
Die Nervosität von Stefano Pettinella war nur gespielt. Schon bevor er Mitte Juni den Antrag bei Dieter Büttner vom Landratsamt Bad Kissingen zur Zertifizierung seines Naturgartens gestellt hatte, waren der 60-Jährige und seine Frau Isolde sicher gewesen, dass sie die Anforderungen bereits erfüllten. Obwohl Dieter Büttner noch keine Zertifizierungs-Plakette mitgebracht hat, ist die Sache eindeutig: volle Punktzahl plus Sternchen für den Naturgarten von Isolde und Stefano Pettinella.
Auf 1750 Quadratmetern findet sich eine Artenvielfalt, wie sie im Lexikon steht – angefangen bei Apfelbaum und Borretsch, über Erdbeeren, Holunder und Rosmarin bis zu Quitte und Zitronenmelisse – und die Tierwelt hält hier ohne weiteres Zutun Einzug.
Diese Auswahl ist nur exemplarisch für die vielen wilden Ecken, die das Ehepaar mit Planung, Bedacht und Voraussicht angelegt hat. Das ökologische Gleichgewicht war den beiden sehr wichtig. Oft findet sich in ihrem Garten der natürliche Kreislauf von Wachsen zu Ernten und Düngen wieder.
Selbst die Rosenstöcke sind nicht nur eine Augenweide, sie haben auch noch eine weitere und für die Pettinellas wichtigere Funktion: Sie dienen ihren Bienen als Pollenquelle, ebenso wie der Lavendel, die Obstbäume und die Katzenminze.

Hühner und Bienen
Die Bienen sind neben dem Garten ein weiteres Hobby, ebenso zeitaufwendig wie Wissen erfordernd. Nebenbei scharren acht Hühner und ein Hahn unter Bäumen und sorgen für Dünger, der neben dem Gartenkompost und selbst angesetzter Brennnesseljauche gelagert wird.
Das Ehepaar hatte sich 2017 in Haus, Hof und Garten verliebt. Egal wie sanierungsbedürftig alles schien – es hatte Charakter: „Wir haben alles gegeben, den Charakter des ursprünglichen Gartens zu erhalten“, sagt Stefano Pettinella. Seine Worte spiegeln Stolz wieder, aber auch die Arbeit und das Wissen, das in den Garten mit seiner ganzen Vielfalt gesteckt wurde.
Für die Bienen , die Hühner, für die Pettinellas selbst und Kater Columbus ist es selbstverständlich, dass keine Chemie im Garten zum Einsatz kommt: „Gift war nie eine Option“.
Garten ist für die Wahl-Brückenauer Arbeit und Entspannung zugleich. Werden Wiesenstücke beim Mähen einfach mal stehen gelassen, bieten sie Insekten einen Lebensraum, in den hohen Robinien nisten Vögel.
Da kann man nur noch nebenbei erwähnen, dass das Ehepaar darauf achtet, mit möglichst wenigen Lampen die Insektenwelt zu irritieren: „Wir haben so gut wie keine Lichtverschmutzung“, bemerkt Stefano Pettinella. Außerdem wird Regenwasser in einer Zisterne gesammelt und nur sparsam zum Gießen eingesetzt. Für die Trockenmauer und die Treppe wurden Steine direkt aus dem Garten und der Region verarbeitet.

Entspannung in den „wilden Ecken“
Zu guter Letzt verrät Stefano Pettinella noch den ultimativen Tipp: „Gelassenheit: Man kann mit wenig viel bewirken“. Und in den vielen wilden Ecken lässt es sich inmitten von Unkräutern, Haselnussstrauch und Insektenhotels wunderbar entspannen.
Dieter Büttner, auch Kreisfachberater für Gartenkultur und Landespflege, durfte dieses Jahr im Landkreis den dritten Naturgarten zertifizieren. In Bad Brückenau ist es der erste, Dieter Büttner hofft auf Nachahmer. Er sieht in jeder Zertifizierung die „Möglichkeit, das Bewusstsein zu schaffen, den eigenen Garten so naturnah wie möglich zu bewirtschaften“.
Es solle Abstand genommen werden von akkurat gestalteten Gärten: „Ich möchte Menschen dazu bringen, dass man keinen aufgeräumten Garten hat, der für Betrachter schön, aber für Insekten, Pflanzen und Tiere unattraktiv ist“, sagt er. Zusammen mit Michael Herbert, selbst bereits Besitzer eines zertifizierten Naturgartens in Motten, nahm er den Garten der Pettinellas unter die Lupe. Kathrin Romeis-Merten, erste Vorsitzende vom Obst- und Gartenbauverein Bad Brückenau , hatte den Stein ins Rollen gebracht und kleine Hilfestellungen gegeben.

Neben den Kernkriterien wie Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel, chemisch-synthetischen Dünger und Torf muss auch aus zwei weiteren Listen jeweils die Mindestpunktzahl erreicht werden. Hier werden unter anderem das „Zulassen von Wildkraut“, „Insektennahrungspflanzen“ oder „Mischkultur – Fruchtfolge – Gründüngung - Mulchen “ aufgezählt.
Wer seinen Garten als Naturgarten zertifizieren lassen möchte, kann sich bei der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau ( lwg.bayern.de/naturgarten ) über die Bedingungen und Maßnahmen informieren und per Mail an dieter.buettner@landkreis-badkissingen.de anmelden.
Den beiden Pettinellas kann Büttner außer einem „Herzlichen Glückwunsch“ nur noch sagen: „Sie haben alles am richtigen Fleck. Sie sind mit ihrem Garten verwurzelt.“





