
Wenn Solomon Chibuike von seiner Heimat spricht, füllen sich seine Augen mit Tränen. "In Biafra geht das Töten weiter", erzählt er verzweifelt. Seit 2019 wohnt er in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Hammelburg . "Mein Leben hier ist nutzlos", sagt der Nigerianer und äußert sogar Selbstmord-Gedanken. Davon abgehalten werde er durch seinen christlichen Glauben und die Freunde, die er in der evangelischen Auferstehungskirche Schweinfurt gefunden hat: "Bei so viel Ungerechtigkeit kann ich nicht einfach wegsehen", begründet Tobias Roepke aus Oerlenbach seinen Einsatz für Solomon Chibuike. Und Marco Maaß aus Dürrfeld ist enttäuscht vom Rechtsstaat: "Hier wird über Menschenleben entschieden, ungeachtet der aktuellen Situation."
Den Familienvätern ist bewusst, dass Deutschland nicht jeden aufnehmen könne. "Ich finde es in Ordnung, dass wir nur denen Schutz geben, die in Lebensgefahr sind", sagt Roepke, der in der Auferstehungskirche den internationalen Gebetskreis leitet und sich intensiv mit Chibuikes Geschichte beschäftigt hat: Dessen Heimat Biafra galt lange als Synonym für das Elend in Afrika. Die Bilder von unterernährten "Biafra-Kindern" gingen um die Welt, wegen des Biafra-Krieges wurde die Hilfsorganisation " Ärzte ohne Grenzen " gegründet. Die Region im Südosten Nigerias ist reich an Bodenschätzen. "Es finden willkürliche Erschießungen statt, die Menschen werden drangsaliert, es sieht aus, als wiederhole sich in Bifra ein Genozid", sagt Maaß. Aus Gesprächen mit Menschenrechtlern ist dem Ingenieur klar: "Es geht um Leben und Tod, wenn Solomon abgeschoben wird, hören wir wahrscheinlich nie wieder von ihm."
Vater und Freunde ermordet
Solomon Chibuike nahm im Mai 2016 an einer Gedenkfeier für die Opfer des Biafra-Krieges teil. Es sei eine friedliche Demonstration gewesen, sein Glaube verbiete ihm Gewalt, betont er. Trotzdem hätten Polizei und Militär seinen Vater und mehrere Freunde vor seinen Augen ermordet . Chibuike flüchtete übers Mittelmeer, lebte zunächst in Italien und kam Anfang 2018 nach Deutschland. Im Herbst 2018 lernte er Mitglieder der evangelischen Gemeinde in Schweinfurt kennen. "Mittlerweile gehört er zur Familie", erzählt Maaß. Er hole ihn so oft wie möglich ab, weil Solomon psychische Probleme habe und sich in Hammelburg komplett zurückziehe.
Seit Juni 2019 wohnt Chibuike in der GU Hammelburg . Durch sein großes Engagement fand er gleich zwei Arbeitsplätze: unter der Woche bei Reifen Müller, am Wochenende in der Küche des Seniorenheimes. Mit der Ablehnung seines Asylantrags wurde ihm im Mai 2021 jedoch die Arbeitserlaubnis entzogen. "Solomon Chibuike war sehr zuverlässig, immer anwesend, hat sehr gut gearbeitet", betont Jürgen Fischer , Geschäftsführer bei Reifen Müller. Das Unternehmen würde ihn jederzeit wieder einstellen, wenn das möglich wäre. Leider habe es wegen Corona keine Deutsch-Kurse gegeben, aber durch seine aufgeschlossene Art war er laut Fischer bei Vorgesetzten und Kollegen "sehr gerne gesehen".
Die Regierung von Unterfranken verweist auf Nachfrage darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im April 2018 den ersten und im Mai 2020 einen Folge-Asylantrag ablehnte. "Diese Ablehnung wurde durch das Verwaltungsgericht Würzburg bestätigt", heißt es aus Würzburg. Maaß und Roepke waren in der Verhandlung: "Wir hatten Tränen in den Augen", erinnern sie sich an Chibuikes Aussage. Trotzdem lehnte das Gericht eine weitere Berufung ab.
"Herr Chibuike ist nach Ablehnung des Folgeantrags vollziehbar ausreisepflichtig und verfügt seit dem 19. August 2021 nicht mehr über eine wirksame Duldung", schreibt die Regierung von Unterfranken . Weil kein Reisedokument vorliege, könne die Duldung auf Antrag höchstens um ein bis zwei Monate verlängert werden. Aber: "Sollte er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, ist die Zentrale Ausländerbehörde gesetzlich dazu verpflichtet, eine Abschiebung durchzuführen, sofern keine Duldungsgründe dagegensprechen." Um wieder in Deutschland arbeiten zu können, verweist die Regierung von Unterfranken auf ein Visumverfahren.
"Die Rückführung Ausreisepflichtiger ist ein wichtiges Element einer umfassenden Flüchtlings- und Migrationspolitik", betont die CSU-Wahlkreisabgeordnete Dorothee Bär . Die Ausreise nicht-schutzberechtigter Personen sei wichtig, um "staatliche Ressourcen und gesellschaftliche Akzeptanz für tatsächlich Schutzberechtigte zu erhalten". Bär verweist auf die Zuständigkeit des Bamf und der Gerichte. Zudem gebe es ein sorgfältiges, rechtsstaatliches Verfahren: "Aus Deutschland wird niemand leichtfertig abgeschoben ", ist sich Bär sicher. Aktuell würden nur zehn Prozent aller Asylantragsteller aus Nigeria als schutzberechtigt eingestuft. Laut Staatsministerin Bär gibt es fast 17 000 Ausreisepflichtige aus Nigeria in Deutschland, davon mehr als 1700 "vollziehbar ausreisepflichtig". Heuer habe es bislang 109 Rückführungen gegeben. "Generell ist die Sicherheitslage in Nigeria anders zu bewerten als derzeit in Afghanistan", betont Bär auf Nachfrage.
"Der große Unterschied ist, dass es nach Auffassung der Bundesregierung in Nigeria noch inländische Flucht-Alternativen gibt", berichtet die Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann . Sie kenne aber zum Beispiel Frauen aus Nigeria, bei denen Gerichte anders entschieden hätten: Gerade wenn es um Zwangsprostitution oder Beschneidungen von Mädchen gehe, hätten Gerichte bestätigt, dass überall in Nigeria Lebensgefahr bestehe.
Das fürchten auch Solomon Chibuikes Unterstützer: Durch seinen Nachnamen Chibuike sei er eindeutig dem Volk der überwiegend christlichen Igbo zuzuordnen. "Sein Leben ist überall in Nigeria bedroht", ist sich Maaß sicher. Deshalb habe er nun unter Hinweis auf Solomons psychische Verfassung erneut Klage eingereicht. Solomon Chibuike selbst zermürbt seine Situation: "Ich kann nicht schlafen, ich fühle mich jeden Tag so traurig", sagt er - immer noch mit Tränen in den Augen.