In Berlin ist es ein Tipp für Einheimische und Touristen, die nicht die neuesten Entwicklungen im zeitgenössischen Theater, Innovatives oder gar Provokantes auf den Großstadtbühnen suchen, sondern die einfach eine spannende Geschichte, von guten Schauspielern gespielt, auf einer realistisch ausgestatteten Bühne im Stil der 1960er anschauen möchten: Das Berliner Kriminaltheater im wunderschön renovierten früheren Umspannwerk Ost in Friedrichshain. Es wurde von dem Regisseur Wolfgang Rumpf und seinem Dramaturgen Wolfgang Seppelt 2000 gegründet und spielt Bühnenadaptionen berühmter Thriller von Agatha Christie und Edgar Wallace bis zu Umberto Ecos "Der Name der Rose" und Hennings Mankells "Vor dem Frost". Die Staatsbad GmbH hatte das Ensemble nach Bad Kissingen eingeladen, wo die Berliner das im Parkett gut besetzte Kurtheater einen Abend lang mit "Arsen und Spitzenhäubchen" exzellent unterhielten.
Joseph Kesselrings Kriminalkomödie um vier mehr oder weniger verrückte Mitglieder der Familie Brewster ist eine brillant konstruierte Boulevardkomödie, die ganz unterschiedliche amerikanische Klischees aufs Korn nimmt: Zum einen gibt es da den Haushalt von zwei netten alten Damen, die den Pfarrer zum Tee einladen und Spielzeug für die Weihnachtsbescherung spenden. Zum anderen haben die beiden nicht nur eine Leiche in der Fensterbank, sondern auch noch zwölf weitere Herren, die sie mit vergiftetem Holunderwein von ihrem einsamen Leben befreit und dann mit genüsslich inszenierten Leichenfeiern in ihrem Keller bestattet haben. Ihren jüngsten Neffen Teddy, der sich für Präsident Roosevelt im ständigen Kriegseinsatz hält, haben sie zur Bestattung ihrer Opfer im Keller abgerichtet.
Er ist der harmlose Irre in der Familie, sein ältester Bruder Jonathan ist dagegen in der richtigen Welt schon als zwölffacher Mörder weltweit polizeibekannt. Er kommt mit dem genialen plastischen Chirurgen Dr. Einstein ins Brewster-Elternhaus zurück, wo er ebenfalls eine Leiche zu deponieren gedenkt. Nach der letzten OP sieht er aus wie - noch ein Klischee - Frankenstein.
Dass der einzig normale - weil ohne sein Wissen adoptierte - Mortimer Brewster ausgerechnet Theaterkritiker ist und die Unwahrscheinlichkeit von Plots des schreibenden Polizisten am Beispiel des gerade laufenden Stücks und seiner eigenen Position darin kritisiert, ist eine weitere der vielen verrückten Ideen, die diese leichenreiche Komödie zu einem solchen Riesenerfolg gemacht haben. Denn die vielen grausigen Gewalttaten und genüsslich zelebrierten Absurditäten in diesem kirchentreuen amerikanischen Bürgerhaus werden durch den Kontrast zum banalen Leben, etwa der parallel laufenden Liebesgeschichte zwischen Mortimer und der Pfarrers- und Nachbarstochter Elaine oder durch die raffinierte und beamtenmäßig sorgfältige Vorbereitung Giftmorde und vor allem durch die ständig ihre Morde als Taten christlicher Nächstenliebe propagierenden lieben alten Damen zu umwerfend komischen Perlen des Schwarzen Humors, dem sich auch das heutige Publikum nicht entziehen kann.
Und das vor allem dann, wenn man, wie das Berliner Kriminaltheater, auf eine so gute Besetzung der Hauptrollen achtet, wie das bei dieser Inszenierung zu sehen war, und seine Interpreten in solch schlüssiger Personenregie führt, wie Intendant Rumpf das tat.
Als nicht anders als Idealbesetzungen kann man die fast jugendlich zart wirkende Vera Müller (mit 79!) als Abby und die handfeste Anette Faber als ihre Schwester Martha Brewster bezeichnen. Mit großer Ruhe, angenehmer Sprechkultur und absolut überzeugender Tüttelichkeit spielten sie das ebenso bigotte wie nette und um alle Verwandten höchst besorgte, aber ansonsten kalt kalkulierende Mörderinnenpaar.
Der seit einigen Jahren zum festen Ensemble des Kriminaltheaters gehörende, aber auch aus TV-Serien bekannte Klaus Rätsch spielte mit autistisch-stillvergnügter Konzentration den lustigen Irren Teddy Brewster; der als Bösewicht vom Dienst in vielen Theatern und im Fernsehen gefragte Wolfram von Stauffenberg mit viel körperlicher Präsenz den Serienmörder Jonathan Brewster.
Auch der Darsteller des einzigen Nicht-Irren und Nicht-Mordlüsternen im Hause Brewster, Thomas Linke , hat schon in TV-Serien und an vielen Theatern gespielt und gab überzeugend die Rolle des Kuckuckseis, das erst am Schluss erfährt, dass es nicht die schrecklichen Gene seiner vermeintlichen Verwandten geerbt hat. Den inneren Konflikt zwischen seiner Liebe zu Elaine, der Loyalität gegenüber seinen gefährlich-verrückten Verwandten und seinem fast lähmenden Horror angesichts der Schrecken im Haus einer Kindheit spielte er sehr überzeugend.
Gundula Piepenbring hat in "Tatort" und "Polizeiruf" gespielt, gehört aber auch schon seit 2004 zum Ensemble des Kriminaltheaters und gab die Pfarrerstochter Elaine in der ganzen Nervosität des verliebten Mädchens, aber auch dessen Selbstbezogenheit und Blindheit gegenüber den Machenschaften im Brewsterhaus. Auch die übrigen Rollen waren überzeugend besetzt.
So gab es in diesem Klassiker des Kriminalstücks mehr Vergnügen als Entsetzen, und das Publikum amüsierte sich hörbar. Ein gelungenes Gastspiel einer Berliner Institution in Bad Kissingen , das mit verdientem langem Applaus belohnt wurde.