Das Bier heißt "Quell", der Wein "Lethe", sie schreiben das Jahr 160 "anno Uhui" und rufen "Lulu", wenn ihnen etwas gefällt: Der weltweite Männerbund Schlaraffia hat viele kuriose Bräuche. 261 so genannte Reyche gibt es weltweit, in allen wird Deutsch gesprochen, Zutritt haben nur Männer. Im Oktober 1955 wurde das Bad Kissinger Reych "An den Quellen" gegründet, Nummer 330 von 429 jemals vergebenen. Von Oktober bis April, der "Winterung", kommen die Schlaraffen jeden Dienstag in ihrer Burg zu einer Mischung aus mittelalterlichem Spiel und Gesangsabend und huldigen dem Humor.
Treffen heißt "Sippung"
"Ä bisserl bekloppt sinn' 'mer scho", sagt der Bad Kissinger Augenoptikermeister Thomas Lotter (65) lachend, wenn er die Regeln erläutert. An den Schlaraffen-Abenden taucht er in eine andere Welt ab: "Während der Sippung sind Themen wie Politik, Religion oder Frauen tabu", sagt er. Verstöße werden "gepönt", meist muss der Ermahnte eine Runde ausgeben. Allerdings gibt es auch einen "Kerker": eine Mauernische mit Metall-Gittertür davor.
Die Schlaraffen fliehen aus dem Alltagsleben, der so genannten "Profanei" in eine Welt mit dem Leitspruch "In Arte Voluptas", also "In der Kunst liegt das Vergnügen". In der Burg hat Lotter den Namen "Brillofix, der Linsenspitzer" und ist einer der drei Oberschlaraffen, die sich die Leitung der Sippungen teilen.
Verbeugung vor dem Uhu
Der Ablauf ist weltweit einheitlich: Zunächst singen alle ein Lied und preisen den "allweisen Uhu ". Jeder verbeugt sich vor dem ausgestopften Tier an der Wand. Zeremonienmeister "Inspiratos, der Musenreiter" (Bernd Peter Müller aus Nüdlingen) führt die Gäste herein, die mit einem Spalier aus (Holz-)Schwertern begrüßt werden. Es folgen Nettigkeiten und Sticheleien. Nach dem offiziellen Teil und Formalitäten geht es zu den "Fechsungen" - Wort-Beiträgen, die vom Schiller-Gedicht bis zur selbst gereimten lustigen Rede reichen. Zugelassen ist nur eine einzige Frau, die "Styxin" sorgt für Speisen und Getränke.
Jeder Name der weltweit rund 10 500 Schlaraffen ist einzigartig und muss vom Weltverband "Allschlaraffia" abgesegnet werden. In einem dicken Buch, der "Stamm-Rolle", werden jedes Jahr alle Reyche und alle Ritter zusammen gefasst. Denn: Schlaraffen sind weltweit vernetzt. "Ich habe schon Reyche in den USA, in Österreich und in der Schweiz besucht", berichtet Lotter. Andere Ritter aus Bad Kissingen hat es bis nach Tokyo und Kapstadt verschlagen. "In Nordamerika gibt es Nachwuchs-Probleme, aber in Südamerika haben die Reyche viel Zulauf, weil dort das Deutschtum hoch gehalten wird", erzählt Lotter.
Auch in Bad Kissingen ist das Reych überaltert: 162 Ritter gab es seit der Gründung, jeder mit eigenem Wappen, das in der Burg hängt: Links die der Verstorbenen, rechts die der 31 noch lebenden Ritter. Für die Verstorbenen gibt es einmal im Jahr auch eine "Ahalla"-Feier. "Das Durchschnittsalter liegt bei weit über 70 Jahren", berichtet Lotter. Selbst der aktuelle Prüfling, der sich um eine Aufnahme bewirbt, ist bereits 70 Jahre alt (siehe rechts). "Daher werden auch immer Jüngere gesucht."
Gegründet wurde die Schlaraffia 1859 in Prag, von Künstlern und als Gegen-Bewegung zu strengen Verbindungen. In Bad Kissingen gab es in den 1920er Jahren die ersten Versuche, ein Reych zu gründen, ein Berliner Arzt übernahm die Initiative. "Wir sind kein Geheimbund", stellt Lotter klar. Von Querulanten, die als "Reichsbürger" die Bundesrepublik leugnen, distanziert er sich strikt: "Schlaraffe ist man für diesen Abend." Für die profane Welt hat die Schlaraffia einen eingetragenen Verein gegründet, dem auch die "Burg" gehört: In dem unscheinbaren Gebäude zwischen Salinen- und Friedrich-List-Straße sind neben dem Rittersaal auch zwei Wohnungen.
Die Statements:
Gast: Ritter "Pfundig", Helmut Stumpf
Das Würzburger Schlaraffen-Reych trägt den Namen "Herbibolis" und hat 86 Mitglieder. Von dort kommt der Unterpleichfelder Helmut Stumpf regelmäßig nach Bad Kissingen . " Bad Kissingen ist mein Lieblingsreych", beteuert der 69-Jährige. Schon mehr als 50 Mal sei er an die Saale "ausgeritten". Mitglied bei den Schlaraffen wurde Stumpf vor 30 Jahren in Tübingen. Als er aus beruflichen Gründen nach Würzburg umzog, wechselte er auch die Reyche.
Altvorderer: "Pro-Saunio", Rainer Wirth
Bereits seit 54 Jahren ist der gebürtige Bad Kissinger Rainer Wirth bei der Schlaraffia. In seinem Ritter-Namen habe er seine Vorliebe fürs Saunieren verewigt, erzählt der 87-Jährige. Jeden Dienstag komme er zu den geselligen Abenden in die Burg. "Ausritte", also Reisen zu anderen Reychen, haben ihn bereits in die USA und nach Japan geführt. Sein Motto lautet deshalb: "Wer Schlaraffe wird, hat mehr vom Leben. Und wer ausreitet, hat mehr von der Schlaraffia."
Nachwuchs: Hans-Wilhelm Wallrab
Der gebürtige Reußendorfer Hans-Wilhelm Wallrab ist aktuell Prüfling der Bad Kissinger Schlaraffia. Der 70-Jährige aus Oberstreu hat durch Zufall bei einer Wanderung des Rhönklubs von dem Männerbund erfahren. "Ich lache gerne, hier wird nicht geklagt oder gejammert", fasst er seine ersten Eindrücke von den Besuchen als "Pilger" zusammen. Einen Schlaraffen-Namen gibt es erst nach Prüfungen und dem offiziellen Ritterschlag.