Warum wird die Auferstehungssinfonie von Gustav Mahler so selten gespielt, obwohl das Universalkunstwerk zur hohen Schule der Klassik zu zählen ist? Die große Besetzung im Orchester, der Chor als unverzichtbares Gestaltungselement, dazu zwei Sängerinnen, das muss finanziert werden. Auch für den Zuhörer bedeuten fünf Sätze ohne Pause neunzig Minuten intensive Auseinandersetzung mit Mahlers ganz eigenem christlichen Weltbild, eine Herausforderung. Wer sie aber annimmt, wird mit großartigen Stimmungen zwischen Himmel und Erde entschädigt.
Die Bühne braucht einen Vorbau für die über hundert Musiker und Sänger. Mit großer Vorfreude betritt die junge Generation kommender Orchestermusiker den Saal, angeführt von Dirigent Joseph Bastian, "junger Jonas Kaufmann Typ", der mit klaren Gesten und wachen Augen die große Formation ganz souverän, dabei sehr elegant leitet. Da steht einer am Pult, der sein Können schon bewiesen hat und auf dem Weg zu großer Karriere ist. Was er - und wohl auch Jonathan Nott , der die anderen Konzerte des Tourneeprojekts leitet - zusammen mit einigen Verstärkungen des Sinfonieorchesters des Bayerischen Rundfunks und dessen Chor erarbeitet haben - ist auf dem Niveau großer Klangkörper. Höchst aufmerksam, weitab jeglicher Routine bleiben die Musiker gespannt, fiebern mit, auch wenn sie gerade nicht spielen.
"Urlicht"
Der Beginn des ersten Satzes, "Todtenfeier" genannt, hat etwas Magisches. Bedrohliche Bläserklänge steigern sich schrittweise zum Fortissimo des Orchesters, bevor sich die Stimmung langsam wieder auflöst. Erste Bewährungsprobe für die Streicher: elegisch ausgeformte Bögen hörbar zu machen. Es folgt eine Spannungsgeladene, von Mahler gewollte, Atempause vor dem 2.Satz, den ein friedliches Menuett-Thema dominiert. Ganz heiter ruft das Pizzicati der Streicher, melodiös antworten die Harfen. Der dritte Satz hat die "Fischpredigt" des Antonius von Padua aus "Des Knaben Wunderhorn" zum Thema. Holzbläser und Pauken übernehmen die Gestaltung von Wasser, Fisch und Predigt. Zu den Höhepunkten des Abends wird das Alt-Solo "Urlicht" mit Lioba Braun im 4. Satz.
Große Stimmen
Seit vielen Jahren hat die Mezzosopranistin, deren Karriere in Würzburg begann und die beim Kissinger Sommer gefeierte Partien sang, eine besondere Beziehung zu Mahler. Ihre samtig intensive Stimme, vom Chor einfühlsam begleitet, trifft den tiefen Ernst des Gedichts "Der Mensch liegt in größter Not". Das macht betroffen. Tiefe Intensität auch bei Juliane Banse, die im 5. Satz das Thema "Auferstehung" zusammen mit Chor und Orchester gestaltet. Auch sie liebt Mahler, hat ihr USA Debüt mit ebendieser Sinfonie gegeben und wie Braun im Kissinger Sommer mit ihrer glockenhellen, seidigen Stimme für Furore gesorgt. Ihr tragendes Legato variiert mit den sich steigernden Paukenwirbeln, schwingt sich beeindruckend klar auf zur Gewissheit: "Sterben will ich, um zu leben". Und wieder einmal beweist auch der Max-Littmann-Saal seine Weltklasse.
Was dann kam, könnte man als imaginären 6. Satz bezeichnen, als eine Ode an die Freude. Wie dankbar die Musiker den frenetischen Applaus genossen haben, welche Freude, wenn Dirigent Bastian die Solistinnen, aber auch die einzelnen Orchestergruppen aufruft. Jubel für den Chor vom Orchester, der schallt Streichern und Co. wieder zurück. Keiner geht ohne Umarmung von der Bühne.
Obwohl der Max-Littmann-Saal nur halb gefüllt war: Mit Mahlers 2. Symphonie hat sich der Winterzauber selbst übertroffen. Sicher hätte das Werk im Kissinger Sommer mehr Aufmerksamkeit gefunden, aber wenn sich die Chance bietet, im Rahmen eines Tourneeprojektes
- schon heute gastiert das Orchester im Münchener Gasteig - ein Highlight der Konzertliteratur anzubieten, das den Finanzrahmen nicht sprengt, muss man zugreifen. Vielleicht hätte man die Einzigartigkeit mehr herausstellen können, denn dieses monumentale Stück Musikgeschichte wird in Bad Kissingen so schnell nicht mehr zu erleben sein. Da haben viele Kissinger Musikfreunde eine große Chance verpasst.