Die Uniklinik Erlangen entwickelt einen unsichtbaren Wächter. Dieser registriert Herz- und Atembewegungen von Patienten - ganz ohne Kabel und Elektroden. Verschlechtert sich der Gesundheitszustand, soll dieser Wächter frühzeitig Pflegepersonal und Ärzte warnen, damit sie reagieren können. "Guardian" heißt das System, das die palliativmedizinische Abteilung des Uniklinikums derzeit erprobt. Aus Bad Kissinger Sicht das Besondere daran: In dem Forschungsprojekt steckt Knowhow aus der Kurs tadt.
Professor Christoph Ostgathe leitet die palliativmedizinische Abteilung in Erlangen und das vom Bundesministerium für Forschung (BMBF) geförderte Projekt. Für schwerkranke Menschen soll auf der Station trotz fortgeschrittener Erkrankung eine möglichst gute Lebensqualität erreicht werden. Dabei steht nicht die klassische Medizintechnik im Vordergrund. Patienten sind in aller Regel nicht rund um die Uhr an medizinische Geräte angeschlossen und stehen nicht unter Dauerüberwachung wie etwa Patienten auf der Intensivstation. So haben sie zwar mehr Freiheit, aber: "Der Arzt oder das Pflegepersonal bekommt es nicht immer mit, wenn sich der Gesundheitszustand rapide und schnell verschlechtert", sagt der Palliativmediziner . Dann fehle etwa die Zeit, die Angehörigen rechtzeitig zu informieren. "Es kommt vor, dass der Patient unbeobachtet stirbt und die Angehörigen hatten eigentlich den Wunsch, dabei zu sein", sagt er.
Guardian soll so etwas in Zukunft verhindern. Vier Sensoren sind dazu unter dem Bett angebracht und messen jede noch so kleine Bewegungen auf der Matratze. Ostgathe: "Wir können damit den Herzschlag als Bewegung auf der Körperoberfläche im Mikrometerbereich genau nachvollziehen." Über die sogenannte Herzratenvariabilität erfahren die Mediziner, ob sich der Patient wohlfühlt oder ob er zum Beispiel an Schmerzen leidet beziehungsweise sich ein kritischer Zustand ankündigt.
Bislang wurde die Technik unter standardisierten Bedingungen erprobt - mit guten Ergebnissen. Gegenwärtig kommt sie im klinischen Umfeld zum Einsatz. Bis Guardian tatsächlich ausgereift und zugelassen ist, werden aber noch Jahre vergehen. "Wir sind aber guter Dinge", sagt Ostgathe.
Die Einsatzmöglichkeiten sind jedenfalls vielfältig: Guardian sei zum Beispiel geeignet, um Patienten auf einer normalen Krankenhausstation mit relativ wenig Aufwand medizinisch zu überwachen. Das entlaste auch das Pflegepersonal . Auch ist der Einsatz als Frühwarnsystem denkbar bei Kindern mit epileptischen Anfällen. "Man weiß inzwischen ziemlich genau, dass sich bis zu 15 Minuten vor so einem Anfall die Herzfunktion verändert", erklärt der Mediziner.
Leberkrankheiten erschnuppern
Das Bad Kissinger Medizingeräte-Unternehmen Geratherm Respiratory ist eines von mehreren Partnern bei dem Forschungsprojekt. "Wir haben die Konstruktion beigesteuert, mit der die Sensorik unter dem Bett verbaut wurde", erklärt Entwicklungsleiter Manuel Heinz. Guardian misst neben der Herzfunktion auch die Lungentätigkeit. Hier hat Geratherm sein Fachwissen eingebracht. Aus allen Daten , die die Sensoren aufzeichnen, muss ein Algorithmus die herausfiltern, die gebraucht werden, um die Atmung zu überwachen. Um diese Daten zu erkennen, mussten vorher Kriterien festgelegt werden. "Wir haben diese Signalauswertung unterstützt", berichtet Heinz.
Die Firma ist an weiteren Forschungsprojekten beteiligt, etwa an "Liver Tracer" unter der Federführung der Uniklinik Jena. Heinz: "Da geht es im Prinzip um eine elektronische Nase, die in der Atemluft Stoffe detektiert, die auf eine Lebererkrankung hindeuten." Auch hier seien die ersten Ergebnisse vielversprechend, wenngleich es noch dauern werde, bis aus dem Projekt ein zugelassenes Medizingerät hervorgeht. Weiter fortgeschritten ist die Entwicklung einer vereinfachten Beatmungshilfe zusammen mit der Uni Amsterdam. Geratherm verspricht sich hiervon ein Gerät, das insbesondere in Schwellenländern zur Behandlung von Covid-19 Patienten zum Einsatz kommen kann.
Die Forschungsarbeit führt zwar nicht immer unmittelbar zu neuen Produkten, die Geratherm vermarkten kann, dennoch ist sie für das Unternehmen wertvoll. "Wir lernen viel für uns dazu und bauen unser Netzwerk an Partnern aus", sagt Geschäftsführer Kunibert Schäfer.
Nachfrage aus China steigt
Das Unternehmen besteht seit 13 Jahren und hat sich zuletzt stetig vergrößert. Im Frühjahr hat es mit seinen mehr als 20 Mitarbeitern den Neubau in der Kasernenstraße unterhalb der Polizei bezogen. Mittlerweile sind die meisten Arbeiten auf dem Areal beendet, eine große Einweihungsfeier gibt es wegen Corona nicht. Das Gebäude biete genug Platz, dass Geratherm in den nächsten Jahren weiter wachsen könne. Schäfer: "Wir haben außerdem die Möglichkeit, am Standort noch um eine Etage zu erweitern", sagt er.
Kerngeschäft sind Geräte- und Softwareentwicklung zur Lungendiagnostik (Gasaustauschmessung, Onkologie, Patientenüberwachung und Vitalparametermessung). Die Pandemie habe das Unternehmen bisher gut, wenn auch nicht ohne Schwierigkeiten überstanden. "Aktuell haben wir das Problem, dass wir bei manchen Produkten mit einem enormen Lieferverzug konfrontiert sind", sagt Schäfer. Gleichzeitig ziehe die Nachfrage vor allem aus China an. Das Land investiert in Lungendiagnostikgeräte, um Patienten überwachen zu können, die eine Coronaerkrankung überstanden haben. "China unternimmt große Anstrengungen, um die Nachsorge weiterzuentwickeln. Das merken wir so in europäischen Ländern nicht", berichtet der Geschäftsführer.
Gute Noten für Technik-Studenten
Für die Medizintechnik Firma Geratherm ist die Anbindung an Universitäten nicht nur im Hinblick auf Forschungsprojekte wichtig (siehe Bericht ). Das Unternehmen braucht den guten Kontakt zu den Hochschulen in Schweinfurt und Würzburg, um Fachkräfte zu gewinnen.
Zuletzt haben zwei Studenten ihr Studienabschlussarbeiten bei Geratherm geleistet. Melanie Beck hat sich in ihrer Masterarbeit (Note: 1,0) dem Thema Daten- und Softwaresicherheit gewidmet. Die Arbeit beleuchtet Aspekte wie sichere Verschlüsselung und digitale Signaturen sowie das Recht auf Vergessenwerden. "Die Arbeit hat gerade bei sensiblen Patientendaten einen hohen Stellenwert", lobt Geratherm Geschäftsführer Kunibert Schäfer. André Loesch hat sich in seiner Masterarbeit (Note: 1,3) mit einer Demonstrationssoftware zur Reflexion und Brechung elektromagnetischer Wellen beschäftigt. Dabei hat er die entsprechenden Lösungsalgorithmen angepasst sowie eine Materialdatenbank angelegt und integriert.