Stadtgeschichte bewegt. Unlängst hat unsere Zeitung über die Stadtvilla in der Kurhausstraße 43 berichtet. Das Anwesen zählt zwar nicht zu den bekannten hiesigen Kurhäusern, dennoch hat das Landesamt für Denkmalpflege es unter Denkmalschutz gestellt - zum einen wegen des namhaften und für Bad Kissingen bedeutenden Architekten Franz Krampf. Und zum anderen, weil auch im Innern noch alles im Original erhalten ist: ein Spiegel der großbürgerlichen Wohnkultur zu Ende des Deutschen Kaiserreichs und ein Zeugnis des Kissinger Kunsthandwerks.
Josef Dölger, der unbekannte Baumeister
Zur Geschichte des 1913 errichteten Anwesens war in den Archiven nicht viel zu finden. Auf den Artikel hin haben sich aber Leser bei unserer Redaktion gemeldet und Hinweise gegeben. Eine davon ist Winifred Distler, geborene Dölger.
Die 85-Jährige ist die Enkelin von Josef Dölger (1868 - 1921), der die Villa für sich und seine Familie als Wohnhaus hat bauen lassen. "Mein Großvater war Baumeister mit eigener Baufirma und Architekten", erzählt sie. Dölger war als junger Mann unter anderem in München tätig, wo er auch den berühmten Architekten Max Littmann kennenlernte. Mit Littmann sollte er später in Bad Kissingen an wichtigen Projekten zusammenarbeiten.
Nach der Tätigkeit in München zog es Josef Dölger beruflich wie auch privat mit seiner Frau Jakobine und den Kindern erst nach Kulmbach und dann weiter nach Bad Kissingen. Etwa um 1909 herum zog die Familie nach Bad Kissingen. "Vorher reiste er viel mit einer Pferdedroschke zwischen Bad Kissingen und Kulmbach hin und her", weiß Distler aus Familienerzählungen.
Bau an Regentenbau und Wandelhalle
Josef Dölger lebte mit seiner Familie zunächst im heutigen Anwesen Kurhausstraße 39. "Das Haus mochte er nicht leiden, deshalb hat er die Villa in der Kurhausstraße 43 gebaut", berichtet die Enkelin. Hinter dem repräsentativen Wohnhaus ließ der Baumeister zudem noch ein kleineres Anwesen für Angestellte der Firma verwirklichen (heute: Kurhausstraße 41). Genaugenommen handelt es sich bei dem Bereich also um ein Ensemble aus drei Dölger-Gebäuden: 39, 41 und 43, die sich von der Kurhausstraße bis hoch zu den Bahngleisen ziehen.
Dölger arbeitete mit Littmann unter anderem am Regentenbau (1911 - 1913) sowie der Wandelhalle (1910 - 1911). Beide Gebäude sind heute Wahrzeichen der Kurstadt und gehören zum Herzen des Kissinger Welterbes. "Mein Großvater war spezialisiert auf Schornsteine und Fundamente", erzählt Distler. Wegen des Fachwissens um Fundamente und dem schwierigen Baugrund über den Heilquellen habe Littmann den Baumeister für den Regentenbau beauftragt. In einer Architektur-Zeitschrift aus Berlin aus dem Jahr 1913 wird erwähnt, dass Dölger den Rohbau des Regentenbaus realisiert hat. Im Familienarchiv findet sich zudem eine alte Ansichtskarte, die Dölger ebenfalls als Baumeister des Regentenbaus benennt. Laut Distler verwirklichte ihr Großvater zudem weitere Kurvillen, aber auch Wohnhäuser in der Stadt, etwa in der Kurhaus- und der Bismarckstraße.
Quartier für amerikanische Offiziere
Josef Dölger starb jung, im Alter von 53 Jahren. Der Großteil der Familie blieb bis zum Zweiten Weltkrieg in der Kurhausstraße 43 wohnen. Auch ein Mitglied der in Kissingen berühmten Apothekerfamilie Boxberger habe vor dem Krieg in einer Wohnung in dem Objekt gelebt. "Nach dem Krieg war das Haus von amerikanischen Offizieren besetzt", erinnert sich Distler. Nur in der Kellerwohnung durfte ein Familienmitglied der Dölgers leben - eine Cousine - weil der Vater für die Amerikaner arbeitete.
Großmutter Jakobine und die Kinder bewohnten nach dem Krieg das Anwesen Kurhausstraße 41. Winifred Distler selbst ist 1938 in Stettin im heutigen Polen geboren und erst nach einige Zeit dem Krieg als Heimatvertriebene mit Mutter und Bruder zum Rest der Familie nach Bad Kissingen zurück und in der 41 untergekommen. Der Vater Friedrich Wilhelm Dölger (1906 - 1990), war bereits 1946 nach Bad Kissingen vorausgegangen. "Mein Vater hatte dort auch seine Firma eingerichtet", sagt sie. Als Jakobine Dölger 1952 starb, fielen das Anwesen 43 an eine Erbengemeinschaft und wurde schließlich veräußert.
Weiter Wohn- und Geschäftshaus
Bis heute wurde die schöne Villa als Wohn- beziehungsweise Bürogebäude genutzt. Stephan Streller hatte ebenfalls den oben genannten Artikel gelesen und sich daraufhin bei unserer Zeitung gemeldet. "Ich habe dort mit meinen Eltern von 1969 bis 1994 gewohnt. Mein Vater war dort der Hausmeister", berichtet er. Eigentümer zu dieser Zeit sei ein Verleger mit Familiennamen Gerbert gewesen. Dessen Frankonia Verlag sei im ersten Obergeschoss untergebracht gewesen.
Bis vergangenen Herbst hatte die Bad Kissinger Firma Pro Care Management in dem Gebäude ihren Firmensitz, inzwischen ist dort unter anderem ein Versicherungsbüro beheimatet.