Es war eigentlich fast alles anders. Es war eine Situation, an die man sich fast gewöhnen könnte, aber nie gewöhnen sollte. Das Sommerkonzert aus der Reihe der Jahreszeitenkonzert fiel vollkommen aus dem Rahmen des Üblichen. Und das nicht nur deshalb, weil es zweimal gespielt werden musste. Denn als Corona mit lähmender Faust zuschlug, waren schon 200 Karten verkauft, und die mussten jetzt auf zwei Konzerte aufgeteilt werden, um die immer noch strengen Hygiene- und Abstandsregelungen einhalten zu können - ein Unterfangen, das ziemlich viel Arbeit gemacht haben muss.
Erleichterung bei Publikum und Musikern
Nein, schon die Stimmung vor Beginn des Konzerts war eine andere. Die Freude und Freundlichkeit, die sich da ausgebreitet hatte, war nicht eine Zutat des Smalltalks, sondern sie war echt. Alle freuten sich und waren erleichtert, Publikum und Orchester gleichermaßen, dass die Zeit der Lähmung vorbei war. Plötzlich merkte man, was man in den zurückliegenden Monaten immer mehr vermisst hatte: das gemeinsame Spielen und das gemeinsame Zuhören. Und wie nur selten wurde deutlich, was ein Livekonzert wirklich ausmacht: das gemeinsame Erleben.
Bereits das "Entree" signalisierte Veränderung: kein seitliches Reinschleichen in den Lola-Montez-Saal, sondern weit geöffnete Flügeltüren, an denen das Mitarbeiterteam die Gäste empfing und begrüßte - man (er-)kennt sich auch mit Schutzmaske. Nach dem Ausfüllen des Kontaktformulars wurde man zu seinem Platz geleitet in dem locker bestuhlten Saal: viel Platz für die Ellenbogen und plötzlich eine völlig ungewohnte Beinfreiheit, die das Sitzen zum Verweilen macht. Erst jetzt durften die Masken abgenommen werden.
Diesmal nur Streicher
Die wichtigste Veränderung betraf das Orchester, auch wenn die vielleicht gar nicht so auffällig war. Es war reduziert auf 13 Leute, ausnahmslos Streicher (wobei man eigentlich Streicherinnen schreiben sollte, denn nur drei waren Männer), die allerdings auch mühelos den hohen Saal mit genügend Dezibel füllen konnten. Dass sie - bis auf die zwei Celli und Kontrabass - im Stehen spielten, war auch Corona geschuldet. Denn wegen der Abstandsregeln war das Podium ausgebaut worden, das nicht genügend Platz geboten hätte, und ohne dieses wären die Stühle zu niedrig gestanden, hätte nicht nur das Publikum zu wenig gesehen, sondern auch die Kollegen.
Natürlich machten die großen Abstände die Verständigung alles andere als einfach, weil der direkte Kontakt fehlt. Aber andererseits war hier das Spiel im Stehen von Vorteil. Denn wer steht, kann wesentlich beweglicher und körpersprachlich deutlicher bis hin zum Tänzerischen artikulieren als im bewegungseinschränkenden Sitzen. Und das wiederum erleichtert das Zusammenfinden. Zudem hat Sarah Christian, die von ihrem Pult aus das Orchester leitete, reichlich Erfahrung: Sie ist Konzertmeisterin der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen.
Was sich überhaupt nicht verändert hatte, war der Qualitätsanspruch des Orchesters, auch wenn - vielleicht etwas boshaft gesagt - das Konzert mit der "Capriol Suite" (1926) von Philip Arnold Heseltine (was ja durchaus vernünftig war), nicht die allergrößte Anstrengung forderte. Der Londoner Musikwissenschaftler und Kritiker war als Komponist Autodidakt. Vielleicht war es misstrauische Vorsicht, dass er seine Kompositionen (vor allem Liedbearbeitungen) unter dem Pseudonym Peter Warlock veröffentlich hat. Die "Capriol Suite" ist ein sechssätziges Werk, das Tänze aus der 1588 entstandenen "Orchésographie" des französischen Priesters und Choreografen Thoinot Arbeau ins 20. Jahrhundert transportiert. Aber wenn sich französische Renaissance und englische Spätromantik verbinden, kommt gerne so etwas wie "Pomp & Circumstance" heraus oder Musik aus der pathetischen Tube: mächtig, aber nicht unbedingt wirklich spannend.
Kein Pathos
Der Versuchung des Pathos erlagen die Brückenauer allerdings nicht. Sie musizierten mit ganz klaren Konturen, differenzierter Dynamik und tänzerischer Gestik, dass sich die Aufmerksamkeit allmählich von der Musik auf ihre Ausführung fokussierte. Und die Suite wurde zu einem schönen bekömmlichen Wiedereinstieg für Orchester und Publikum.
Und dann zweimal Joseph Haydn ! Da war das Eis des Wartens wirklich gebrochen, da war der Rost aus den Gelenken weggeblasen. Da wurde auf Teufel komm raus musiziert. Und man fragte sich ratlos, wie unsere Vorfahren nur auf den Begriff "Papa Haydn " hatten kommen können. Zunächst das Violinkonzert Nr. 1 C-dur, jetzt mit Sarah Christian als Solistin. Endlich stimmte es wirklich, dass man ein auch gut bekanntes Konzert "neu hören" kann. Denn so konzentriert, so zupackend erlebt man es selten. Und nicht nur deshalb, weil Sarah Christian alle Töne artikuliert spielte, sondern auch, weil sie trotz der hohen Tempi in den Ecksätzen auch viele emotionale Aspekte hereinbracht, immer wieder stark differenzierte und Strukturen verdeutlichte.
Haydn mit Humor
Und weil dieses virtuos ausgesprochen anspruchsvolle Konzert , das Haydn für seinen frühbegabten Konzertmeister Luigi Tomasini ("fatto per il Luigi" oder "für den Ludwig gemacht") geschrieben hat, eine enorme Portion Humor mitbekommen hat - die man natürlich nur dann freilegen kann, wenn man wie Sarah Christian technisch frei ist. Dass der langsame Mittelsatz ein wunderbar singender Kontrast war, war geradezu erwartbar.
Und dann das Cellokonzert Nr. 1 C-dur, das das Orchester mit dem Vorsatz anzugehen schien: "Heute wollen wir mal den Solisten scheuchen." Aber der Cellist Maximilian Hornung wurde nicht blass vor Angst. Er ist ohnehin einer, der lieber dem Orchester vorneweg spielt als hinterher. Er schlich sich in das Getümmel ein, drängte sich langsam in den Vordergrund und legte dann los. Wenn man bedenkt, wo oft seine Kolleginnen und Kollegen gerade in diesem Konzert zum Zelebrieren neigen, weil sie dadurch etwas Tempo rausnehmen können, war man wirklich überrascht, konnte man wirklich "neu hören". Es schien ihm einfach Spaß zu machen, die Spieltechnik an die Grenzen zu treiben und trotzdem klar und präzise in der Tongebung zu bleiben- und trotzdem eine höchst unterhaltsame, spannende Gestaltung zu entwickeln. Selbst die Verzierungen des langsamen Satzes waren so intensiv, dass die ruhige Kadenz, die ruhige Akkordfolge als Abschluss, geradezu ein bisschen banal wirkte.
Sensationelles Orchester
Aber die wirkliche Sensation war das reduzierte Orchester, das den beiden Solisten trotz erschwerter Bedingungen ein ebenbürtiger Partner war, das nicht nur problemlos die hohen Tempi mitging - und das mit einer so nicht erwartbaren Präzision, sondern das sich auch auf einen Dialog mit den Solisten auf Augenhöhe einließ, das sehr sensibel auf deren Intentionen einging und sie umsetzte oder provozierte. Es waren hinterher gefühlt deutlich mehr Bravos als Besucher. Und Sarah Christian und Maximilian Hornung spielten sogar noch eine Zugabe - von einem Pult ("wir dürfen das, wir sind auch privat ein Paar"): Jörg Widmanns köstlichen "Bayerischen Walzer" für Violine und Violoncello - ein Paradestück für musikalische Komödianten! Und ein wunderbares Ende der langen, beklemmenden Stille.