Seit 20 Jahren sammelt Olaf Zieseniss antike Puppen. "Das ist ein sehr emotionales Thema", sagt der gelernte Visagist und Diplom-Kosmetiker. Denn die Puppen erzählen Geschichten. Geschichten über ihre Besitzer, über die Zeit und den Ort, an dem sie teilweise zwei Weltkriege überstanden haben. Genau das fasziniert den gebürtigen Niederrheiner an diesem besonderen Hobby: "Einer alten Puppe muss man auch ansehen, dass sie alt ist. Das gehört einfach zu ihrer Geschichte dazu."
Anhand des Materials, des Aussehens, aber vor allem an der sogenannten Nackenmarke kann Zieseniss erkennen, wie alt die Puppe ist. Dort findet er auch eine Information darüber,wo sie hergestellt wurde und was sie für eine Aufgabe hatte. "Beispielsweise spiegeln die Körperform und die Kleidung das Schönheitsideal der jeweiligen Zeit wider", erklärt er. Für besonders rare Objekte werden in der Sammlerszene Spitzenpreise von bis zu 350.000 Euro erreicht, sagt er. Seine älteste Puppe ist 200 Jahre alt.
Suche nach Werkstatt
Die ersten Versuche, eines seiner Sammlerstücke in die Hände einer Puppenklinik in seiner damaligen Heimatstadt Hamburg zu geben, gingen schief. Völlig überschminkt und kaum wiederzuerkennen sei sie gewesen. Das ärgerte ihn. Nach einiger Zeit fing er schließlich selbst an, seine kaputten Puppen zu restaurieren - das alte Handwerk brachte er sich in jahrelangem Studium selbst bei. "Es gibt leider nicht viel Nachwuchs bei den Puppendoktoren", sagt Zieseniss.
Deshalb entschloss er sich, auf Facebook eine Gruppe für Gleichgesinnte zu gründen. Mit der Zeit kamen immer mehr Restaurationsanfragen und Kontakte aus ganz Deutschland zustande. Im Sommer dieses Jahres lief das Fass schließlich über: "Die ganze Wohnung ist vollgestellt mit Puppen, sogar auf dem Sofa stapelten sie sich", erzählt er lachend. Für seinen Mann Felix - einem Pianisten - und auch ihn selbst war das nicht mehr tragbar. Vor zweieinhalb Jahren zogen die beiden gemeinsam nach Bad Brückenau .
Kreis schließt sich
Das war der ausschlaggebende Grund, einen Aufruf in den sozialen Netzwerken zu starten. Nur zwei Tage später meldete sich Hauseigentümer Matthias Dittmayer bei ihm. Die Geschichte des Puppendoktors faszinierte ihn, denn seine Mutter Annelies Dittmayer betrieb selbst in den Nachkriegsjahren im Staatsbad eine kleine Puppenfabrik mit immerhin über zehn Angestellten.
Nur wenige Jahre lief dort die Produktion der Puppen. Nach Aufgabe der Fabrik Anfang der 1950er Jahre, erinnert sich Dittmayer, "stapelten sich bei uns zuhause die kaputten Puppen, die meine Mutter reparieren sollte." Dem neuen Pächter wünscht Dittmayer aber nicht nur aus diesem Grund viel Glück für sein Vorhaben. "Mein Herz hängt einfach an der Ludwigstraße und jeder Leerstand ist schlecht für die Stadt," sagt er.
Große Aufgabe
Mit dem Laden in der Innenstadt erfüllt sich Zieseniss nun einen Lebenstraum. "Ich habe aber auch Respekt vor der Aufgabe", sagt er. Den Ort habe er bewusst ausgesucht. Zu einer Kurstadt wie Bad Brückenau passe das alte Handwerk besonders gut. Außerdem sei es für seine Kunden aus ganz Deutschland recht zentral erreichbar.
Für das Geschäft selbst hat er mehrere Idee: "Neben der Werkstatt für die Reparatur soll der Laden ein Treffpunkt werden." Gemeinsam mit seinem Mann macht Zieseniss beruflich Musik und beide sind aktiv in verschiedenen Vereinen. "Wir möchten uns einbringen in das öffentliche Leben, uns ist der Kontakt besonders wichtig." Auch Rastaurationskurse oder Vorträge schweben ihm vor. Am 10. Oktober feiert er die Eröffnung seines Ladens mit dem Namen "Kinder der Vergangenheit".