
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft schien die Sache klar: Der Geschäftsführer und der Prokurist eines Taxiunternehmens aus Bad Kissingen sollen den Staat um Sozialversicherungsbeiträge geprellt, dazu Taxifahrer um ihren Lohn gebracht haben. Der Prozess zeigte jedoch, dass alles ganz anders war und die ungerechtfertigten Vorwürfe von einer Schweinfurter Zollbeamtin kamen, die einseitig ermittelte. Ende vom Lied: eine Schlappe für den Zoll und zwei astreine Freisprüche.
Berge von Akten und 12.500 Euro beschlagnahmt
Von Anfang an: Ende November 2020 fuhren Mannschaftswagen vom Zoll in Bad Kissingen und Meinigen auf. Zollbeamte durchsuchten die soziale Einrichtung und die Geschäftsräume von sieben damit verbandelten Unternehmen in Thüringen. Denn: Der Geschäftsführer des Taxi-Unternehmens ist gleichzeitig Geschäftsführer einer Behinderteneinrichtung in Thüringen.
In Bad Kissingen stoppten die Wagen vor dem Taxiunternehmen, das mit der Einrichtung in Thüringen zusammenarbeitete. Dazu wurden die Privathäuser des Prokuristen des Taxiunternehmens und des Geschäftsführers der Sozialeinrichtung/Taxi-Unternehmens durchsucht. Die Ermittler – sie kamen vom Hauptzollamt Schweinfurt – beschlagnahmten Berge von Akten sowie 12.500 Euro in bar beim Taxerer.
Der Vorwurf kam über Umwege vom Jobcenter ins Rollen: Dort hatte sich ein ehemaliger Angestellter des Taxiunternehmens im Oktober 2019 darüber beschwert, dass er zu wenig Geld erhalten habe, da beispielsweise die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen nicht bezahlt worden sein sollen.
Beamtin biss sich im Fall fest
Dieser Vorwurf erreichte das Hauptzollamt Schweinfurt und eine Beamtin, die sich daraufhin im Fall festbiss.
Ganze fünf Jahre sollte es dauern, bis der Fall endlich vor dem Amtsgericht in Bad Kissingen verhandelt wurde. Die Staatsanwältin warf den beiden Männern vor, vom Januar 2018 bis Oktober 2020 nicht alle Arbeitszeiten der Taxifahrer bezahlt zu haben und damit auch die Sozialversicherungsbeiträge in 155 Fällen nicht vollständig abgeführt zu haben.
Einspruch gegen Strafbefehl
Im Detail ging es um die Stand- und Wartezeiten, die nicht als Arbeitszeit angerechnet und folgerichtig auch nicht vergütet worden sein sollen. Angenommener Schaden: rund 28.500 Euro. Dafür erhielten die beiden Männer einen Strafbefehl über je 5400 Euro. Beide legten Einspruch ein.
Ergebnisse eines GPS-Systems wurden nicht berücksichtigt
So landete der Fall vor Gericht. Im Sitzungssaal wurde allerdings deutlich, wie einseitig der Zoll ermittelt hat. Denn: Die Beamten berücksichtigten bei ihren Ermittlungen nur die handschriftlich geführten Stundenzettel der Taxifahrer – und nicht die Ergebnisse eines GPS-Tracking-Systems, das die Fahrer für den Chef tatsächlich gläsern machte. Und das zu einer völlig anderen Anzahl an Arbeitszeit gekommen ist.
Verdächtigte "bettelten" die Beamtin an
Nicht, dass die beiden Männer nicht versucht hätten, den Zoll in das GPS-System einzuführen. „Gebettelt“ hätten sie – so der Geschäftsführer -, dass die Beamten sich das GPS-System erklären ließen – leider vergeblich. Was die Beamtin vor Gericht auch bestätigte: Sie hätte nur auf Grundlage der schriftlichen Aufzeichnungen ermittelt.
Wie fehlerhaft die waren, zeigte ein Beispiel: Fahrer Müllers Arbeitszeitbeginn ist laut Dienstplan um 9 Uhr. Allerdings trägt er in das Formblatt 8.45 Uhr ein und raucht vielleicht noch eine Zigarette mit einem Kollegen außerhalb des Autos. Sobald das Auto aufgeschlossen wird, schaltet sich das GPS ein, das jeden Stopp, jedes Anlassen des Autos, jede Wartezeit aufnimmt. Damit hat er bereits eine viertel Stunde auf seinem handschriftlichen Stundenkonto – obwohl laut Dienstplan die Arbeit erst um 9 Uhr beginnt.
Handschriftliche Aufzeichnungen wichen von GPS ab
Die elektronischen Aufzeichnungen unterscheiden sich teils eklatant von dem, was die Fahrer aufzeichnen. Im Fall von Fahrer Müller: Der hatte handschriftlich beispielsweise notiert, dass er 117 Stunden gearbeitet hat – das GPS aber kam auf nur 109 Stunden. Was 102 Euro brutto zum Nachteil des Taxiunternehmens macht, wie später einer der beiden Rechtsanwälte ausführte.
Immer wieder wiederholten beide Angeklagten, dass sie "bald verrückt" geworden seien. Jeder Versuch, das Hauptzollamt dazu zu bewegen, sich die Daten und Funktionsweise des GPS anzusehen, sei negativ beschieden worden oder einfach versandet.
Pausen waren geregelt und bezahlt
Auch der Vorwurf, dass die Pausen der Taxifahrer nicht vergütet worden seien, konnte entkräftet werden. Denn: 80 Prozent der Fahrten sind und waren Krankenfahrten, die gut geplant werden können. So wurde beispielsweise eine Frau zum feststehenden Dialysetermin gebracht. Die dauert etwa eine Stunde – und in der einen Stunde hätte der Fahrer die vorgeschriebene Pause machen können.
Staatsanwältin fordert Freisprüche
Am Ende war die Staatsanwältin von der Unschuld der beiden Männer überzeugt. Der Vorwurf könne nicht bestätigt werden. Die Zollbeamten habe von den GPS-Aufzeichnungen, die die beiden Männer entlastet haben, gewusst, "sich aber damit nicht beschäftigt". Ein Gegencheck der handschriftlichen Fahrerzettel habe nicht stattgefunden, "das hätte man tun müssen". Somit könne der Tatnachweis nicht geführt werden – Freispruch, plädierte sie.
Rechtsanwalt: "Der Flurschaden ist groß"
Rechtsanwalt Jörn Riedenklau, der den Geschäftsführer der Sozialeinrichtung vertrat: "Seit fünf Jahren wird mein Mandant ungerecht behandelt, der Flurschaden ist groß." Wie der Geschäftsführer auch erzählte, hätten die Durchsuchungen gerade unter Menschen mit Behinderungen große Ängste hervorgerufen. Er selbst wohne in einem 2000-Seelen-Ort, die Durchsuchung seines Privathauses hätte ihr Übriges getan.
Riedenklau appellierte an die Frau vom Zoll: Sie hätte Vorsicht, Umsicht und Nachsicht walten lassen sollen und Arbeitgeber nicht per se als Ausbeuter sehen sollen.
Ins gleiche Horn blies Constanze Ape, die den Taxi-Unternehmer vertrat. "Das Verfahren hätte schon im Entwicklungsstadium beendet werden können."
"Ehrgeizige Beamtin"
Die Zollbeamtin saß während der Verhandlung im Zeugenstand oder im Besucherteil. Ihre Miene: undurchdringlich. Erst als sie vom Taxi-Prokuristen süffisant als "ehrgeizige Beamtin" bezeichnet wurde, deren Vorgehen ein "Verschwenden von Ressourcen" und "rufschädigend" gewesen sei, schüttelt sie den Kopf.
Beide Männer wurden freigesprochen – die Kosten für das Mammutverfahren übernimmt die Staatskasse.