Magdalena Böse aus Mahlow bei Berlin sortiert aus. Ihr Mann hatte viele Bücher, Fotografien und Postkarten zusammengetragen. Nach seinem Tod sichtete sie alles, verschenkte, was zu verschenken war, und erinnerte sich immer wieder an die gemeinsame Lebenszeit. Dabei fiel ihr eine historische Postkarte aus Bad Brückenau in die Hände. Der Poststempel datiert auf den 8. August 1936. Geschrieben hat sie nicht ihr Mann, sondern ein entfernter Bekannter seiner Familie.
Die Seniorin übergibt das Schriftstück der Lokalpresse - und hilft auch gleich beim Übersetzen, denn sowohl gedruckter als auch handschriftlicher Text sind in Altdeutsch verfasst. Überschrieben ist die Postkarte mit dem Ausruf: "Gott segne das ehrbare Handwerk der Spengler!" Dies sorgt kurz für Irritation, doch schnell klärt sich die Sache auf. So lautet der darauf folgende Text durchaus launig:
Jeder Wasserleitungsschaden
wird hier separat beraten.
Doch der Brückenauer Ruhm
hat mit Handwerk nichts zu tun.
Hier gebührt an erster Stell
Ruhm und Preis der Wernarzquell.
Und der Arzt, der dich berät
von A bis Z Kapazität!
Doch damit hat sich der Humor des Autoren - auf der Karte wird ein Fr. Walz genannt - noch lange nicht erschöpft. Weiter ist zu lesen:
Hast du Wasserleitungsschaden,
Mensch, dann lasse dich beraten.
Möglich, dass die Leitung tropft,
oder, falls sie wer verstopft,
oder, wenn's am Druck dir fehlt,
oder wenn dich sonst'was quält,
oder stören dich gemeine
Blasen- oder Nierensteine.
Kurz und gut, in jeder Lage
kommt nichts anderes in Frage,
da hilft dir das eine nur:
Mach' in Brückenau die Kur.
Hier kann man die Leitungsschäden
alle mit Erfolg beheben.
Und man freut sich wie ein Kind
wenn die Wasserleitung stimmt.
Der Hintergrund des Schriftverkehrs ist nur schwer zu rekonstruieren. Adressiert ist die Postkarte an einen gewissen Herrn von Simson in der Klopstockstraße in Berlin. Dessen Beruf, staatlich geprüfter Gartentechniker, wird ebenfalls angegeben. Dies sei ein Freund ihrer Schwiegermutter gewesen, erinnert sich Magdalena Böse. Die Postkartenschreiber jedenfalls - unterzeichnet ist die Karte mit Familie Hermann - jedenfalls kündigen ihre Ankunft auf einem Berliner Bahnhof am 12. August 1936 an und bitten um ein Treffen mit von Simson und einer nicht weiter benannten Frau.
Ob es zum erhofften Wiedersehen gekommen ist, bleibt indes offen. Mit Bleistift ist auf der Karte vermerkt, dass sie am 10. August ins Kloster Zehdenick weitergeschickt worden ist. Der kleine Ort an der Havel liegt etwa 60 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Das Kloster beherbergte bis zum Jahr 1945 ein evangelisches Damenstift. Was Herr von Simson dort zu suchen hatte, bleibt wohl für immer sein Geheimnis.
"Das ist schon witzig", kommentiert Roland Heinlein vom städtischen Kulturbüro den Fund. Er nimmt die Postkarte gerne ins Archiv auf und hat gleich noch eine geschichtliche Einordnung parat: Auf der Vorderseite der Postkarte ist "Kraft durch Freude/Zug Nr. 224" vermerkt. "Das war das Ferienprogramm der NSDAP ", weiß Heinlein zu berichten. Denn auch die Freizeitgestaltung wurde zur Zeit des Nationalsozialismus politisch gesteuert.