
Die Zeitschrift "Vinum" gilt als eines der größten Magazine für Weinkultur. Dass dort Günther Jauch zum "Winzer des Jahres" 2023 gekürt wurde, schmeckt einem Genusskolumnisten des eigentlich politisch ausgerichteten Online-Magazins Cicero gar nicht. Rainer Balcerowiak (Berlin) hadert offenbar schon länger mit gängigen Weinprämierungen.
In der jüngsten Cicero-Ausgabe wartet der Autor mit einer provokanten Frage auf: "Ist Günther Jauch überhaupt ein Winzer?" Gleichzeitig bietet er mit seinen selbst vorgeschlagenen "Winzern des Jahres" personelle Alternativen: Harald Steffens in Reil (Mosel) und Lorenz Neder vom Familienweingut Neder in Ramsthal.
"Wie beim Profiboxen"
Die Kritik des Kolumnisten an den üblichen Titelvergaben ist harsch. Mit der Kürung der "besten Winzer", der "besten Weingüter" und der "besten Weine" verhalte es sich ähnlich wie beim Profiboxen. "Dort sind mindestens fünf Verbände auf dem Markt, um jeweils ihren eigenen Weltmeister zu küren. In der deutschen Weinszene gibt es noch viel mehr Verbände, Medien und obskure Trittbrettfahrer, die ihre eigenen Champions ausrufen", so Balcerowiak.

So hat eben auch die Zeitschrift Vinum einen "Winzer des Jahres" gekürt und in den Mittelpunkt des eigenen "Wein-Guide Deutschland 2023" gestellt. Es ist Günther Jauch. Der hat 2010 zusammen mit seiner Frau das altehrwürdige, aber ziemlich heruntergewirtschaftete Weingut von Othegraven in Kanzem an der Saar von einer entfernten Verwandten erworben, schildert Balcerowiak die Vorgeschichte.
"Meine Kolumne richtet sich nicht gegen Günther Jauch", beschwichtigt der Kritiker. Jauch sei nicht der einzige Top-Prominente, der in das Weingeschäft eingestiegen ist und seinen bekannten Namen für die Vermarktung nutzt. Zu bedenken gibt Balcerowiak allerdings, dass es sich bei den vielen Investoren, die aktuell durch Europa touren, um Weingüter aufzukaufen, nicht um Winzer handle. Die meisten Winzer stammen aus Weinbauregionen und haben mittlerweile oft eine anspruchsvolle Ausbildung an Fachschulen oder Universitäten genossen.
"Im Licht eines Prominenten sonnen"
Balcerowiak räumt ein, dass er derzeit nicht beurteilen kann, was die Weine aus dem Gut von Jauch aktuell hergeben. Gleichzeitig äußert er die Vermutung, dass die Versuchung für Weinmedien und Wein-Institutionen ziemlich groß sei, sich im Licht eines Prominenten zu sonnen.
Wenn "jeder Dödel" Winzer des Jahres ernennen könne, dürfe er das auch, findet Balcerowiak. "Als Autor mehrerer Weinbücher und vieler Artikel zum Thema, Jurymitglied in einigen Wertungsverkostungen und kontinuierlicher Beobachter und Konsument von Weinen steht mir das locker zu", schreibt der Cicero-Autor selbstbewusst.
"Klare Weinidee"

Und wie kam der Weinkenner aus der Bundeshauptstadt auf Ramsthal? Er habe das Weingut vor Jahren bei einer Pressereise kennen und schätzen gelernt, erklärt er auf Nachfrage: "Seitdem bin ich Stammkunde und habe die Weine auch gelegentlich besprochen. Für mich sind Weingüter wie Neder und der Mosel-Kollege nahezu der Gegenentwurf zu gehypten Promi-Winzern. Sie stehen nicht im Rampenlicht, haben aber eine klare Weinidee, die sie konsequent durchziehen", lobt er.
In diesem Sinne verleiht Balcerowiak Lorenz Neder seinen Titel, weil dessen knochentrockene Silvaner eben nicht nur karg oder "steinig" schmecken, sondern filigrane, sehr zarte Fruchtnuancen aufweisen.
Kür kommt überraschend
Für die Neders in Ramsthal kommt die Auswahl Balcerowiaks zum "Winzer des Jahres" überraschend. "Das freut uns riesig", sagt Helga Neder auf Nachfrage der Redaktion. Von dem Beitrag mitbekommen hat sie erst von einem Neukunden, der nach seiner Lektüre des Artikels in Nürnberg in ihrem Verkaufsraum erschienen ist. Anlass dafür, sich in Ramsthal mit Bocksbeuteln einzudecken, sei der Cicero-Artikel gewesen.
Gleichzeitig springt Helga Neder für Günther Jauch in die Bresche. Das Magazin "Vinum" hätte halt nicht vom Winzer - sondern vom Weingut des Jahres schreiben sollen. "Dann hätte es das ganze Theater nicht gegeben", findet sie. Gleichzeitig hält sie Jauch zugute, dass er inzwischen dem Portal Fallstaff.de gesagt hat, dass er "meilenweit davon entfernt sei, ein Winzer zu sein".
Auf den eigenen Geschmack vertrauen
Ihrem treuen Kunden Balcerowiak bescheinigt die Ramsthalerin, dass er seinen Wein selbst bezahlt. Das sei nicht bei allen Weinkritikern der Fall. Sie findet es großartig, wenn sich jemand auf die Spuren kleiner Weingüter begibt: "So könne es eigentlich jeder für sich selbst machen, um sein Weingut des Jahres zu finden. Da ist schließlich alles Geschmackssache".
Wie auch immer: Für Wirbel im Wein-Establishment hat Rainer Balcerowiak mit seiner eigenen Winzerkür offenbar gesorgt. Der Autor dazu: "Etliche Reaktionen auf meinen Artikel haben mir jedenfalls gezeigt, dass ich irgendwie ins Schwarze getroffen habe. Selten bin ich so oft beschimpft worden - und zwar von denen, die ich auch gemeint habe", lässt Balcerowiak auf Nachfrage dieser Redaktion wissen.