Hat Theodor Fontane den Radsport nach Bad Kissingen gebracht? Nun gut, dies mag eine etwas gewagte Behauptung sein. Aber da gibt es ja diese wunderbare zeitliche Einordnung, die das Theorem mit Leben füllt. Im Jahre 1886 verewigt Fontane, gewiss auch als Reminiszenz an seine Zeit als Kurgast an der Saale, die Stadt Bad Kissingen in seinem Stück "Eine Frau in meinen Jahren".
Darin heißt es: Aus dem Parke selbst aber, der einem großen Hotel zugehörte, rollten in eben diesem Augenblicke junge Sportsmen auf die fast tennenartige Chaussee hinaus, Radfahrer, Bicycle-Virtuosen, die hoch oben auf ihrem Reitstuhl saßen und unter Gruß und Lachen vorübersausten. Ihre kleinen Köpfe, dazu die hageren, im engsten Tricot steckenden Figuren, ließen keinen Zweifel darüber, daß es Fremde waren. "Engländer?" "Nein Amerikaner," sagte die Dame, "meine täglichen vis-à-vis an der Table d"hôte. Und sonderbar, mir lacht immer das Herz, wenn ich sie sehe.
Tatsache, dass zwei Jahre später Bad Kissingen einen Velociped-Club hat, gegründet am 8. Mai 1888. In den folgenden Ausgaben der Saale-Zeitung finden sich regelmäßige Anzeigen des Vereins, der seine Mitglieder an die "Versammlung im Locale" oder den Vereinsabend erinnert. Erstaunlich, dass schon in dieser Zeit "Velocipeds" über die Zeitung zum Kauf angeboten werden, auch gebrauchte übrigens. So inseriert der Kissinger Kaufmann F.P. Schüllermann mehrmals im Juni 1888, dass Velocipede ausgeliefert würden. Eher im bürgerlichen Milieu sind die fast ausschließlich männlichen Radfahrer dieser Zeit anzusiedeln, die die Mittel und Beziehungen haben, um bereits im Jahr 1889 eine Rennstrecke zu bauen.
Am 14. Mai 1889 schreibt die Saale-Zeitung: Wie soeben erfahren, wird in Kürze auf der sog. Neuen Wiese mit der Herstellung der großen Rennbahn begonnen werden, welche der Velocipedclub für seine Fahrten benutzen wird. Auf derselben wird das große Pfingst-Wettfahren stattfinden... Es ist erfreulich zu sehen, wie der hiesige Club zu immer größerer Blüte gedeiht - zählt derselbe doch schon gegenwärtig ca. 50 Mitglieder - nicht zum Geringsten verdankt er dies den Bemühungen seines Vorstandes Philipp Schüllermann.
Die Rennstrecke in der Unteren Au lockt zahlreiche Top-Pedaleure nach Bad Kissingen . Allerdings wird das Gelände ab 1893 an Bedeutung verlieren, weil die Rennbahn den Anforderungen durch die Erfindung der Luftreifen und der damit gesteigerten Geschwindigkeit nicht mehr genügt. Auf einem alten Stadtplan-Ausschnitt lassen sich die Umrisse dieser Rennbahn erahnen, gelegen zwischen dem ehemaligen Cafe Schweizerhaus und dem Flugplatzgelände. Bis 1913 wird im heutigen Rosengarten sogar eine Radfahrschule betrieben.
Prunkalbum im Stadtarchiv
Ortstermin im Stadtarchiv . Dort gibt es ein Prunkalbum des Velociped-Clubs zu sehen. Ein lederner Schinken mit aufwendigen Applikationen auf dem Einband, einer Buchschließe und mit Blattgold versehenen Schnittkanten. Darin: die Fotos der Clubangehörigen. Das erste Bild zeigt einen Herrn Sansug, ein damals in der Kurstadt bekannten Basarhändler. Nicht minder interessant ist das Verzeichnis der ausgestellten Fahrkarten in den "Acten des Stadtmagistrats von Bad Kissingen " mit den amtlichen Nummern der Räder sowie die städtische Radfahrordnung aus den 1890er Jahren.
In den Vorschriften heißt es unter anderem, dass ein Fahrrad versehen sein muss 1. mit einer sicher wirkenden Hemmvorrichtung. 2. mit einer helltönenden Glocke zum Abgeben von Warnungszeichen. 3. während der Dunkelheit und bei starkem Nebel mit einer hellbrennenden Laterne mit farblosen Gläsern, welche den Lichtschein nach vorn auf die Fahrbahn wirft.
Die Bedeutung des Velociped-Clubs manifestiert sich nicht zuletzt in einem mehrseitigen Beitrag in der Saale-Zeitung vom 4. Februar 1896 zur Bannerweihe des Vereins. Ein Artikel, in dem sich der Autor zunächst auslässt über den ungewöhnlichen Termin, wenn er schreibt: Derlei Feste werden gewöhnlich in einer wärmeren Jahreszeit, welche die Entfaltung eines größeren Apparates unter Gottes freiem Himmel gestattet, abgehalten.
Aber das befürchtete "verfehlte Unternehmen" wird "wahrhaft würde- und weihevoll." Der musikalische Frühschoppen im reichbeflaggten Club-Lokal "Englischer Garten" im Luitpoldpark bildet den Auftakt für einen ereignisreichen Tag, an dem die Bewohner der Kurstadt am Nachmittag staunend den Umzug verfolgen, mit Militärmusik und Teilnehmern auch von den Velociped-Patenvereinen aus Würzburg und Schweinfurt.
Am Abend startet das Hauptfest im Preußischen Hof mit reichlich Wortbeiträgen, unter anderem vom Vorsitzenden Wolfgang Singer, einem Konzert der Meininger Militär-Kapelle, besagter Bannerweihe und Tanz bis in die Morgenstunden.
Die ersten Bad Kissinger Velociped-Fahrer wurden laut den Aufzeichnungen der Saale-Zeitung "mit einem mitleidigen Achselzucken betrachtet und selbst dem Sport wohlgesinnte Leute bezeichnen die hiesige Gegend als absolut ungeeignet für das Radfahren ." Ein Urteil, das elf Gründungsmitglieder - und vielleicht ein bisschen auch ein deutscher Schriftsteller - alsbald richtig stellen sollten.