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Bad Kissingen
Handfeste Kutscher, empörte Gäste in der Stadt
Verkehr bewegt Menschen, auch emotional. Egal ob Schlaglöcher, Baustellen, Staus, Lärm. Aufreger gibt es in Bad Kissingen genug. Das war vor 145 Jahren nicht anders.
Droschken stehen entlang der Wandelhalle in der Kurhausstraße und Warten auf Kundschaft.       -  Droschken stehen entlang der Wandelhalle in der Kurhausstraße und Warten auf Kundschaft.
Foto: Sammlung Bötsch, Stadtarchiv Bad Kissingen | Droschken stehen entlang der Wandelhalle in der Kurhausstraße und Warten auf Kundschaft.
Benedikt Borst
 |  aktualisiert: 26.07.2024 02:45 Uhr

„In nachlässiger Kleidung standen die Kutscher in der Kurhausstraße, auf Fahrtgäste wartend, beisammen und löschten mit alkoholischen Getränken ihren Durst“, beschreibt ein Artikel in der Saale-Zeitung die Zustände vor 1879 an dem Droschkenstellplatz an der Wandelhalle und am Maxbrunnen. Die herablassende Empörung ist deutlich spürbar: über die einfachen Droschkenfahrer, die es wagten, sich ungehobelt vor den Augen der feinen Gesellschaft aufzuführen.

Die Postkutsche fährt noch

Wahrscheinlich waren es keine Zustände für Zartbesaitete: „Die alten Kollegen haben sich gut eins hinter die Binde gekippt“, sagt Hans Körner aus Arnshausen, Kutscher der Postkutsche. Er ist der einzige in Bad Kissingen, bei dem man bis heute Ausflugsfahrten in Kutschen buchen kann.

Manche der betrunkenen Kutscher damals belästigten und bedrängten die vornehmen Kurgäste, heißt es in Berichten zu der Zeit. Weil die Getränke auch wieder den Körper verlassen mussten, gingen sie am Kurgarten zum Entsetzen der Hohen Herrschaften vor deren Augen Wildpinkeln. Es stank. Zusätzlich dran der Pferdeurin in den damals noch nicht asphaltierten Boden ein und sorgte für einen immense Geruchsbelästigung – eine Zumutung für feine Nasen; gerade im Herzen der Kissinger Kur, dort, wo sich der Adel, Künstler, und Diplomaten und andere Mächtige zum Stelldichein trafen.   

Grüße aus Bad Kissingen mit Postkutschenmotiv.       -  Grüße aus Bad Kissingen mit Postkutschenmotiv.
Foto: Heike Beudert | Grüße aus Bad Kissingen mit Postkutschenmotiv.

Gäste leisteten sich Pferdemobilität

Wild-West-Zustände im beschaulichen Kissingen? Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es ein kleines Provinzörtchen, mit gerade einmal rund 1200 Einwohnern (Stand: 1830). Mit der florierenden Kur und dem Aufstieg zum Weltbad in den folgenden Jahrzehnten wuchs die Stadt. Die Einwohnerschaft vervielfachte sich, und es kamen stetig mehr wohlhabende Gäste nach Bad Kissingen. Und die wollten sich auch während ihrem Aufenthalt bequem fortbewegen: in Pferdedroschken.  

In Sachen Mobilität ging ohne Pferde gar nichts. 1838 standen in der Stadt laut damaligen Adressbuch Stallungen für 473 Pferde bereit, 1848 waren es Stallungen für 570 Pferde . Um 1860 hatten örtliche Kutschbetreiber während der Kursaison etwa 60 Ein- und Zweispänner unter Vertrag und der Stall der Postexpedition musste während der Saison eine hinreichende Anzahl von Pferden bereithalten, um jedem Gast zu jeder Stunde den Wunsch nach individueller Beförderung erfüllen zu können. „Der Kissinger hat sich keine Droschke geleistet. Das waren alles Menschen, die Geld hatten und es sich leisten konnten“, sagt Körner.

„Bad Kissingen verfügte für eine verhältnismäßig kleine Stadt aber als blühender Kurort über eine große Anzahl an Droschken“, sagt Birgit Schmalz vom Stadtarchiv . Die Droschken holten die Kurgäste am Bahnhof oder Kurgarten ab und brachten sie zu ihren Hotels und zu Ausflugszielen. Auch die Zahl der Kutschbauunternehmen, die sich in der Stadt angesiedelt hatten, sei beachtlich gewesen.

Droschkenordnung gegen Wild-West-Zustände

Der Störfaktor allerdings auch. Wiederholt gab es Beschwerden an die Stadtoberen, begleitet von hitzigen politischen Auseinandersetzungen - bis der Stadtmagistrat die Reißleine zog und vor 145 Jahren den Zuständen mit einer Droschkenordnung ein Ende bereitete. In der wurde so ziemlich alles geregelt, um gesittete Zustände herbeizuführen: Die Kleidung der Kutscher hatte einheitlich zu sein. Vorgeschrieben waren nicht nur schwarzgraue Tuchröcke mit Jacken und Hosen in selber Farbe, sondern sogar wie, wo und welche Knöpfe die Kleidung zu haben hatte. Ebenfalls gefordert war ein schwarzer Filzhut.

Die Preise waren festgesetzt und mit welcher Geschwindigkeit, die Kutschen durch die Stadt fahren und wo sie parken durften. Am Bahnhof war das Vorfahren nur erlaubt, wenn Züge eintrafen, am Theater nur zu Ende der Vorstellungen. Das Peitschenknallen in der Stadt war verboten, bei Dunkelheit hatten zwei Laternen an den Fiakern zu brennen. Zuwiderhandlungen wurden mit Geldstrafe, ersatzweise Haft geahndet.

Beauftragter der Stadt nimmt Kutschen und Pferde ab

Vor dem 1. Mai mussten sowohl die Kutschen , als auch die Pferde von einem Beauftragten der Stadt offiziell abgenommen werden – wie beim heutigen TÜV . Alte Ackerklepper? Keine Chance. Zugelassen wurden nur gesunde, kräftige und gut eingefahrene Tiere.  

Astronaut Neil Armstrong auf der Postkutsche: Im Bild mit dabei auch Postillion Hans Biegner.       -  Astronaut Neil Armstrong auf der Postkutsche: Im Bild mit dabei auch Postillion Hans Biegner.
Foto: Hilla Schütze | Astronaut Neil Armstrong auf der Postkutsche: Im Bild mit dabei auch Postillion Hans Biegner.

Der letzte Kutscher Kissingens

Kein Ärger dauert ewig. Das Ende der Weltbad-Ära Bad Kissingens und der Siegeszug des Autos ließen die Kutschen allmählich aus dem Stadtbild verschwinden. Bis Ende der 1960er Jahren gab es in Bad Kissingen Kutschen , die Taxi-Dienste anboten. An diese kann sich Hans Körner noch erinnern. „Man konnte sie noch in der Kurhausstraße am Maxbrunnen warten sehen“, sagt er. Der letzte Kissinger Kutscher hieß laut einem Zeitungsbericht Ludwig Ziegler. Mehr als zehn Jahre verschwanden die Kutschen völlig, 1982 machte sich Hans Körner mit Kutschfahrten selbstständig. Seit 1987 fährt er die Postkutsche – nostalgische Erinnerungen der Weltbad-Ära.   

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