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Bad Kissingen
Strafmündig schon mit zwölf Jahren?
Mit dem Tod der zwölfjährigen Luise aus Freudenberg kam auch die Diskussion um das Herabsetzen der Strafunmündigkeit wieder auf. Wir haben mit einem Kissinger Richter über dieses Thema gesprochen.
Aktuell wird über das Herabsetzen der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre diskutiert.       -  Aktuell wird über das Herabsetzen der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre diskutiert.
Foto: AdobeStock/ Jan H. Andersen | Aktuell wird über das Herabsetzen der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre diskutiert.
Milena Meder
 |  aktualisiert: 29.05.2024 17:30 Uhr

Februar 2023: Mädchen stoßen in Erfurt eine 14-Jährige ins Gleisbett und filmen, wie sie das Mädchen malträtieren. 11. März 2023: Luise, zwölf Jahre alt, aus Freudenberg, wird mit 75 Messerstichen von zwei Freundinnen getötet – die eine zwölf, die andere 13 Jahre alt. Wunsiedel im April 2023: Die Leiche eines zehn Jahre alten Mädchens wird in einem Kinderheim gefunden, im Fokus der Kripo steht ein elfjähriger Junge. Die Gesellschaft ist geschockt. Viele fordern die Absenkung der Strafunmündigkeit . In Deutschland gilt: Unter 14 Jahren kommt kein Kind ins Gefängnis. Vielen ist das nicht Strafe genug. Was sagt ein Bad Kissinger Jurist zu der Diskussion ?

Guten Tag Herr Mutz, Sie waren früher Staatsanwalt, sind jetzt Familienrichter und Pressesprecher des Amtsgerichts in Bad Kissingen . Können Sie bitte mal erklären: Strafunmündigkeit – was heiß das eigentlich?

Christian Mutz: Die Grundlage für die Strafe ist die Schuldfähigkeit des Beschuldigten. Und schuldfähig ist nur, wer auch weiß, dass er etwas falsch gemacht hat und in der Lage ist, nach dieser Einsicht zu handeln. Es gibt Menschen, die das nicht können.

Die Einsicht? Man sollte doch meinen, dass jedes Kind weiß, dass man keinen Menschen töten sollte.

Ein Kind kommt nicht fertig auf die Welt. Es muss Normen erst lernen. Es ist schwer feststellbar, wann Kinder dieses Alter erreicht haben. Der Gesetzgeber hat eine Altersgrenze von 14 festgelegt, das beruht auf Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie. Bei jüngeren Kindern ist davon auszugehen, dass sie diese Verstandesreife noch nicht haben.

Was bedeutet das für die Kinder in Deutschland, die unter 14 straffällig werden?

Im Jugendrecht steht die Erziehung der Betroffenen im Vordergrund, also die Frage nach erzieherischen Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Straftaten. Die Möglichkeiten, die bei Kindern unter 14 getroffen werden können, sind vielfältig: Psychiatrie für Kranke, Heim, wenn die Eltern nicht zur Erziehung fähig sind, sowie Pflegefamilie .

Und bei Kindern über 14?

Auch hier gilt der Erziehungsgedanke, selbst im Jugendgefängnis, wo die Kinder auch eine Ausbildung oder ihren Schulabschluss machen können. Daneben gibt es hier natürlich als Strafen auch Arbeitsstunden oder Therapieauflagen.

Christian Mutz ist Richter am Amtsgericht Bad Kissingen.       -  Christian Mutz ist Richter am Amtsgericht Bad Kissingen.
Foto: Milena Meder | Christian Mutz ist Richter am Amtsgericht Bad Kissingen.

Es heißt also mitnichten, dass Kindern nach solchen Taten „nichts passiere“, wie viele glauben.

Richtig.

Aber kann man denn solche Straftaten durch Erziehungsmaßnahmen verhindern?

Es ist sehr umstritten, inwieweit Strafrecht überhaupt in der Lage ist, Täter von der Begehung schwerer Straftaten abzuschrecken, da sich insbesondere sehr junge Täterinnen und Täter bei der Begehung von derartigen Straftaten in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden und in diesem Augenblick kaum über die Konsequenzen ihres Handelns nachdenken. Es ist viel zielgerichteter, im Vorfeld einzugreifen, sodass es überhaupt nicht zu Straftaten kommt. Die Eltern können sich ans Jugendamt wenden, das Kind kann Therapien erhalten – es gibt funktionierende Hilfe, bevor etwas passiert.

Das heißt, dass die Diskussion ums Alter eigentlich absurd ist, wenn andere Stellen im Vorfeld vielleicht schon hätten reagieren können?

Wir haben nur den entscheidenden Unterschied, dass ab 14 Gefängnisstrafen verhängt werden können. Es geht also dann nur um die Strafe im Nachhinein. Die Gefahr in der Diskussion ist, dass sie in den Bereichen von Sühne und Rache geführt wird. Aber anders als im Erwachsenenstrafrecht darf das bei Kindern keine Rolle spielen.


Haben die Eltern Strafe zu befürchten?

Nein. Nur der wird bestraft, der eine Tat selbst begangen hat, der die Begehung der Tat durch einen anderen unterstützt hat oder einen anderen zur Begehung der Tat aufgefordert hat.

Halten Sie es generell für möglich, dass aufgrund der jüngsten Fälle das Alter zur Strafmündigkeit auf zwölf herabgesetzt wird?

Die Betrachtung hängt von politischen Wertvorstellungen ab. Jedoch: Es ist allein dem Gesetzgeber gestattet, das zu entscheiden.

Und Ihre persönliche Meinung?

Ich denke, dass der Gesellschaft nicht damit gedient ist, einen Zehnjährigen ins Gefängnis zu stecken, wie es in den USA passiert.

Es gibt jetzt Eltern, auch im Landkreis Bad Kissingen , die ihr Kind mit mulmigem Gefühl in die Schule schicken. Was sagen Sie denen?

Deutschland ist sehr sicher, die Gewaltkriminalität ist grundsätzlich rückläufig. Einzelfälle sind sehr tragisch, aber sie nehmen in der medialen Berichterstattung einen so großen Raum ein, dass man darüber hinweggetäuscht wird, dass sie sehr selten sind.

Aber natürlich: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie.

Viele beschweren sich jetzt auch, dass die Täterinnen im Fall Luise Therapien erhalten. Sie behaupten, Hinterbliebene würden allein gelassen.

Es gibt für Straftäter keinen privilegierten Zugang zu Therapien, man muss für beide Seiten Kapazitäten suchen. Ja, der Täter steht im Mittelpunkt. Aber das darf nicht zur Folge haben, dass man das Opfer nicht mehr sieht. Die Zugangsmöglichkeiten für Therapien sind für beide identisch, für Täter wie für Opfer.

Wir führen hier ein sehr theoretisches Gespräch. Unterm Strich steht aber immer noch die Fassungslosigkeit: Wie kommen Kinder darauf, zu töten?

Das ist eine Frage, die man sich immer stellen kann und die man nicht mit letzter Konsequenz beantworten kann. Gerade bei Kindern muss man davon ausgehen, dass es ein Bündel an Ursachen gibt. Kein Kind wacht morgens auf und entschließt sich, ein anderes Kind zu töten.

Das Gespräch führte Milena Meder.

 

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