Es liegt in der Natur der Sache: Physiker kommen ins Schwärmen, wenn es um Elementarteilchen geht. Denn schließlich erforschen sie die grundlegenden Phänomene der Natur und wollen deren Eigenschaften und Verhalten mittels Gesetzmäßigkeiten erklären. Klar, dass deshalb die Entdeckung des Higgs-Bosons Anfang Juli für Furore sorgte, denn damit wäre das letzte Puzzlestück im Standardmodell des Universums gefunden. Doch ob es wirklich das berühmte „Gottesteilchen“ ist, muss jetzt noch genauer untersucht werden, sagt Prof. Dr. Ansgar Denner (Würzburg) im Gespräch mit der Main-Post.
Der gebürtige Weichtunger hat seit Oktober 2010 einen Lehrstuhl an der Uni Würzburg. Anfang der 90-er Jahre war er zwei Jahre lang am CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, tätig. Dort untersuchte er zusammen mit zahlreichen anderen Wissenschaftlern am Teilchenbeschleuniger (Collider) den Aufbau der Materie. Später arbeitete er mehrere Jahre am Schweizer Paul Scherrer Institut in Villigen und berechnete dort die theoretische Häufigkeit von Higgs-Bosonen für die Experimente am Large Hadron Collider (LHC).
Aber auch an der Uni Würzburg forscht der 52-Jährige weiter, steht das Higgs-Boson noch immer im Mittelpunkt seines Interesses. Er ist Mitglied der im Januar 2010 gegründeten „LHC Higgs Cross Section Working Group“, einer internationalen Vereinigung von Wissenschaftlern, die sich in mehreren Arbeitsgruppen mit der Berechnung der Häufigkeiten des Higgs-Teilchens auseinandersetzen und mit dem CERN in Verbindung stehen.
Nadel im Heuhaufen
Die Suche nach dem Higgs-Boson im LHC kann man durchaus mit der Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen vergleichen, sagt Denner. Denn „das Higgs“ taucht in weniger als einer von einer Milliarde Teilchenreaktionen auf. Außerdem hat es eine so kurze Lebensdauer, dass man es nicht direkt nachweisen kann, sondern nur über die Häufigkeiten anderer im Detektor nachgewiesenen Teilchen.
Umso verständlicher erscheint es daher, dass man die größten Bemühungen starten muss, um diese kleinsten Teilchen der Welt überhaupt zu erahnen. Der LHC ist schließlich das größte und stärkste Mikroskop, das jemals gebaut wurde, erklärt Denner. „Es ermöglicht, Abstände zu untersuchen, die eine Milliarde mal kleiner sind als ein Atom.“ In der Maschine der Superlative werden 2800 Pakete aus 100 Milliarden Protonen von über 9000 Magneten auf ihrer Bahn gehalten. „Die Energie dieser Protonenstrahlen entspricht der eines vollbeladenen Güterzugs bei Höchstgeschwindigkeit.“
Zumindest verwandt
Dass es sich bei der jüngsten Entdeckung tatsächlich um jenes berühmt-berüchtigte Gottesteilchen handelt, ist in Denners Augen noch nicht abschließend geklärt. „Man hat ein neues bosonisches Teilchen gefunden, das mit dem Higgs-Boson zumindest verwandt sein muss.“ Ob es wirklich das Higgs-Boson des Standardmodells ist, kann man seiner Meinung nach erst sagen, wenn man seine Eigenschaften genau untersucht hat.
Sollte dieses Boson aber tatsächlich das noch fehlende Glied im Standardmodell der Teilchenphysik sein, ist die Sensation perfekt. Denn nach jenem Gottesteilchen fahnden die Wissenschaftler schon seit den 80-er Jahren. Die Entdeckung würde bedeuten, „dass unsere theoretischen Vorstellungen von der Welt der Elementarteilchen richtig sind“ (Denner).
Doch damit werden die Teilchenphysiker jetzt nicht etwa arbeitslos. Mit „dem Higgs“, dem letzten fehlenden Baustein des Standardmodells, hat man nun zwar die physikalischen Grundlagen der Welt zu einem großen Teil verstanden, sagt Denner. „Aber es gibt noch andere Beobachtungen, die sich nicht mit dem Standardmodell erklären lassen, wie zum Beispiel die dunkle Materie im Universum.“ Und von der gibt es etwa sechsmal mehr als von der sichtbaren Masse, so der Physiker weiter. – Wenn man so will, hat die Suche nach neuen Elementarteilchen also gerade erst begonnen.