunderlampe gewinnt er am Ende für sich Pari Banu und Aladin kriegt endlich Ahmeds Schwester Dinarsade.

Reinigers Animationsfilm ist auch heute noch angesichts des staunenswerten Einfallsreichtums und der Ästhetik der Figuren und Landschaften (weit entfernt von den späteren genormten Figuren aus der Disney Produktion), dem natürlichen Fluss der Bewegungen, des Raffinements der Bildkompositionen (Flüge durch die Wolkenschichten und Meere, chinesische und Südseelandschaften, personenreiche Volksaufläufe, wilde Kämpfe und Schlachten, expressionistische Innenräume und Draufsichten) absolut begeisternd und spannend.

Wunderbar, dieses Werk einer 26-jährigen Berlinerin aus dem kulturell so ungeheuer lebendigen Zwischenkriegsdeutschland endlich sehen zu können, nachdem sie so lange nur als Fußnote der Filmgeschichte behandelt wurde. Lotte Reiniger schuf noch viele weitere Filme in ihrer Technik, auch in ihrer Wahlheimat England; ihr Gesamtwerk ist jetzt auf DVD erhältlich. 1972 erhielt sie das Filmband in Gold und starb 1981 in Dettenhausen, wohin sie 1979 übersiedelt war. 2014 wurde sie mit einem Stern auf dem "Boulevard der Stars" auf dem Potsdamer Platz in Berlin geehrt.

Filmmusik für die Nationalsozialisten

Da die Bad Kissinger Staatsbad Philharmonie und ihr Orchestermanager Roman Riedel zu dem Filmmusik-Konzert geladen hatten, steht trotz der Prominenz von Frau Reiniger zu vermuten, dass auch die Musik zu "Die Abenteuer des Prinzen Ahmed" eine gewichtige Rolle spielte bei diesem Projekt, wenn auch der Komponist etwas unterging bei der Promotion. Wie man im Vorfilm erfahren hatte, wurde diese für den Film komponierte Musik Note für Note auf die Einzelbilder verteilt und trug entscheidende zum Erfolg des Films bei.

Für den Musiker Wolfgang Zeller bedeutete seine Arbeit für Lotte Reiniger einen Durchbruch als Filmkomponist. Er hatte schon Schauspielmusik für Erwin Piscator und Heinz Hilpert geschrieben und wurde 1926 schlagartig zu einem der gefragtesten und 1927 meistgespielter Filmmusiker in Deutschland, schrieb auch die Musik zum ersten abendfüllenden deutschen Tonfilm, "Melodie der Welt" (1928). Nach der Machtübernahme der Nazis gehörte er zum Produktionsteam um Emil Jannings und komponierte unentwegt und äußerst produktiv für alle Filmsparten, auch Propagandafilme wie Veit Harlans "Der Herrscher" (1937) oder "Jud Süß" (1940).

Nach 1945 arbeitete er für die DEFA, etwa im antifaschistischen Film "Ehe im Schatten" (1947) oder in "Die Brücke" (1949). Seit 1950 beschäftigte ihn die westdeutsche Filmindustrie in unterschiedlichen Genres wie etwa dem Liebesmelodram "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" (1953) oder dem Heimatfilm "Die Landärztin" mit Marianne Koch . Er schrieb viele Filmmusiken für Dokumentarfilme wie etwa Bernhard Grzimeks "Serengeti darf nicht sterben" (1959). Dass man diesen enorm erfolgreichen Komponisten nicht ebenso auf dem Schirm hat wie manche seiner amerikanischen Kollegen liegt sicherlich an seiner Rolle im Nazi-Filmimperium.

Drei Tage zusammen geprobt

Wie absolut überzeugend er aber schon in seinem ersten Film Reinigers bewegte Bilder mit Musik kommentieren, illustrieren, Dramatik in einem häufig äußerst differenzierten Satz herausarbeiten konnte, bewies die Aufführung der Staatsbad Philharmonie unter der Stabführung des Gastdirigenten Stefan Geiger, der sich mit Filmmusik und Musik etwa zu Computerspielen sehr gut auskennt. Zellers souveränes Verfügen über alle Musikstile vor und in seiner Zeit zum Zwecke der Emotionslenkung des Publikums, aber auch die vielen solistischen Aufgaben für die Orchestermitglieder waren bei ihm und seinen Musikern in besten Händen.

Die dreitägige Probenzeit im Regentenbau hatten aus ihm und den Bad Kissinger "Kurmusikern" eine hochkonzentrierte, frisch und blitzsauber aufspielende Formation geschmiedet, die kongeniale Musik zu den fantastischen Bildern Reinigers machten. Das war mitreißend, spannend, begeisternd bis zum Schluss. Das offenbar von der Qualität und Außergewöhnlichkeit des Konzerts überwältigte Publikum applaudierte frenetisch und langanhaltend. Geiger ließ daraufhin noch einmal eine der eingängigen Melodien Zellers als Zugabe wiederholen, "damit das Publikum das Orchester auch mal bei Licht sehen" konnte.

 
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