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Bad Kissingen
Betäubungslose Kastration: Das Leiden der Ferkel geht weiter - Landwirt aus Franken nennt Alternativen
Die Frist für Züchter, kleine Schweine unter Narkose zu kastrieren, wird verlängert. Der Bundestag hat einer Verlängerung der betäubungslosen Kastration von Ferkeln zugestimmt. Schweinelandwirt Selbert aus Unterfranken will örtliche Narkose.
Ein Schweinezüchter legt ein junges Ferkel zur Kastration in eine Narkoseanlage in seinem Zuchtbetrieb. Betäubt wird das Ferkel mit Isofluran. Foto: Holger Hollemann/dpa       -  Ein Schweinezüchter legt ein junges Ferkel zur Kastration in eine Narkoseanlage in seinem Zuchtbetrieb. Betäubt wird das Ferkel mit Isofluran. Foto: Holger Hollemann/dpa
| Ein Schweinezüchter legt ein junges Ferkel zur Kastration in eine Narkoseanlage in seinem Zuchtbetrieb. Betäubt wird das Ferkel mit Isofluran. Foto: Holger Hollemann/dpa
Susanne Will
 |  aktualisiert: 18.08.2022 15:35 Uhr

Ab nächstem Jahr hätte eigentlich das Leiden der Ferkel ein Ende gehabt: 2013 wurde vereinbart, dass ab 1.1.2019 kleine männliche Schweine nur noch unter Narkose kastriert werden. Jedoch: Die große Koalition in Berlin brachte kürzlich einen Gesetzentwurf ein, das Tierschutzgesetz zu ändern und den Bauern eine weitere Frist von zwei Jahren zu genehmigen.

Unter der Kritik von Opposition und Tierschützern hat der Bundestag einer Verlängerung der betäubungslosen Kastration von Ferkeln am Freitag zugestimmt . Damit verlängern CDU/CSU und SPD die Qual im Schweinestall um weitere zwei Jahre.

20 Millionen Ferkel jährlich werden ohne Betäubung kastriert

20 Millionen männliche Ferkel werden jedes Jahr in Deutschland ohne Betäubung kastriert. Der Grund: Beim Verbraucher kommt das Fleisch mit dem typischen Ebergeruch nach der Geschlechtsreife des Ferkels schlecht an.

Ferkelerzeuger setzen ein Skalpell an, durchschneiden die Haut, drücken die Hoden nach draußen und schneiden sie ab. Stefan Selbert aus Völkersleier (Landkreis Bad Kissingen) ist ebenfalls Ferkelzüchter. Seit Anfang der 70er züchtet er in der zweiten Generation Schweine. Für ihn ist eine örtliche Betäubung die einzige Möglichkeit, den Schweinen Schmerzen zu ersparen. Doch dafür gibt es noch keine rechtlichen Vorgaben. "Alles andere ist keine praxistaugliche Alternative", sagt der 47-Jährige.

Ebermast und Impfung als Alternativen zur Ferkelkastration

Das sind die Alternativen: zum einen die Ebermast. Das heißt, das Tier bleibt unkastriert. Jedoch kommt der Geruch des Fleisches beim Verbraucher nicht gut an. Dann gibt es noch die Möglichkeit einer Art Impfung: Ein Medikament verhindert die frühe Geschlechtsreife des kleinen Ebers, der nach etwa einem halben Jahr geschlachtet wird. Das aber akzeptiere der Verbraucher nicht. Und dann gibt es die Möglichkeit der Vollnarkose. Selbert erklärt: "Es gibt viele kleine und mittlere Betriebe, die sich das finanziell nicht leisten können."

Stefan Selbert bezeichnet seinen Betrieb als "mittel", genaue Zahlen, wie viele Muttersauen er hat, will er nicht nennen. Wenn ein kleiner Eber eine Vollnarkose erhalten würde, dann könne es pro Ferkel bis zu fünf Euro kosten. "Doch dazu brauchen wir die Technik", in den Ställen müssten Vorrichtungen stehen "und das kann sich ein kleiner Betrieb nicht leisten".

Kosten bis 12.000 Euro

Diese Vorrichtungen sind Halterungen, in denen das Ferkel kopfüber gesteckt werden würde. Über ein Gas würde das Tier bewusstlos werden, dann kann der Hoden vom Tierarzt schmerzfrei entfernt werden. "Die Vorrichtung müsste stehenbleiben, denn würde ein Tierarzt diese von Stall zu Stall bringen, könnten Keime, Bakterien oder Viren eingeschleppt werden - so kommen bis zu 12.000 Euro zusammen", rechnet Selbert vor.

Selbst bei einer guten Vermarktung des Fleisches vom schmerzfrei entmannten Eber glaubt Stefan Selbert nicht daran, dass der Verbraucher die Investition des Bauern über den Preis abfangen würde. Er fürchtet die Geiz-ist-geil-Mentalität. "Vor der Kamera sagt jeder Verbraucher, dass er mehr Geld für das Fleisch zahlen würde. Aber im Laden greifen die Menschen zu 90 Prozent zum billigeren Produkt. Dabei hätte der Verbraucher die Macht."

Konkurrenz aus dem Ausland

Schon jetzt sei die Konkurrenz aus dem EU-Ausland groß. "Nur noch 80 Prozent der Ferkel hier kommen aus Deutschland." Und beispielsweise in den Niederlanden oder Dänemark sei der sogenannte vierte Weg bereits erlaubt: die örtliche Betäubung der Ferkel vor der Kastration.

Wenn Selbert seine Ferkel vollnarkotisieren müsste, dann rechnet er mit fünf Euro pro Ferkel, die das ausmacht. Hochgerechnet auf ein 80 Kilogramm schweres Schlachtschwein wäre dann das Kilogramm um etwa sechs Cent teurer. "Und das zahlt der Großhandel nicht, die nehmen dann günstigeres Fleisch aus dem Ausland." Die großen Discounter bestimmten den Preis und dort komme es im Einkauf auf Centbeträge an, um dem Kunden an der Fleischtruhe das Fleisch so günstig wie möglich verkaufen zu können. Stefan Selbert sieht zwar eine Lösung, doch die stirbt mehr und mehr aus: "Wir müssten zurück zum regionalen Metzger. Aber die sind ja mittlerweile alle durch immer mehr Verordnungen und Vorschriften kaputt gemacht worden."

Tierschutzbund: "Armutszeugnis"

"Es ist ein Armutszeugnis der Großen Koalition, dass SPD und CDU es nun tatsächlich tun und die Qual für Millionen Ferkel verlängern", sagt Dr. Brigitte Rusche, Vizepräsidentin des Deutschen Tierschutzbundes. "Die Koalition schreibt in ihrem Gesetzentwurf schwarz auf weiß, dass die unternehmerischen Interessen der Landwirte wichtiger sind als das Staatsziel Tierschutz - ein Kniefall vor der Agrarlobby. Die Große Koalition bringt einen Gesetzentwurf ein, mit dem sie wissentlich gegen das Grundgesetz verstößt und massives Tierleid verursacht. Dabei steht im Koalitionsvertrag sogar, dass Deutschland eine Spitzenposition im Tierschutz einnehmen möchte", so Brigitte Rusche weiter in einer Stellungnahme des Deutschen Tierschutzbundes.

Nachfrage bei den Wahlkreisabgeordneten Dorothee Bär (CSU) und Sabine Dittmar (SPD), deren Parteien für die Fristverlängerung gestimmt haben: Warum verlängern Sie mit dem Koalitionsbeschluss das Leid der Tiere?

Dorothee Bär (CSU): Das Thema Ferkelkastration sei eines, das "leider nicht kurzfristig leicht und für alle Seiten zufriedenstellend gelöst werden kann", so die Digitalministerin. Deshalb gebe es einen zeitlichen Aufschub. Hauptproblem sei, dass das Mittel für Lokalanästhesie in Deutschland noch nicht zugelassen ist. Andere europäische Staaten dürften ab 1. Januar 2019 lokal betäuben. "Für mich wäre die örtliche Betäubung die richtige Lösung. Die örtliche Betäubung können unsere Landwirte vor Ort nach einer Schulung selbst durchführen, der zeitliche Aufwand ist zudem realistisch." Das momentane Problem: Es fehle in Deutschland das zugelassene Mittel, daher: Verlängerung der bisherigen Regelung um zwei Jahre, um die Schulungen einzuführen und das Mittel zuzulassen. "Mir persönlich ist wichtig, dass wir zum einen das Tierwohl immer im Auge haben und zeitgleich alles dafür tun, dass wir eine Lösung für unsere Landwirte finden die eine regionale Lebensmittelversorgung sicherstellen, damit wir keine Ferkel aus Dänemark beziehen müssen, die weite Wege hinter sich gebracht haben"

Sabine Dittmar (SPD): "Auch wir sind von der Dreistigkeit der CSU überrascht worden, die das Thema (...) in den Koalitionsausschuss gezogen hat", so die Maßbacherin. Das Bundeslandwirtschaftsministerium habe seit 2013 nichts unternommen, um Betäubungsmethoden, die einfach durchführbar sind und effektiv betäuben, anwendungsreif zu machen. Die Einführung neuer Methoden sei verschleppt worden. "Um kleine und mittlere Ferkelerzeuger nicht in ihrer Existenz zu gefährden, haben wir uns entschieden, der Fristverlängerung mit strengen Auflagen zuzustimmen. Ohne sie wären ab 2019 im Ausland gezüchtete Ferkel importiert worden, die mit Methoden kastriert worden sind, die dem deutschen Tierschutzgesetz nicht entsprechen." Die SPD habe der Bundesregierung einen Handlungskatalog mit zeitlichen Fristen vorgelegt, "Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner muss jetzt handeln."

Rottmann: Eine Quälerei

MdB Manuela Rottmann (Grüne): "Wieder einmal schiebt die Bundesregierung Jahre nach der Verabschiedung eines Gesetzes das Inkrafttreten nach hinten, weil sie sich nicht darum gekümmert hat, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung zu schaffen. Niemand bestreitet, dass die betäubungslose Ferkelkastration eine Quälerei ist und beendet werden muss. Es gibt tierfreundliche Alternativen wie die Betäubung oder die Immunokastration. Wer aber einfach auf Zeit spielt und nichts tut wie die Bundesregierung, dem fehlt jeder Respekt vor unseren Mitgeschöpfen."

Georg Scheuring ist Geschäftsführer des Bayerischen Bauernverbandes, Kreisverband Bad Kissingen. Im Interview benennt er den Verlierer des Hickhacks um die Ferkelkastration: den Tierschutz.

Frage: Herr Scheuring, was sagen Sie zum Koalitionsbeschluss?

Antwort: Es ist mir schleierhaft, warum sich die Politik nicht auf den sogenannten vierten Weg, die örtliche Betäubung, einlassen will. Die Spritze wird von allen akzeptiert: der Fleischwirtschaft, den Landwirten, vielen Tierärzten und vom Verbraucher. Die Fristverlängerung ist dennoch wichtig, um das drohende Aus für viele Betriebe abzuwenden. Jetzt müssen alle ran, damit die Kastration unter örtlicher Betäubung erfolgen kann.

Kritiker haben eher den Eindruck, der Bauer verwehre sich gegen jeden Vorschlag mit der Begründung, Betäubungen seien zu teuer.

Nein, gar nicht. Es gibt zwar verschiedene Möglichkeiten, aber die reichen auch zusammen nicht als Lösung aus. Es gibt die Ebermast, die aber vom Verbraucher nicht akzeptiert wird, weil das Fleisch einen typischen Eigengeruch hat. Dann gibt es die Immunokastration: ein Medikament unterbindet vorübergehend die Produktion der Geschlechtshormone. Zum dritten die Vollnarkose, aber die ist für den Betrieb sehr aufwändig und für das neugeborene Ferkel belastend und gefährlich.

Fünf Jahre hatte die Politik Zeit - aber haben nicht auch die Bauern das Problem ausgesessen?

Nein. Das lag allein an der Politik. Wir brauchen verlässliche Vorgaben. Wenn die Politik heute sagt, wir sollen die Schweineställe rosa streichen: gut, dann machen wir das. Aber wir wollen sie ein halbes Jahr später nicht hellblau streichen müssen.

Hätten die Bauern nicht schon bis 31. Dezember 2019 Betäubungsmöglichkeiten vorhalten müssen?

Nein, denn da fehlt die rechtliche Umsetzung. Wenn ein Betrieb jetzt seine Schweine betäubt, dann verschafft er sich Wettbewerbsnachteile, weil die Ferkel dann teurer werden müssen. Und die Ferkelerzeuger haben keine gigantischen Gewinnspannen - es gibt Zeiten, in denen der Ferkelerzeuger noch Geld mitbringt.

Jetzt mal weg vom Geld: Das Ferkel hat doch Schmerzen.

Ja, das tut weh. Deshalb verstehe ich nicht, warum die Politik die örtliche Betäubung nicht vorschreibt. D enn wie wir vom Zahnarzt her wissen, unterbindet die örtliche Betäubung den Schmerz. Deshalb können Ferkelerzeuger in Schweden und Dänemark mit der örtlichen Betäubung arbeiten. Die anderen beiden Möglichkeiten - Eberzucht oder Vollnarkose - akzeptieren entweder Verbraucher, Schlachter oder Bauern nicht oder bedeuten für die Tiere viel mehr Stress. Wenn alternativ zusätzlich viele Ferkel aus anderen EU-Staaten über weite Strecken zu uns transportiert werden, ist dem Tierschutz nicht gedient.

Fünf Jahre lang ist nichts passiert. Woran liegt es?

Die Landwirtschaft und die gesamte Branche hat sich in den vergangenen Jahren sehr intensiv um tragfähige Lösungen bemüht, ist aber an Grenzen gestoßen und wegen diverser massiven Widerstände noch nicht ans Ziel gelangt.

Also ein von Lobbyismus durchzogenes Agrarministerium?

Das kann man so sehen. Da ist der Bauernverband genauso im Boot wie die Pharmaindustrie und die Tierärzte, da macht jeder seine Lobbyarbeit. Und wenn sehr viele Lobbyisten auf einem Fachgebiet aufs Ministerium einprasseln, können die alles ausbremsen.

Und wer ist der Verlierer?

Eindeutig der Tierschutz. Man hätte den vierten Weg mit der Betäubungsspritze schon längst möglich machen können. Scließlich ist dieses Verfahren zum Beispiel in Dänemark ound Schweden zugelassen.

 
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