Das Fahrrad, den Helm und die gelbe Weste hat Regassa Shiferaw Dissasa von einem deutschen Bekannten bekommen. Damit fährt der Äthiopier, der seit dem Jahr 2015 in Volkers wohnt, jeden Tag in das Seniorenheim Sinntal ins wenige Kilometer entfernte Bad Brückenau. Dort hat er Anfang September seine dreijährige Ausbildung als Altenpfleger begonnen. Eine Ausbildungserlaubnis und eine zeitlich begrenzte Duldung machen das möglich.
Ohne Unterstützung von ehrenamtlichen Helfern wäre Dissasa wahrscheinlich nicht mehr in Deutschland. Die Gründe dafür: Das vielschichtige bürokratische Asylanerkennungsverfahren in Deutschland und eine völlig neue Kultur, die für den Äthiopier erst nach und nach begreifbar wird. "Ich musste alles neu lernen, von der Sprache über die Gebräuche", sagt der 38-Jährige und zeigt auf sein Smartphone. "Nach unserer Zeitrechnung ist es erst Januar 2012. Ich muss heute immer noch die Kalendertage umrechnen."
Lage in Äthiopien verbessert sich
Während seines mehrjährigen Asylverfahrens absolvierte Dissasa den Sprachnachweis B1, besuchte Integrationskurse und arbeitete in diversen Praktika in der Franz-von Prümmer-Klinik, der AWO-Seniorenwohnanlage in Bad Brückenau und am Rhönklinikum Bad Neustadt. Im Juli dieses Jahres bestand er darüber hinaus eine einjährige Ausbildung zum Altenpflegehelfer am bfz in Bad Kissingen mit Bravour als Zweitbester. Kurzum: Sein Integrationswille ist groß. Das bestätigt auch der Leiter seiner Ausbildungsstätte Seniorenheim Sinntal, Udo Brückel: "Herr Dissasa ist überaus geeignet für den Beruf des Altenpflegers."
Gesichert ist sein Verbleiben in Deutschland aber noch lange nicht. Weil sich die politische Situation in Äthiopien verändert hat, berichten die Medien von massiven Abschiebeaktionen. Seit 2018 ist mit Abiy Ahmad ein neuer, gemäßigter Premierminister an der Macht, der "Reformen vorantreibt und die Menschenrechtssituation stark verbessert", schreibt das Auswärtige Amt seiner Internetseite. Erst vor wenigen Tagen erhielt er den Friedensnobelpreis. Deshalb sind die Zahlen der Asylanerkennung für Äthiopier im vergangenen Jahr auch weiterhin auf rund 16 Prozent aller Neuanträge gesunken. Auch Dissasas Antrag wurde nach mehrjährigem Verfahren im vergangenen August vom Verwaltungsgericht Würzburg abgelehnt.
Kein sicherer Status
Sein größtes Problem aktuell: Er besitzt keinen eindeutigen Nachweis, dass er aus Äthiopien stammt. Auf Nachfrage schreibt Johannes Hardenacke , Pressesprecher der Regierung von Unterfranken : "Die Identität (...) ist zwar unverändert nicht abschließend geklärt, er kommt aber aktuell seiner Mitwirkungspflicht nach und bemüht sich um die Vorlage eines Reisepasses." Das sei der Grund für die Ausbildungserlaubnis und Duldung bis zum März 2020. Eine endgültige Entscheidung über die Erteilung einer Ausbildungsduldung sei demnach noch nicht getroffen.
Seit Jahren versucht Dissasa einen Nachweis aus Äthiopien zu bekommen: Seine mehrfachen, schriftlichen Bemühungen zur Identitätsfeststellung wurden nach eigenen Aussagen ignoriert. Weder von der Äthiopischen Botschaft in Berlin, dem Konsulat in Frankfurt noch von Behörden in seinem Heimatland habe er jemals eine Antwort erhalten. Äthiopien - so sagt er - sei nicht daran interessiert, die eigenen Landsleute zurückzubekommen.
Petition für den Äthiopier
Trotzdem reist aktuell Dissasas Bruder von der Hauptstadt Addis Abeba in seinen Heimatort, um dort eine sogenannte "Kebele-Identität" zu bekommen. Damit könne er einen Anwalt in der Hauptstadt beauftragen, einen Pass für ihn zu besorgen. Das Ergebnis ist offen.
Vor diesem vielschichtigen Hintergrund haben seine ehrenamtlichen Unterstützer, die Familie Ehrensberger, eine Petition ins Leben gerufen. Für den Verbleib des integrations- und arbeitswilligen Altenpflegehelfers aus Äthiopien schickten sie eine Bittschrift an die aus der Region stammende Staatsministerin Dorothee Bär , die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar und weitere Volksvertreter. "Es kann nicht sein, dass wir hier Arbeitskräfte haben, denen es so schwer gemacht wird", sagt Hans-Peter Ehrensberger.
Eine freiwillige Rückkehr in das nach wie vor zerrüttete Land kommt für den Äthiopier nicht in Frage: "Zuhause erwarten mich Heimatlosigkeit und ethnische Konflikte - trotz der nach außen scheinbaren Verbesserung." Ob und wieweit das Gesuch von Regassa Shiferaw Dissasa eine Auswirkung auf sein Verbleiben in Deutschland hat, kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand beantworten. Sein Wunsch ist klar: "Ich möchte in Deutschland bleiben und hier in meinem Traumberuf arbeiten." Übrigens: Zur Zeit ist es Dissasas Aufgabe, seine Steueridentifikationsnummer und die Sozialversicherungsnummer herauszufinden. Das ist - wie alle bürokratischen Vorgänge - keine leichte Aufgabe für ihn.