Sage niemand, Filmmusik sei eine einfache Sache. Mit ein bisschen Gedudel ist es nicht getan. Der Komponist muss nicht auf irgendwelche formalen Zwänge Rücksicht nehmen – es sei denn, er will es. Denn wenn Filmmusik eine Form hat, dann ist es die der freien Fantasie. Das heißt: Man muss keine durchorganisierten Durchführungen entwickeln oder vier- bis sechsstimmige Fugen konstruieren.
Musik erzählt, was Bilder nicht zeigen können
Das Wichtige ist, eine Musik zu schreiben, die jederzeit auch abgebrochen werden kann, damit die Regisseure nicht gezwungen sind, unnötig in der Gegend herum zu filmen, bis der letzte Ton verklungen ist. „Die Musik erzählt das, was die Bilder nicht zeigen können“, hat einmal ein kluger Kopf gesagt.
Und das spielt sich meist im Unterbewussten ab. Die Musik muss also vor allem eine starke psychologische Wirkung haben, die nachhaltig wirkt, auch wenn man sie beim Anschauen eines Filmes oft nicht bewusst wahrnimmt und sie spätestens beim Verlassen des Kinos wieder vergessen hat.
Drei Erweiterungsmodulreihen
Filmmusik ist keine einfache Sache, weil sie enorm aufwendig ist. Vor allem, wenn man mehrere Komponisten und Werke präsentieren will. Denn: Da hat jeder seine eigenen Klangvorstellungen und braucht sein eigenes Instrumentarium.
Drei Erweiterungsmodulreihen vor dem Podium des Max-Littmann-Saales waren erforderlich, um nicht nur alle Instrumente – darunter mehrere Tasteninstrumente von Flügel bis Glockenspiel – unterzubringen, sondern auch den Musikern des Münchner Rundfunkorchesters unter Leitung ihres Chefs Ivan Repušić ausreichend Platz zum Musizieren zu bieten.
Ein abwechslungsreiches Konzert
Das Festivalmotto „La dolce vita“ legte auch das Thema des Konzerts nahe: Italienische Filmmusik von nahezu unbekannten bis weltberühmten Komponisten für nahezu unbekannte bis weltberühmte italienische Filme von mehr oder weniger bekannten italienischen Regisseuren . Auch ohne Durchführungen oder Fugen wurde das ein höchst vergnüglicher, höchst abwechslungsreicher Konzertabend .
Auch wenn die Filme unbekannt waren oder die Zuschauer nicht wusste, welchen Sequenzen oder Bildern die Musik zuzuordnen waren, konnten sie sich entspannt zurücklehnen und die Klänge auch als absolute Musik genießen.
Moderatorin führte durch den Abend
Obwohl: Ganz uninformiert blieb keiner: Die Moderatorin Annekathrin Hentschel war mitgekommen, lockerte die Programmfolge mit Erläuterungen aus und hielt sie gleichzeitig zusammen. Mehr Wissen war eigentlich auch nicht nötig.
Die Zuschauer hörte die Namen der Komponisten und konnte sie wieder vergessen. Namen wie Alessandro Cicognini, Riz Ortolani , Armando Trovajoli oder Claudio Gizzi zogen vorbei und verschwanden wieder – klar, Nino Rota und Ennio Morricone kannten einige schon vorher.
Unerwartetes Niveau
Trotzdem gab es die Kleinteiligkeit der Musik, die viele Klangfarben und -bilder, witzige Rhythmen, wenige lange, sangbare Melodien zu entdecken. Ihre Austauschbarkeit in gewissen Grenzen und den Ideenreichtum der Komponisten.
Und die Zuschauer freuten sich darüber, mit welchem Vergnügen das Rundfunkorchester seine Arbeit ernst nahm, mit welcher Genauigkeit und Präsenz und mit welchem Klangbewusstsein es musizierte: Unterhaltungsmusik auf einem unerwarteten Niveau.
Wenn man ein kleines Fazit ziehen wollte nach so viel Filmmusik, dann ist es zum einen die Überraschung, dass es in dieser von Männern dominierten Filmwelt auch eine Frau gibt. Nora Orlandi, die 1976 die ziemlich kraftvolle Musik zu dem Western „10000 Dollar per un massacro“ schrieb und damals sehr bekannt war.
Zuschauer unzufrieden
Zum anderen, dass Filmmusik, die im Kino Beklemmungen auslösen kann, im Konzertsaal gute Laune machen kann und schließlich, dass Ennio Morricone , der vor drei Jahren gestorben ist, doch der Beste von allen war. Er hatte die überraschendsten Ideen und die kreativsten Klangvorstellungen. Kein Wunder, dass sich die Produzenten und Regisseure um ihn gerissen haben.
Und doch: Eine gewisse Unzufriedenheit war beim Verlassen des Regentenbaus spürbar. Es dauerte, bis klar war, warum. Es hatte etwas gefehlt. Die vielleicht berühmteste Filmmusik, die schon bei der Filmpremiere zum Evergreen wurde: die Musik zu der bildstarken Bahnhofszene in dem Italowestern „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Fachleute vor Ort
Das hätte den thematischen Rahmen nicht gesprengt. Denn es war Ennio Morricone , der dieses Stück im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit Sergio Leone geschrieben hat. Das hätten die Zuschauer gerne mal live gehört, wenn die Fachleute schon vor Ort sind. Aber andererseits war es richtig, darauf zu verzichten.
Denn um „La dolce vita“ geht es in dem ziemlich gewalttätigen Film, mit dem immer so verkniffen schauenden Charles Bronson am allerwenigsten.
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