
Der Nikolaus wohnt am Kirchberg in Althausen. Er hat Bart und Bauch und ein grimmiges Gesicht. Fast immer. Dass er seit Jahrzehnten gebucht wird, um Kindern die Leviten zu lesen und ihnen Mut zu machen, dürfte allerdings genau daran liegen. Denn: Die Grimmigkeit, die sich im Lauf seiner 48 Jahre in seine Gesichtszüge gearbeitet hat, verleiht Andreas Scharrenberg, im normalen Leben Security-Mitarbeiter, genau die Autorität, die dieser Job verlangt.
Sein Erfolg ist seine Grimmigkeit
Lächelt er aber, geht die Sonne auf – und die Kinder lieben diesen Nikolaus. Am 5. und am 6. Dezember wird Andreas Scharrenberg im Halbstundentakt mit seinem Knecht Ruprecht in Kindergärten und Privathäusern unterwegs sein. „Es ist anstrengend, aber tatsächlich sind es die glücklichen Kinderaugen, weswegen ich weitermache.“
700 Euro kostet der Ornat
Bald wird er sich das erste Mal in dieser Saison den dichten weißen Bart umlegen, die Mitra aufsetzen, das rote, goldbestickte Casel umhängen, drunter die weiße Albe tragen, den Bischofsstab in die Hand nehmen und über die weißen Handschuhe den Bischofsring streifen. Rund 700 Euro hat er für den Ornat ausgegeben, eine lohnende Investition. Denn mit dem Weihnachtsmann hat das prachtvolle Kostüm überhaupt nichts zu tun. Mit der Coca-Cola-Werbefigur „kann ich überhaupt nichts anfangen“, sagt der 48-Jährige. Denn: Kirche und Glaube ist ihm wichtig. Das war nicht immer so.
Extreme seelische Notlage: Ein Pfarrer half ihm
In seiner Jugend war er einer, der – wie er sagt – „nix hat anbrennen lassen“. Ein junger Lebemann, der auch über Grenzen ging: „Ich habe mich ausgetobt“. Bis seine Welt, die er sich als Halbstarker zusammengezimmert hat, auseinanderbrach. Eine extreme seelische Notlage beutelte ihn stark. „Es war ein Pfarrer , der mir zugehört hat, der mit mir geredet hat.“ Und der den junge Andreas aus seinem Tief zog.
Er vertritt Pfarrer Martin Hild
Seitdem engagiert sich Andreas Scharrenberg in der evangelischen Kirche. 1998 ist der gelernte Einzelhandels- und Bürokaufmann nach Althausen gezogen. 2001 bis 2003 machte er eine Ausbildung zum Lektor, durfte von da an vorgefertigte Lesepredigten halten. Durch seine Prädikantenausbildung, die er nachlegte, vertritt er nun den Münnerstädter Pfarrer Martin Hild, hält Abendmahlsgottesdienste und predigt selbst. „Trauen und Taufen darf ich auch.“ An Heiligabend wird er den Gottesdienst in der evangelischen Kirche halten.
Einsatz gegen Aufwandsentschädigung
Laienprediger ist ein Ehrenamt, wie es auch sein Dienst als Nikolaus ist, er schaut lediglich, dass er durch eine Aufwandsentschädigung sein Auto volltanken kann, wenn er mit Knecht Ruprecht Marcus Fischer unterwegs ist. „Es will ja keiner mehr machen“, bedauert er und erinnert sich an den verstorbenen Alt-Bürgermeister Eugen Albert , der lange Jahre ebenfalls den Nikolaus spielte. Mit seinem jetzigen Beruf – er ist Objektleiter im Sicherheitsdienst – lasse sich der Einsatz als Bischof gut vereinbaren.

Als Nikolaus schon lange ausgebucht
Die rund 30 Termine, die er am 5. und 6. Dezember in den Landkreisen Bad Kissingen, Rhön-Grabfeld und bis nach Schweinfurt und Würzburg hat, sind schon längst ausgebucht. „Manche rufen schon im Oktober an“, erzählt er, und dass er viele Familien schon seit Jahren kennt. „Das ist sehr schön, weil ich die Kinder aufwachsen sehe.“
Sein Ruprecht hat keine Rute mehr
Wurde Ruprechts Rute in früheren Jahrzehnten durchaus noch als Zuchtmittel eingesetzt, brauchen die Kids nur in Andreas Scharrenbergs Gesicht zu sehen: Die Ernsthaftigkeit, die von diesem Mann ausgeht, lässt die Kinder vermutlich innerlich strammstehen – die meisten jedenfalls. Sein Ruprecht hat keine Rute mehr. Aber: „Es gibt auch die Frechen, natürlich.“ Einer habe mal zu ihm gesagt: „Du alter Mann kannst mir gar nichts!“, da hat er ihn nur angesehen und ruhig gesagt: „Trau dich doch. Sag‘ mir das noch mal…“ – und aus dem Gernegroß wurde ruckzuck ein handzahmes Kind, das auf seinem Schoß Platz nahm. Und wer richtig frech wird, für den hat der Nikolaus immer ein spezielles Geschenk dabei: ein Kohlebrikett. Erst wenn die Kids dann netter werden, gibt es – natürlich – die Präsente aus dem Sack des Knechts.
„Angst ist nicht gut“
Unheimlich ist sein Kompagnon Marcus Fischer als Knecht Ruprecht . Er hat einen zotteligen grauen Bart, hinter dem sein Gesicht fast vollständig verschwindet. Gekleidet ist er in ein schwarzes Gewand. Andreas Scharrenberg: „Da gibt es Kinder, die kreischen erstmal erschrocken. Aber Angst ist nicht gut. Sobald ich etwas sage, haben die Kinder Vertrauen.“
Was der Althäuser den Kindern vorhält – zuvor von den Eltern gebrieft – unterscheide sich nicht deutlich von dem, was auch er als Kind vom Nikolaus zu hören bekommen habe. „In der Hauptsache sind es nachlassende schulische Leistungen und der Sauberkeitsgrad der Kinderzimmer“, viel scheint sich nicht geändert zu haben. Was es in seiner Jugend nicht gab: Die Vorhaltungen, zu viel am Handy zu daddeln.
„Bei mir wird kein Kind bloßgestellt“
Er erlebt aber auch, dass Eltern von ihm wollen, dass er Intimitäten anspricht. „Das mache ich nicht. Bei mir wird kein Kind bloßgestellt.“ Eltern, die von ihm verlangen, das Bettnässen des Kindes anzusprechen, werden abblitzen. Und er weiß auch: „Ich kann in der Zeit, in der ich in der Familie bin, nicht das gutmachen, was Eltern falsch gemacht haben. Daneben bin ich ja auch kein Erziehungsberechtigter. Die Kinder sollen mich in guter Erinnerung behalten. Deshalb frage ich auch immer, ob ich im nächsten Jahr wiederkommen darf.“ Zu 100 Prozent ist die Antwort: ja.
Seine Frau hat ausgerechnet an Nikolaus Geburtstag
Seine Familie steht hinter seinem Engagement. Seine Frau Nicole und er haben zwei Töchter , sie sind jetzt 16 und 19 Jahre alt. Früher, als Kinder, haben sie ihn als Engel begleitet. Heute sind sie stolz auf ihren Papa , dass er immer noch weitermacht. Und seine Frau? Er muss ein wenig grinsen. Sie nenne ihn „mein grimmiger Teddybär“ und stehe auch hinter seinem Engagement. Wobei sie wirklich die Verliererin am Nikolaustag ist: „Nicole heißt meine Frau, das kommt von ,Nikolaus‘. Und noch dazu hat sie am 6. Dezember Geburtstag.“ Das heißt: Sie sieht ihren Mann an diesem Tag, ihrem Geburtstag, erst, wenn er ganz spät nach Hause kommt – und glücklich ist. „Weil ich wieder in glänzende Kinderaugen schauen durfte.“ Und er lächelt.