Bad Kissingen
Ausflug in eine ungewohnte Welt
Am "Welttag des Buches" las Vincent Rahder aus seinem Debütroman "Sommernacht in Kissingen" in der Stadtbibliothek.
Gut, nennen wir ihn also Vincent Rahder. Schließlich nennt sich der Fachanwalt für Familien- und Eherecht aus einer unterfränkischen Mainmetropole auch so. Allerdings nur, wenn er als Schriftsteller an die Öffentlichkeit tritt. Er hat sich das Pseudonym nicht zugelegt, weil er neidische Kommentare seiner Kollegen von der Anwaltskammer fürchtet: "Nein, ich mache das, weil ich trennen will zwischen der juristischen und der literarischen Sphäre", sagt er. Er habe kein Problem damit, seinen "Klarnamen zu sagen. Und er ist ja auch im Buch zu finden. "Rahder" signalisiert für ihn das schreibende Vergnügen jenseits der juristischen Schriftsätze. Im vergangenen Jahr hat er mit "Sommernacht in Kissingen" seinen Romanerstling herausgebracht. Jetzt war er am "Welttag des Buches" zu einer Lesung in der Stadtbibliothek.
Der Text führt den Leser in eine Stadt, von der die örtlichen Touristiker von heute nur träumen können. Und in eine Zeit, in der Bad Kissingen noch heilte und verjüngte. Im Sommer 1927 kommt der 24-jährige Gerichtsadjunkt Magnus Miller mit einem Lederkoffer am Kissinger Bahnhof an. Er hat gerade seine Stelle verloren, aber genug Geld gespart, um einmal eine Woche in der glamourösen Welt bei den Reichen und Schönen anzuklopfen und mitzuhalten, ihnen im Spielcasino auf Augenhöhe zu begegnen - obwohl er keinerlei Erfahrung hat. Natürlich hat er sich im Hotel "Excelsior" eingemietet.
Am Anfang fremdelt der kleine Magnus noch etwas mit der ungewohnten Welt. Aber er ist Hans im Glück und Felix Krull in einem. Er trifft die richtigen Leute: den Frankfurter Juwelier Ephraim Goldmann mit seiner Zukunftsskepsis, der für ihn zum Mentor der Luxuswoche und zum Retter aus fatalen finanziellen Klemmen wird. Oder Marlene und Sarah aus Berlin, zwei junge, emanzipierte Damen, auf die Magnus Miller natürlich voll abfährt, die mit ihm spielen wie Yin und Yang, wie Bad Cop & Good Cop, Draufgängerin und Keusche (Marlene gewinnt). Und viele andere. Eins fügt sich zum anderen, wie in einem gut geölten Märchen. Obwohl: Da werden Geißlein und Großmütter auch mal gefressen. Oder wie eine ein bisschen klischeehafte Männerphantasie.
Das Buch ist ein Roman der - sagen wir mal - Entschleunigung. Vincent Rahder kann sehr gut durchsonnte - und manchmal auch ein bisschen adjektivtrunkene - Stimmungen beschreiben. Obwohl am besten die Szene ist, in der Magnus Miller im Casino am Roulettetisch erst zögerlich 20 Mark setzt und schließlich - um der Abwärtsspirale zu entgehen, seine gesamten 2000 Mark auf ein Feld setzt - natürlich das falsche. Da bricht die innere Panik aus. Und man kann sich Vincent Rahder direkt als mitfiebernden Autor vorstellen. Er kann seinem Text allerdings auch einen Rhythmus geben, den man als Leser natürlich nicht hat. Da hätte die Spannung weitergehen können. Aber leider schiebt ihm ein Croupier irrtümlich Chips für 3150 Reichsmark zu. Natürlich ist Miller irritiert, aber die Episoden des Wohlergehens können nahtlos weitergehen. Und so gibt es auch keine Handlung, die eine Entwicklung befördert. Miller fährt mit 1150 Reichsmark mehr wieder zurück, als er gekommen ist. Und dann?
Gut, es ist ein Märchen. Aber konnte ein gerade gefeuerter 24-jähriger, schlecht bezahlter Gerichtsadjunkt 1927 schon 2000 Reichsmark zurückgelegt haben - damals, kurz vor der Weltwirtschaftskrise, durchaus ein Vermögen - um sie in einer Woche zu verjubeln? Oder konnte sich ein Croupier wirklich so irren, ohne dass es jemand gemerkt hat? Andererseits: Vincent Rahder hat gut recherchiert. Aber in einer Sache ist er dem Charme der Geschichte auf den Leim gegangen: Als Magnus Miller 1927 nach Bad Kissingen kam, konnte er sein Geld gar nicht in der Spielbank verlieren. Das "Hazardspiel", wie es damals hieß, gab es auch in Kissingen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber König Maximilian II. von Bayern verbot es 1849, um dem sittlichen Verfall Einhalt zu gebieten. Erst 1955, als der Bayerische Landtag, die Zulassung von Spielbanken beschlossen hatte, lief auch in Bad Kissingen das Glücksspiel wieder an, und zwar in einem privaten Casino im "Frühlingsgarten", wo heute das Hotel "Frankenland" steht. 1965 wurden die bayerischen Spielbanken verstaatlicht. Drei Jahre später zog das Bad Kissinger Spielcasino um: Am 1. Oktober 1968 wurde es im Ballsaal und den Nebenräumen des ehemaligen Actienbades und späteren Luitpoldbades nach der Generalsanierung eröffnet.
Das heißt: Damals schwangen die Reichen und Schönen im Luitpoldbad vor allem das Tanzbein, weniger die Brieftasche. Zu teuer wäre es für Magnus Miller vermutlich trotzdem gewesen. Der Irrtum ist verzeihlich. Schließlich hat Vincent Rahder einen Roman geschrieben und keine geschichtliche Dokumentation. Da gilt die uneingeschränkte dichterische Freiheit. Und wenn es die Spielbank damals gegeben hätte, wäre alles sicher genau so gelaufen wie beschrieben. Oder?
Der Text führt den Leser in eine Stadt, von der die örtlichen Touristiker von heute nur träumen können. Und in eine Zeit, in der Bad Kissingen noch heilte und verjüngte. Im Sommer 1927 kommt der 24-jährige Gerichtsadjunkt Magnus Miller mit einem Lederkoffer am Kissinger Bahnhof an. Er hat gerade seine Stelle verloren, aber genug Geld gespart, um einmal eine Woche in der glamourösen Welt bei den Reichen und Schönen anzuklopfen und mitzuhalten, ihnen im Spielcasino auf Augenhöhe zu begegnen - obwohl er keinerlei Erfahrung hat. Natürlich hat er sich im Hotel "Excelsior" eingemietet.
Am Anfang fremdelt der kleine Magnus noch etwas mit der ungewohnten Welt. Aber er ist Hans im Glück und Felix Krull in einem. Er trifft die richtigen Leute: den Frankfurter Juwelier Ephraim Goldmann mit seiner Zukunftsskepsis, der für ihn zum Mentor der Luxuswoche und zum Retter aus fatalen finanziellen Klemmen wird. Oder Marlene und Sarah aus Berlin, zwei junge, emanzipierte Damen, auf die Magnus Miller natürlich voll abfährt, die mit ihm spielen wie Yin und Yang, wie Bad Cop & Good Cop, Draufgängerin und Keusche (Marlene gewinnt). Und viele andere. Eins fügt sich zum anderen, wie in einem gut geölten Märchen. Obwohl: Da werden Geißlein und Großmütter auch mal gefressen. Oder wie eine ein bisschen klischeehafte Männerphantasie.
Das Buch ist ein Roman der - sagen wir mal - Entschleunigung. Vincent Rahder kann sehr gut durchsonnte - und manchmal auch ein bisschen adjektivtrunkene - Stimmungen beschreiben. Obwohl am besten die Szene ist, in der Magnus Miller im Casino am Roulettetisch erst zögerlich 20 Mark setzt und schließlich - um der Abwärtsspirale zu entgehen, seine gesamten 2000 Mark auf ein Feld setzt - natürlich das falsche. Da bricht die innere Panik aus. Und man kann sich Vincent Rahder direkt als mitfiebernden Autor vorstellen. Er kann seinem Text allerdings auch einen Rhythmus geben, den man als Leser natürlich nicht hat. Da hätte die Spannung weitergehen können. Aber leider schiebt ihm ein Croupier irrtümlich Chips für 3150 Reichsmark zu. Natürlich ist Miller irritiert, aber die Episoden des Wohlergehens können nahtlos weitergehen. Und so gibt es auch keine Handlung, die eine Entwicklung befördert. Miller fährt mit 1150 Reichsmark mehr wieder zurück, als er gekommen ist. Und dann?
Gut, es ist ein Märchen. Aber konnte ein gerade gefeuerter 24-jähriger, schlecht bezahlter Gerichtsadjunkt 1927 schon 2000 Reichsmark zurückgelegt haben - damals, kurz vor der Weltwirtschaftskrise, durchaus ein Vermögen - um sie in einer Woche zu verjubeln? Oder konnte sich ein Croupier wirklich so irren, ohne dass es jemand gemerkt hat? Andererseits: Vincent Rahder hat gut recherchiert. Aber in einer Sache ist er dem Charme der Geschichte auf den Leim gegangen: Als Magnus Miller 1927 nach Bad Kissingen kam, konnte er sein Geld gar nicht in der Spielbank verlieren. Das "Hazardspiel", wie es damals hieß, gab es auch in Kissingen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber König Maximilian II. von Bayern verbot es 1849, um dem sittlichen Verfall Einhalt zu gebieten. Erst 1955, als der Bayerische Landtag, die Zulassung von Spielbanken beschlossen hatte, lief auch in Bad Kissingen das Glücksspiel wieder an, und zwar in einem privaten Casino im "Frühlingsgarten", wo heute das Hotel "Frankenland" steht. 1965 wurden die bayerischen Spielbanken verstaatlicht. Drei Jahre später zog das Bad Kissinger Spielcasino um: Am 1. Oktober 1968 wurde es im Ballsaal und den Nebenräumen des ehemaligen Actienbades und späteren Luitpoldbades nach der Generalsanierung eröffnet.
Das heißt: Damals schwangen die Reichen und Schönen im Luitpoldbad vor allem das Tanzbein, weniger die Brieftasche. Zu teuer wäre es für Magnus Miller vermutlich trotzdem gewesen. Der Irrtum ist verzeihlich. Schließlich hat Vincent Rahder einen Roman geschrieben und keine geschichtliche Dokumentation. Da gilt die uneingeschränkte dichterische Freiheit. Und wenn es die Spielbank damals gegeben hätte, wäre alles sicher genau so gelaufen wie beschrieben. Oder?
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