Bad Kissingen
An den Grenzen des Machbaren
Gerd Schaller dirigierte im Großen Saal des Bad Kissinger Regentenbaus zur Eröffnung des Ebracher Sommers das Staatsorchester Braunschweig.
Der Ebracher Sommer ist halt schneller als der Kissinger Sommer: Er hat bereits am Sonntag im Großen Saal des Regentenbaus begonnen. Das Staatsorchester Braunschweig gastierte unter der Leitung von Gerd Schaller und mit dem rumänischen Pianisten Andrei Licaret. "Phantastisches" war das Konzert überschrieben. Der Titel bezog sich weniger auf das 1.
Klavierkonzert von Johannes Brahms, sondern auf die "Symphonie fantastique" von Hector Berlioz.
Im Gegensatz zu Gerd Schaller, der sich einen erfreulich großen Publikumsstamm in Bad Kissingen erarbeitet hat, war das Braunschweiger Orchester zum ersten Mal im Großen Saal. Und es hinterließ einen etwas zwiespältigen Eindruck. Gerd Schaller hatte keinen ganz leichten Abend. Um es gleich vorweg zu sagen. Das Orchester musste sich etwas unter Wert verkaufen. Dass da ein großes - und letztlich beruhigendes - Potenzial da ist, zeigten vor allem die Holzbläser. Aber seit Generalmusikdirektor Alexander Joel nach der Spielzeit 2013/14 Braunschweig verlassen hat, hat das Orchester keinen hauptamtlichen Leiter mehr. Stefan Soltesz, 2012 zum Ehrendirigenten gewählt, leitet zwar die Sinfoniekonzerte, aber die kontinuierliche Anwesenheit und Arbeit eines Orchestererziehers ist nicht gegeben. Und das merkt man.
Nicht, dass die Braunschweiger chaotisch musizieren würden. Kleine Schnitzer gibt es bei jedem Orchester. Nein, sie wirken alle ein bisschen mutlos, als würde der eine auf den anderen warten, scheuen sich, Verantwortung zu übernehmen, kammermusikalische Intensität zu entwickeln, die die Musik erst lebendig macht. Das wirkte sich etwas lähmend auf die Tempi und die Agogik aus.
Die Strukturen verflachen, die Klanggewichte geraten aus der Balance. Einzelne Stimmen verschwinden im Gesamtgetriebe, obwohl sie wichtig wären. Natürlich könnte man sagen: Die Musiker sollen einfach das spielen, was Gerd Schaller dirigiert. Denn der kann mit seiner nüchternen, firlefanzfreien Schlagtechnik sich durchaus artikulieren.
Aber so einfach ist das halt nicht, wenn man ein bisschen verlernt hat, sich an einen Dirigenten anzuhängen, wenn nicht ein Mitteilungsbedürfnis, sondern immer das Sicherheitsdenken im Vordergrund steht.
Das machte sich schon bei der Orchesterexposition des 1. Klavierkonzerts von Johannes Brahms bemerkbar.
Gerd Schaller machte viel dramatischen Druck, um nicht ins Pathetische abzurutschen, aber es dauerte nicht lange, bis der Druck einer gewissen Mulmigkeit wich und er viel arbeiten musste, um das Tempo wenigstens zu halten. Die Binnenspannung ging zusehends verloren, manches wirkte einfach nur buchstabiert.
Als Andrei Licaret schließlich in die Tasten griff, kam frischer Wind in die Geschichte. Er spielte mit einer starken Agogik auf die Pointen zu, entwickelte mit einem zupackenden Anschlag tragfähige Kraftfelder. Aber auch er wurde von einer gewissen Müdigkeit erfasst, Wenn er sein Konzept hätte durchhalten wollen, hätte er einen flexibleren Partner gebraucht. Aber das war von den Braunschweigern nicht zu bekommen. Sie hingen an den Noten und spielten auf gleichmäßige Sicherheit. Eine wirkliche Auseinandersetzung zwischen Orchester und Solist kam so nicht zustande. Zumal Licaret so fair war, in seinen Solopassagen das Tempo nicht durch die Hintertür anzuziehen.
Es gab natürlich auch wunderschöne Momente, vor allem im zweiten Satz, wo sich Klavier und Oboe wirklich zu einem bewussten lyrischen Dialog zusammenfanden, aber meistens war wenig Bindung der beiden Partner zu
erkennen. Impulse, die von Licaret kamen, wurden nicht wirklich aufgenommen.
Auch wenn im dritten Satz auch noch manche Stimme unterging , hatte sich das Orchester ein bisschen freigeschwommen, ließ sich auf den virtuosen Druck von Licaret ein, und plötzlich funktionierte auch das konzeptionelle Zusammenspiel, der Wechsel zwischen kraftvoller und lyrischer Artikulation, da gab es ein stärkeres Aufeinander-Eingehen. Und eins muss man extra betonen: Die etwas spröde Streicherfuge war wunderbar strukturiert und bewahrte sich einen bemerkenswerten Vortrieb.
Man konnte gespannt sein, wie das Orchester mit den Herausforderungen von Hector Berlioz' "Symphonie fantastique" umgehen würde. Denn das ist eine Musik, die ein extremes Klangbewusstsein fordert.
Die Antwort: Genauso wie bei Brahms - die ersten beiden Sätze sehr vorsichtig, wenig geheimnisvoll, sehr notentreu, aber wenig expressiv. Dass es im ersten Satz um Träumereien und Leidenschaften geht, konnte man dem Dirigat von Gerd Schaller entnehmen, aber nicht der Artikulation des Orchesters. Der Walzer des zweiten Satzes war etwas zu langsam, um seine hintergründige Eleganz zu entwickeln.
Aber in der "Szene auf dem Land" begann sich das Orchester seiner Qualitäten zu besinnen und lyrische Freiheiten zu demonstrieren. Und wirklich angekommen war es bei Gerd Schaller in den beiden spektakulären Schlusssätzen "Der Gang zum Richtplatz" und "Traum eines Hexensabbats". Auch wenn Gerd Schaller da mitunter noch ziemlich rackern musste, um alles zusammenzuhalten, war das auch ein Zeichen, dass das Orchester sich traute.
Da bekam die Musik plötzlich die Beklemmung, die sie haben muss, da tobte das "Dies irae" als Drohung oder ironische Groteske durch den Saal, da wurde ganz einfach eine mitreißende Musik gemacht. Eine Zugabe, der 5. Ungarische Tanz von Johannes Brahms, war die logische Konsequenz. Die Braunschweiger sollten sich schnell einen neuen GMD suchen. Noch ist die Substanz da. Es wäre schade, ginge sie verloren.
Im Gegensatz zu Gerd Schaller, der sich einen erfreulich großen Publikumsstamm in Bad Kissingen erarbeitet hat, war das Braunschweiger Orchester zum ersten Mal im Großen Saal. Und es hinterließ einen etwas zwiespältigen Eindruck. Gerd Schaller hatte keinen ganz leichten Abend. Um es gleich vorweg zu sagen. Das Orchester musste sich etwas unter Wert verkaufen. Dass da ein großes - und letztlich beruhigendes - Potenzial da ist, zeigten vor allem die Holzbläser. Aber seit Generalmusikdirektor Alexander Joel nach der Spielzeit 2013/14 Braunschweig verlassen hat, hat das Orchester keinen hauptamtlichen Leiter mehr. Stefan Soltesz, 2012 zum Ehrendirigenten gewählt, leitet zwar die Sinfoniekonzerte, aber die kontinuierliche Anwesenheit und Arbeit eines Orchestererziehers ist nicht gegeben. Und das merkt man.
Alles etwas mutlos
Nicht, dass die Braunschweiger chaotisch musizieren würden. Kleine Schnitzer gibt es bei jedem Orchester. Nein, sie wirken alle ein bisschen mutlos, als würde der eine auf den anderen warten, scheuen sich, Verantwortung zu übernehmen, kammermusikalische Intensität zu entwickeln, die die Musik erst lebendig macht. Das wirkte sich etwas lähmend auf die Tempi und die Agogik aus.
Die Strukturen verflachen, die Klanggewichte geraten aus der Balance. Einzelne Stimmen verschwinden im Gesamtgetriebe, obwohl sie wichtig wären. Natürlich könnte man sagen: Die Musiker sollen einfach das spielen, was Gerd Schaller dirigiert. Denn der kann mit seiner nüchternen, firlefanzfreien Schlagtechnik sich durchaus artikulieren.
Aber so einfach ist das halt nicht, wenn man ein bisschen verlernt hat, sich an einen Dirigenten anzuhängen, wenn nicht ein Mitteilungsbedürfnis, sondern immer das Sicherheitsdenken im Vordergrund steht.
Abrutschen ins Mulmige
Das machte sich schon bei der Orchesterexposition des 1. Klavierkonzerts von Johannes Brahms bemerkbar.
Gerd Schaller machte viel dramatischen Druck, um nicht ins Pathetische abzurutschen, aber es dauerte nicht lange, bis der Druck einer gewissen Mulmigkeit wich und er viel arbeiten musste, um das Tempo wenigstens zu halten. Die Binnenspannung ging zusehends verloren, manches wirkte einfach nur buchstabiert.Als Andrei Licaret schließlich in die Tasten griff, kam frischer Wind in die Geschichte. Er spielte mit einer starken Agogik auf die Pointen zu, entwickelte mit einem zupackenden Anschlag tragfähige Kraftfelder. Aber auch er wurde von einer gewissen Müdigkeit erfasst, Wenn er sein Konzept hätte durchhalten wollen, hätte er einen flexibleren Partner gebraucht. Aber das war von den Braunschweigern nicht zu bekommen. Sie hingen an den Noten und spielten auf gleichmäßige Sicherheit. Eine wirkliche Auseinandersetzung zwischen Orchester und Solist kam so nicht zustande. Zumal Licaret so fair war, in seinen Solopassagen das Tempo nicht durch die Hintertür anzuziehen.
Es gab durchaus Zwiesprache
Es gab natürlich auch wunderschöne Momente, vor allem im zweiten Satz, wo sich Klavier und Oboe wirklich zu einem bewussten lyrischen Dialog zusammenfanden, aber meistens war wenig Bindung der beiden Partner zu
erkennen. Impulse, die von Licaret kamen, wurden nicht wirklich aufgenommen.Auch wenn im dritten Satz auch noch manche Stimme unterging , hatte sich das Orchester ein bisschen freigeschwommen, ließ sich auf den virtuosen Druck von Licaret ein, und plötzlich funktionierte auch das konzeptionelle Zusammenspiel, der Wechsel zwischen kraftvoller und lyrischer Artikulation, da gab es ein stärkeres Aufeinander-Eingehen. Und eins muss man extra betonen: Die etwas spröde Streicherfuge war wunderbar strukturiert und bewahrte sich einen bemerkenswerten Vortrieb.
Parallelität der Fälle
Man konnte gespannt sein, wie das Orchester mit den Herausforderungen von Hector Berlioz' "Symphonie fantastique" umgehen würde. Denn das ist eine Musik, die ein extremes Klangbewusstsein fordert.
Die Antwort: Genauso wie bei Brahms - die ersten beiden Sätze sehr vorsichtig, wenig geheimnisvoll, sehr notentreu, aber wenig expressiv. Dass es im ersten Satz um Träumereien und Leidenschaften geht, konnte man dem Dirigat von Gerd Schaller entnehmen, aber nicht der Artikulation des Orchesters. Der Walzer des zweiten Satzes war etwas zu langsam, um seine hintergründige Eleganz zu entwickeln.
Aber in der "Szene auf dem Land" begann sich das Orchester seiner Qualitäten zu besinnen und lyrische Freiheiten zu demonstrieren. Und wirklich angekommen war es bei Gerd Schaller in den beiden spektakulären Schlusssätzen "Der Gang zum Richtplatz" und "Traum eines Hexensabbats". Auch wenn Gerd Schaller da mitunter noch ziemlich rackern musste, um alles zusammenzuhalten, war das auch ein Zeichen, dass das Orchester sich traute.
Da bekam die Musik plötzlich die Beklemmung, die sie haben muss, da tobte das "Dies irae" als Drohung oder ironische Groteske durch den Saal, da wurde ganz einfach eine mitreißende Musik gemacht. Eine Zugabe, der 5. Ungarische Tanz von Johannes Brahms, war die logische Konsequenz. Die Braunschweiger sollten sich schnell einen neuen GMD suchen. Noch ist die Substanz da. Es wäre schade, ginge sie verloren.Themen & Autoren / Autorinnen