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Bad Brückenau
Auszeit in Bad Brückenau: Gäste aus dem Ahrtal erzählen von den dramatischen Stunden in der Flutnacht
29 Betroffene aus dem Flutkatastrophengebiet in Westdeutschland verbringen aktuell eine Auszeit im Altlandkreis Bad Brückenau. Was die Frauen und Männer beim Hereinbrechen der Wassermassen erlebt haben, ist unvorstellbar.
Die Flut hat eine Schneise der Zerstörung durch viele Orte des Ahrtals gerissen. Auch das Erlebte lässt die Betroffenen der Flutkatastrophe nicht mehr los. Foto: Boris Roessler/dpa       -  Die Flut hat eine Schneise der Zerstörung durch viele Orte des Ahrtals gerissen. Auch das Erlebte lässt die Betroffenen der Flutkatastrophe nicht mehr los. Foto: Boris Roessler/dpa
| Die Flut hat eine Schneise der Zerstörung durch viele Orte des Ahrtals gerissen. Auch das Erlebte lässt die Betroffenen der Flutkatastrophe nicht mehr los. Foto: Boris Roessler/dpa
Rebecca Vogt
 |  aktualisiert: 17.08.2022 03:25 Uhr

Die Flut hat ihnen nahezu alles genommen, jetzt hatten sie erstmals Zeit, ein wenig zur Ruhe zu kommen: 29 Menschen aus dem vom Hochwasser betroffenen Katastrophengebiet im Westen Deutschlands weilen derzeit im Altlandkreis Bad Brückenau . Ihnen wurde eine Auszeit in der Region geschenkt. "Ich konnte jetzt zwei Tage mal bis morgens um halb sieben, sieben schlafen", erzählt Margret Mädel. Sonst wache sie immer schon um drei Uhr nachts auf. Die Sorgen rauben ihr den Schlaf.

Die 75-Jährige aus Bad Neuenahr ist mit ihrem Mann Karl-Heinz hier. Gemeinsam haben sie auch die Nacht, in der die Flut kam, durchstanden. Sie seien nachmittags aus Köln zurückgekommen, erinnert sich Mädel. Da habe es schon fürchterlich geregnet. Zuerst halfen sie Freunden, deren Keller bereits vollgelaufen war, beim Auspumpen. Dann alarmierten Nachbarn sie, dass auch bei ihnen zuhause Wasser in den Keller laufe. "Bei uns war das noch nie vorgekommen. Wir haben noch Eimer gesucht. Aber das ging sowas von schnell." Schließlich hieß es nur noch: "Raus hier."

Als die Flut kam, stundenlang die Tür aufgehalten

Doch auch in den Wohnbereich drang bereits das Wasser ein. Margret Mädel und ihr Mann reagierten geistesgegenwärtig: Sie machten die Türen auf, damit das Wasser durchlaufen konnte. "Ich stand mit dem Popo an der Wand und habe meine Hände gegen die Tür gedrückt und sie aufgehalten", erzählt die 75-Jährige. Alles sei geschwommen. Die Schränke , die Polstergarnitur. Auf der Treppe sitzend harrten sie und ihr Mann schließlich aus. "Wir waren am Zittern", sagt Mädel. Während sie erzählt, kommen ihr die Tränen.

Ohne jegliche Vorwarnung erreichten die Wassermassen auch das Ehepaar Christel und Herbert Löffler-Gutmann aus Ahrweiler. "Mein Mann war schon im Bett. Ich hab' noch Fernsehen geschaut", berichtet die 73-Jährige und fügt an: "Wenn ich auch schon zu Bett gewesen wäre, wären wir nicht mehr rausgekommen." Der Weg durch die Haustür war nicht mehr passierbar, also liefen sie in Richtung der Terrasse. Ein Schrank war dort bereits vor die Tür gefallen. Durch einen schmalen Spalt gelang es ihnen, sich nach draußen zu zwängen.

Wasser stand bis knapp unter die Schultern

Auf der Terrasse stand ihr das Wasser schon bis knapp unter die Schultern, zeigt Löffler-Gutmann mit einer Handbewegung. Mithilfe eines Tischchens und eines Stuhls schaffen es die beiden, gemeinsam mit dem Nachbarn aus der Wohnung unter ihnen, auf das Garagendach. Schnell wurde jedoch klar: "Wir können hier nicht bleiben. Wir müssen auf den nächsten Balkon." Sie schafften es dorthin, doch dann saßen sie fest. Die Eigentümerin der Wohnung war im Urlaub.

"Wir waren klatschnass", erinnern sich die beiden. Eine Frau aus der Wohnung über dem Balkon habe ihnen mit einem Seil in einem Korb trockene Kleidung heruntergelassen und ein paar Brote. Mit ihrem Nachbarn zusammen saßen Christel und Herbert Löffler-Gutmann dann die Nacht über auf dem Balkon, hielten sich dicht an dicht gegenseitig warm.

"Es war gespenstisch, das Rauschen der Flut. Das war ein Getöse, das kann man sich nicht vorstellen. Von drei Seiten kam das Wasser. Autos schossen an uns vorbei. Beim Nachbarn schossen Baumstämme durch die Wohnung und stapelten sich dann vor unserem Haus."

Betroffene aus dem Flutgebiet verbringen Auszeit im Altlandkreis Bad Brückenau

Ortswechsel: Von einem Grundstück in der Oberdorfstraße in Detter aus ist fröhliches Stimmwirrwarr zu vernehmen. Zahlreiche Menschen stehen dort vor einer Scheune in kleinen Grüppchen an Stehtischen zusammen. Daneben sind in einem Zelt mehrere Bierbänke und Tische aufgebaut. Die Sonne scheint. Es ist ein angenehm warmer Herbstabend, der die Besucherinnen und Besucher in dem kleinen Ort zusammen mit seinen Einwohnerinnen und Einwohnern empfängt.

Der Hintergrund des Treffens jedoch ist ein ernster: 29 Menschen aus dem im Juli schwer vom Hochwasser betroffenen Westen Deutschlands sind aktuell im Altlandkreis Bad Brückenau zu Gast - für eine kleine Auszeit. Diese haben sie nach den traumatischen Erlebnissen der Flutnacht und den strapaziösen Wochen danach mehr als nötig. Sie haben ihr Hab und Gut verloren, sind gerade so mit dem Leben davongekommen, mussten mitanhören, wie andere von den Wassermassen eingeschlossene um Hilfe riefen.

Unter die fröhlichen Gespräche mischt sich daher auch immer wieder der ein oder andere ernste Blick, manchmal fließen Tränen. Und dennoch ist es eine angenehme Atmosphäre, die bei dem kleinen Grillfest in Detter herrscht, das unter Federführung der Feuerwehr eigens für die Gäste aus dem Flutgebiet auf die Beine gestellt wurde. Sogar der örtliche Bäcker, eigentlich schon im Ruhestand, hat es sich nicht nehmen lassen, für die Gäste zu backen. In einem kleinen Anbau duftet es verlockend nach frischem Brot und Schinken, der darin eingebacken ist.

Erlebnisse der Flutnacht haben sich ins Gedächtnis eingebrannt

Mit der Redaktion haben die Betroffenen der Hochwasser-Katastrophe während des Grillfests in Detter über ihre Erlebnisse in der Flutnacht gesprochen. Während Margret und Karl-Heinz Mädel ebenso wie Christel und Herbert Löffler-Gutmann ohne Vorwarnung von den Fluten überrascht wurden, forderte man in Bad Bodendorf die Menschen auf, ihre Autos aus den Garagen zu fahren. "Wir haben auch Sandsäcke gestapelt", erzählt Sigrid Reiß. "Aber das hat alles keinen Zweck gehabt."

Erst habe sie oben im Haus gewartet, berichtet die 85-Jährige. Doch auch hier bahnte sich das Wasser seinen Weg. "Komm schnell, wir müssen raus", habe ihr Sohn zu ihr gesagt. Sie deutet auf ihre Tasche. "Die ist das Einzige, was ich dabei hatte." Die Schuhe in der Hand watete sie mit ihrem Sohn zum Auto. Dort zogen sie sich die durchnässten Sachen aus. "Wir sind quasi in Unterhosen in Sicherheit gefahren", sagt sie und lacht kurz.

Feuerwehrmann Rudolf Harzen aus Dernau erlebte die Flutnacht zusammen mit seinen Kameraden. Gegen 21 Uhr fiel der Strom aus, wie er sich erinnert. Auch sämtliche Handyverbindungen brachen ab. Das Wasser näherte sich dem Feuerwehrhaus. "Das stieg so schnell, das waren keine zehn Minuten", berichtet Harzen. Mit drei Fahrzeugen schafften es die Feuerwehrler zur höher gelegenen Kirche. Erst um 23.09 Uhr erfolgte der offizielle Katastrophenalarm . "Viel zu spät."

Nicht gewusst, wohin mit den Toten

Gegen 1 oder 2 Uhr hätten sie dann die Meldung erhalten, dass das Wasser nicht mehr steigt. Doch erst als es am Morgen hell wurde, offenbarte sich das ganze Ausmaß der Katastrophe. "Wir haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen", sagt der 60-Jährige. In den Häusern suchten die Feuerwehrler nach Überlebenden. Was sie fanden, waren die Leichen der Menschen, die es nicht mehr geschafft hatten, der Flut zu entkommen. Man habe erst nicht gewusst, wohin mit den Toten. "Wir haben sie dann in die Kirche gebracht und dort eingeschlossen."

"Nachmittags war ich K.O.", erzählt Harzen weiter. Als er plötzlich seinen Sohn und dessen Freundin sah und wusste, dass die beiden überlebt hatten, sei das ein Gefühl schöner als bei der Geburt seines Sohnes gewesen. "Die beiden haben 17 Stunden auf einem Dach gesessen."

Offen erzählt der Feuerwehrmann, dass er in psychologischer Behandlung ist. "Ich habe so vieles gesehen. Wenn man abends im Bett liegt, fängt das Gedankenkarussell an sich zu drehen." Er sei teilweise schweißgebadet aufgewacht. Nicht nur psychisch, sondern auch körperlich machten sich die Strapazen bemerkbar. "Ich hab' in zwei Wochen fünf Kilo abgenommen. Man funktioniert wie eine Maschine, man denkt gar nicht ans Essen."

Das Haus des 60-Jährigen musste abgerissen werden. Harzen kam bei seiner Lebensgefährtin unter, die eigentlich nur 15 Kilometer entfernt wohnt. Doch, um dorthin zu kommen, war aufgrund der Zerstörungen durch die Flut ein Umweg von 75 Kilometern notwendig, wie er berichtet. Ob und wie der Feuerwehrmann sein Haus in Dernau wieder aufbauen kann, ist noch immer unklar.

Wohnung 30 Meter von der Ahr entfernt

Zu den Gästen, die zu einer Auszeit in den Altlandkreis Bad Brückenau eingeladen wurden, gehören auch Rita und Karl-Heinz Dittmann aus Ahrweiler. Die Wohnung der beiden liegt etwa 30 Meter von der Ahr entfernt, wie sie berichten. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Wasser so hoch wird", habe er noch gesagt, erinnert sich Karl-Heinz Dittmann. Sie hätten sogar noch eine Runde gedreht, dann aber das Knacken in den Bäumen gehört.

Zurück vor der heimischen Wohnung versuchte Dittmann noch, das Auto in Sicherheit zu bringen. "Die letzten Meter zurück zur Wohnung bin ich geschwommen", erzählt er. Zwei andere Männer zogen den 82-Jährigen schließlich aus den Fluten. In der Parterre-Wohnung der Eheleute stand das Wasser 1,90 Meter hoch.

Ein viel größerer Schicksalsschlag jedoch traf die Dittmanns in den Wochen nach der Flut. Ihre Tochter war aus Italien angereist und hatte ihren ganzen Urlaub bei den Eltern damit verbracht, mitzuarbeiten und mitzuhelfen. In drei bis vier Wochen wollte sie wieder zum Helfen kommen. Zurück in Italien erlitt die Tochter von Rita und Karl-Heinz Dittmann einen Herzinfarkt, an dem sie verstarb. "Das war einfach zu viel für sie gewesen", sagt Karl-Heinz Dittmann und streicht seiner Frau, die neben ihm sitzt, dabei tröstend über den Rücken.

Die Initiative für die Betroffenen der Flutkatastrophe im Überblick

Auszeit Mit einem Empfang im Dorint-Hotel wurden die 29 Gäste aus dem Flutkatastrophengebiet begrüßt. Die Frauen und Männer kamen am Montag gegen 13.30 Uhr mit einem Bus in der Kurstadt an, wie Claudia Wawerzinek berichtet. Angesichts der Schilderungen ihres Sohnes , der als Helfer im Katastrophengebiet war, hatte die Bad Brückenauerin eine Initiative gestartet, die es Betroffenen der Flut ermöglichen sollte, eine kleine Auszeit in der Region zu verbringen.

Helferinnen und Helfer Wawerzinek stieß mit ihrer Idee nicht bei allen, aber bei vielen auf offene und hilfsbereite Ohren. Zahlreiche Hotels und Gasthäuser aus dem Altlandkreis beteiligten sich auf ihren Aufruf hin an der Aktion, spendierten Essen und boten kostenlose Übernachtungsmöglichkeiten. Bus- und Reiseunternehmen übernahmen Transport- und Shuttledienste. Unternehmen und Privatpersonen spendierten Gutscheine. Nicht zuletzt packten wie in Detter zahlreiche Freiwillige mit an.

Programmpunkte Noch bis Samstag sind die Betroffenen aus dem Flutgebiet im Altlandkreis zu Gast. Neben dem Grillfest in Detter standen unter anderem ein Ausflug nach Bad Kissingen und ein Treffen bei Kaffee und Kuchen am Berghaus Rhön auf dem Programm. Auch ein Ruhetag zur freien Verfügung war für die Gäste eingeplant.

Neue Gäste Eine weitere Gruppe Betroffener kommt demnächst aus dem Katastrophengebiet in den Altlandkreis Bad Brückenau , wie Warwerzinek berichtet, vom 11. bis 16. Oktober. Für eine Familie - Vater und Mutter mit drei Kindern - sucht die Initiatorin aktuell noch eine Unterkunft, da kurzfristig ein anderes Angebot geplatzt ist. Wer helfen kann und möchte, darf sich gerne bei Claudia Wawerzinek melden - per E-Mail (claudiawawerzinek@hotmail.com) oder auch Tel.: 0151/ 563 041 42.

 
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