An die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Dritten Reichs hat Peter Deeg kaum bewusste Erinnerungen. Dafür war er zu klein. „Was damals passiert ist, weiß ich nur aus Erzählungen. Ich bilde mir aber ein, ich hätte miterlebt, wie die Muna in Rottershausen zerstört wurde“, sagt der 81-Jährige. Die Explosion hat er noch im Kopf.
Geburt in Lemberg
1942 wurde Deeg in Lemberg, in der heutigen Ukraine, damals Polen, geboren. Die Eltern hatte es durch die Kriegsumstände dorthin verschlagen: Der Vater , Peter Deeg senior, leitete dort für die deutschen Besatzer mehrere Bauunternehmen und baute Straßen. Bis 1944 blieben die Eltern im Osten, bevor sie nach Bad Kissingen zurückkehrten. Der Vater wurde in den letzten Kriegsmonaten zum Kämpfen eingezogen, beging Fahnenflucht und schlug sich mit dem Rad allein vom Rhein quer durch Deutschland zur Familie zurück. „Es war für sie eine schwierige Zeit“, sagt Deeg.
Prof. Dr. Peter Deeg ist Klinikbetreiber, Kardiologe und Facharzt für Innere Medizin, war zweiter Bürgermeister der Stadt Bad Kissingen sowie für die CSU Mitglied des Stadtrates. Verstanden, was der Krieg und das Nazi-Regime bedeuteten und wie sein Vater darin verstrickt war, hat er erst später. „Die Geschichte meines Vaters hat sich auf die Familie übertragen. Wir mussten uns lange damit beschäftigen. Mein Vater war eine komplexe Persönlichkeit. Aber seine Vergangenheit hatte keine negativen Auswirkungen auf mich“, sagt er.
Konservativer Wertekodex der Eltern
Im Gegenteil: Seinen Eltern habe er viel zu verdanken, angefangen bei der hervorragenden akademischen Laufbahn, die ihn Ärztlicher Direktor der eigenen Klinik werden ließ, bis hin zu über einem unerschütterlichen konservativen Wertekodex, der ihn durchs Leben geleitet hat – als Mediziner, als Demokrat und Lokalpolitiker.
Sein Vater war eine umstrittene Persönlichkeit, der für die Karriere mit dem Teufel paktierte. Deeg senior gewann als junger Anwalt 1934 sensationell den Mordprozess von Waltershausen, wurde von den Nazis hofiert und überwarf sich dennoch mit ihnen. Aus der NSDAP geworfen, wurde ihm die Zulassung zum Rechtsanwalt verweigert. Um diese wieder zu erhalten, schrieb er im Auftrag von Julius Streicher (Herausgeber des Hetzblattes „Der Stürmer“) antisemitische Bücher. Doch statt als Anwalt arbeiten zu dürfen, wurde Deeg senior wegen einer Nichtigkeit von einem nationalsozialistischen Gericht verurteilt und wanderte einige Monate ins Gefängnis.
Freundschaft zu Franz-Josef Strauß
Während des Krieges war Deeg senior Inhaber eines Verlags in Leipzig, der bedeutende baltische Schriftsteller verlegte. Doch der wirtschaftliche Erfolg blieb aus. 1941 ging er in das besetzte Polen und übernahm die Geschäftsführung in den Bauunternehmen. Nach dem Krieg verbrachte er ein Jahr in einem Internierungslager. In der neuen Bundesrepublik arbeitete Deeg wieder als Rechtsanwalt, war Mitglied in der CSU und pflegte eine enge Freundschaft zu Franz-Josef Strauß , mit dem er in die Spiegel-Affäre verwickelt war. Er gründete zudem die Deegenbergklinik in Reiterswiesen.
Verstrickt, aber kein Antisemit
„Mein Vater war kein Antisemit“, sagt Peter Deeg . Der Vater habe in einer schweren Zeit seinen Weg gesucht und Fehler begangen, für die er als Mensch aber selbst verantwortlich gewesen sei. Die Geschichte des Vaters war Thema in der Familie, genauso wie die furchtbare Zeit des Krieges an sich. „Als Jugendlicher habe ich langsam realisiert, was da abgelaufen ist“, erzählt der Mediziner. Viel von den Geschehnissen habe er erst im Lauf des Lebens reflektiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Peter Deeg eine ruhige und normale Kindheit in Bad Kissingen . Er besuchte die Grundschule, absolvierte das Gymnasium, begann im Anschluss das Medizinstudium. Die Verwicklungen des Vaters mit den Nationalsozialisten hätten keine Auswirkung auf die eigene charakterliche Entwicklung gehabt, erzählt er. „Mein Vater war ein liberal eingestellter Mensch“, beschreibt Deeg.
„Ich ärgere mich lieber in Freiheit, als dass ich mich im Gefängnis ärgere“
Von den Eltern und anderen Bezugspersonen habe er einen liberal-konservativen, demokratischen Wertekanon vermittelt bekommen. „Ich bin nicht beratungsresistent. Ich versuche so zu leben, dass ich anderen nicht zu nahe trete und trotzdem ich selbst bleibe“, sagt er.
Die Politik hat im Hause Deeg immer eine große Rolle gespielt. „Mein Vater hatte ein breites Netzwerk in alle Parteien und hat mich als Jugendlichen auch mit nach Bonn genommen, zum Kennenlernen. Das war eindrucksvoll“, erinnert sich der 81-Jährige. Während seiner Schulzeit war er in einer katholischen Jugendverbindung, engagierte sich für die CSU im Wahlkampf.
Später Weg in die Lokalpolitik
Parteipolitisch aktiv wurde er allerdings erst in späteren Jahren, im Erwachsenenleben hatte die Karriere als Arzt Vorrang. „Ganz hat einen die Politik natürlich nie losgelassen“, erzählt Deeg. 2002 wurde Deeg für die CSU in den Kissinger Stadtrat gewählt, in der darauffolgenden Amtszeit ab 2008 war er Zweiter Bürgermeister.
In einer Demokratie leben zu dürfen, hält Deeg für ein enorm wichtiges Gut. „Ich ärgere mich lieber in Freiheit, als dass ich mich im Gefängnis ärgere“, erzählt er, auch mit Blick auf die Lebensgeschichte seines Vaters . Damit eine Demokratie gut funktioniert, brauche es Bildung. Davon ist der Professor überzeugt. „Bildung hilft, politische Bewegungen richtig zu bewerten und einzuordnen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, wohin etwas führt“, sagt er. Bildung sei wichtig, um nicht auf Falschinformationen hereinzufallen.
Rechtes Erstarken als Herausforderung
Das Erstarken rechtspopulistischer Aussagen in der öffentlichen Debatte und der in Teilen rechtsextremen AfD beobachtet er mit Sorge. Gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass diese Bewegungen die Demokratie in Deutschland nicht gefährden, sondern herausfordern. „Unsere Strukturen sind so stark, dass sie allem widerstehen können“, ist er sich sicher. Den politischen Akteuren rät er, Haltung zu zeigen, keine Angst zu haben und diese Bewegungen in einer sachlichen, politischen Auseinandersetzung zu besiegen.
Grundgesetz: ein Phänomen
Zentraler Pfeiler für die Demokratie sei das Grundgesetz und die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Beide schützen die Menschen vor Willkür und geben jedem die Möglichkeit, sich zu wehren. „Die Entstehung des Grundgesetzes ist ein Phänomen“, findet Deeg. Er habe zwei Männer kennengelernt, die 1949 dabei waren. „Es ist ein Phänomen, dass Menschen, die in einer Diktatur gelebt haben, eine funktionierende Demokratie aufgebaut haben“, sagt er. Und so den Menschen jetzt ein gutes Leben in Freiheit ermöglicht haben.
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