
Als Hope 17 Jahre war, schleusten Menschenhändler sie von Nigeria nach Europa. Sie zwangen sie, sich zu prostituieren. "Hope" so wird sie hier in Deutschland genannt. Nun, zehn Jahre später, wohnt die dreifache Mutter im Landkreis. Die Frauen der Bad Kissinger Organisation "Solwodi" nahmen Hope in ein Schutzhaus auf. "Solwodi" setzt sich für ausländischen Frauen ein, die Not und Gewalt erfahren haben.
Ermordet von Boko Haram
Im Gespräch mit dieser Redaktion erzählt Hope ihre Geschichte. Hopes Vater wurde durch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ermordet, "weil er Christ war". Ihre Mutter war darüber so "geschockt", dass sie sich nicht mehr um ihre Tochter kümmern konnte und ins Krankenhaus kam.
Ein Priester vermittelte das alleinstehende Mädchen an eine Frau, die ihr angeblich helfen sollte. "Ich dachte, er kann nicht lügen." Die "Madame" gab Hope das Versprechen, sie könne ihre Schulbildung in Europa fortsetzen.
Dafür allerdings musste Hope vor der Reise nach Europa einen "Juju"-Schwur leisten (gesprochen Tschu-Tschu). Ihre Haare, ihre Fingernägel, eine Unterhose wurden für das Ritual verwendet. Sie musste ein blutiges Hühnerherz essen und schwor, bei ihrem Leben, alle Kosten zurückzuzahlen, die für die Reise nach Europa und ihre Schulbildung anfallen würden. Halte sie sich nicht daran, komme "Juju", bringe Unglück oder töte sie.
Zwangsprostitution in Griechenland
Als sie in Griechenland ankam, kommt der Schock: Insgesamt 60 000 Euro soll sie auf einem Straßenstrich verdienen. Prostitution kann sie sich zunächst nicht vorstellen, hat aber nichts zu essen, macht es schließlich doch. Die unangenehmen Gefühle schluckt sie mit Alkohol herunter.
Nach eineinhalb Jahren beschließt sie 2013, dass sie so nicht leben will und flieht zu Fuß. Sie kommt in einer Asylunterkunft in Baden-Württemberg unter. Niemand weiß, was sie erlebt hat. Scham und der Juju-Schwur lassen sie schweigen. Einer Betreuerin, die merkt, dass etwas nicht stimmt, offenbart sie schließlich, dass sie "sich nicht mehr auf die Straße traut", weil sie von Mittelsmännern ihrer "Madame" gefunden und bedroht wird.
Vernetzung über ganz Europa
Das Erstaunliche: Die "Madame" wohnt eigentlich in Spanien. Sie sei aber so gut vernetzt, dass Hope auch in Südbaden nicht vor ihr und ihrer Gefolgschaft sicher ist. Der Fall geht an die Polizei . Hopes Notlage erreicht schließlich die Bad Kissinger Mitarbeiterinnen von "Solwodi". Das Team hält Hopes Geschichte für glaubwürdig und bringt sie in ein Schutzhaus. Hope ist eine von 88 Frauen, die 2020 das erste Mal bei "Solwodi" Hilfe suchten. Leiterin Renate Hofmann, Veronika Richler-Yazeji und zwei weitere Mitarbeiterinnen betreuten zusätzlich weitere 38 Frauen, mit denen sie schon länger - teils seit Jahren - in Kontakt stehen.
"Oft sind es sehr junge Frauen, gerade 18 Jahre alt geworden", sagt Hofmann. Kaum jemand ist 30 Jahre. Viele Frauen haben mehrere Kinder . Es sind Frauen, die wie Hope Zwangsprostitution oder Gewalt in der Partnerschaft erlebten. Manche brauchen Hilfe, weil sie sich in einer Zwangsehe befinden oder drohen, bald in eine solche zu geraten.
Unterbringung in der Schutzwohnung
"Solwodi" hilft ihnen, etwa bei behördlich-rechtlichen Fragen und beim Kontakt mit der Arbeitsagentur, der Polizei , Rechtsanwälten, Gerichten oder dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Im Falle von Hope halfen sie, dass ihre zwei älteren Kinder einen Platz im Kindergarten bekommen. Sie unterstützen sie bei der Beantragung der Pässe bei der nigerianischen Botschaft, in Gesprächen mit dem Jobcenter oder bei Unterhaltsansprüchen.
Vor kurzem erhielt Hope die Nachricht, dass sie einen Aufenthaltstitel für ein Jahr bekommt. "Sie kann jetzt in eine eigene Wohnung einziehen, wenn wir eine finden", sagt Hofmann. Hope hat eine Ausbildung als Altenpflegerin, darauf will sie aufbauen. Das große Ziel: "Ein eigenes, selbstbestimmtes Leben aufbauen - etwas, was manche Frauen noch nie hatten", sagt Solwodi-Mitarbeiterin Veronika Richler-Yazeji. "Ohne Euch würde es nicht gehen", sagt Hope zu den beiden Frauen.
Unterstützung Solwodi
SOLWODI steht für SOLidarity with WOmen in DIstress (Solidarität mit Frauen in Not).Der Dachverein untergliedert sich in sechs Landesvereine. Neben Bad Kissingen gehören zum Bayerischen Landesverein Augsburg, München, Passau und Regensburg.
Die internationale Frauenhilfsorganisation ist auf Spenden angewiesen. "Ohne Spenden können wir nicht leben", sagt Leiterin Renate Hofmann (62).
E-Mail: bad.kissingen@solwodi.de
IBAN: DE73 7906 5028 0005 7260 50 / BIC: GENODEF1BRK
Außerdem ist das Team auf der Suche nach einer neuen Kollegin.