Mit ihrem Buch über ihre Eltern Maria und Arthur "Atze" Brauner setzt Alice Brauner ein Denkmal über deren bewegende Überlebensgeschichte als Juden im Krieg. Später wurde der Vater unter anderem für Karl-May-Verfilmungen bekannt. Aus dem Buch liest sie diesen Freitag im Rahmen der jüdischen Kulturtage.
Frau Brauner, waren sie denn schon mal in Bad Kissingen ?
Leider noch nie. Es liegt ja sogar genau zwischen München und Berlin. Zwischen diesen Orten pendle ich oft, weil mein Mann Münchner ist. Ich freue mich unfassbar darauf, ich habe bisher schon viel Gutes gehört. Ich glaube, meine Großeltern waren dort sogar auf Kur. Länger zu bleiben, schaffe ich leider nicht. Aber nachdem, was ich alles gelesen habe und weiß, dass es nun Unesco-Kulturerbe ist, werde ich mir so viel ansehen, wie ich kann. Tatsächlich bereite ich derzeit unseren neuen Kinofilm Münter & Kandinsky vor, das ist anstrengender als man denkt.
Wie das denn ist, über die eigenen Eltern zu recherchieren? Ich hätte dabei wahrscheinlich gemischte Gefühle.
Das hatte ich nicht. Wenn man Historikerin und dazu Journalistin ist, ist man eigentlich prädestiniert dafür. Und da ich mit meiner Mutter schon viel über ihre Überlebensgeschichte gesprochen habe, wusste ich schon einiges. Ich habe mich sogar sehr gefreut, als ich das Buch "Die Juden von Lemberg" las und in einer Fußnote als Quelle "Dokumente von Theresa Albert, hinterlegt in Yad Vashem " stand: Der Mädchenname meiner Mutter . Ich habe mir die Dokumente schicken lassen, es war wirklich von ihr und über sie. Was für ein toller Zufall!
Haben Sie dadurch Ihre Mutter neu kennengelernt?
Nein. Ich kannte meine Mutter , ich wusste alles über sie, sie alles über mich.
Sie haben während Ihrer Recherchen herausgefunden, dass ihr Vater tausenden Juden bei der Flucht aus Stettin in die britische Zone half, damit sie später nach Israel oder in die USA ausreisen konnten.
Ja, das habe ich im Tagebuch meines Opas gelesen, das nachrecherchiert und es hat sich bestätigt. Die Grenzen zwischen den einzelnen Besatzungszonen wurden damals sehr stark kontrolliert und waren teilweise dicht, er hat das Risiko dennoch auf sich genommen und vielen jüdischen Waisenkindern, die ihre Eltern im Krieg verloren haben, geholfen, über die Grenze zu kommen. Diese Art von Heldentum, worüber er aber nicht gesprochen hat, hat mich sehr beeindruckt. Er hat ja gerade erst den Holocaust überlebt, und hat sich dann gleich wieder in Lebensgefahr begeben. Er ist für mich ein richtiger Held.
Sie hatten das Buch schon länger geplant, aber keine Zeit, zu schreiben. Hätten Sie sich gewünscht, sie hätten das Projekt schon vorher anfangen können, damit Sie ihren Eltern noch Fragen hätten stellen können?
Mein Vater und ich haben schon lange geplant, seine Biografie aus den 70er Jahren Mich gibts nur einmal zu aktualisieren. Ich hatte damals auch schon die ersten Seiten geschrieben. Als Corona kam, hatte ich Zeit, das Buch zu schreiben. Ich wusste aber vor dem Tod meiner Eltern alles, was ich wissen musste, wo ich noch mal Leerstellen nachlesen konnte, da gab es keine Frage, die offen war.
In Ihrer Kindheit saß die High Society im Wohnzimmer Ihrer Eltern: Kirk Douglas , Helmut Kohl oder Hans-Dietrich Genscher . Ist es cool, oder auch mal nervig, so groß zu werden?
Ich habe nur tolle Erinnerungen. Die Leute privat zu erleben, die man von Kino und Fernsehen kennt, war schön. Sie anders und frei zu erleben, zu wissen, dass sie auch nur Menschen sind, das hat mir weitergeholfen, auch jetzt noch.
Sie haben ja einen überaus erfolgreichen Filmproduzenten als Vater : Hatten Sie jemals das Gefühl, noch jetzt in seinem Schatten zu stehen, und stört sie das überhaupt?
Das Gefühl habe ich nicht. Ich habe mir ja auch extra eine eigene Karriere aufgebaut. Mir ist natürlich klar, dass man einem Genie wie meinem Vater nie das Wasser reichen kann, aber das ist auch total okay. Ich habe meine eigenen Projekte. Dass sie so erfolgreich sind, hängt auch damit zusammen, dass sie meine Handschrift tragen. Derzeit haben wir beispielsweise einen Podcast herausgebracht, ich würde es einen Hörfilm nennen, wir haben viel daran gearbeitet und ich bin sehr stolz auf unsere gemeinsame investigative Arbeit mit meiner Kollegin Johanna Beere von ARGON. Er geht um den Doppelmörder Jens Söring. Ich würde mich aber nie mit meinem Vater messen. Ich glaube, das "im Schatten stehen" ist immer etwas, was man mir oder anderen Kindern von außen aufstülpt, wir fühlen uns nicht so.
Ihre Mutter hat Ihnen und Ihren Geschwistern davon abgeraten, in die Nähe des Berufes ihres Vaters zu kommen. Warum hatte sie das gesagt und warum haben Sie es trotzdem gemacht?
Zum einen ist die Überlegung: Soll man immer das machen, was die Eltern gemacht haben? Zum anderen habe ich mich so auch erst mal selbst entwickeln können. Wäre ich direkt bei meinem Vater eingestiegen, hätte ich keine Chance gegen ihn gehabt. Er wäre der Patriarch gewesen, der die Hosen anhat. Ich hätte auch gerne meinen Job als Journalistin und Moderatorin weiter betrieben, das habe ich 15 Jahre lang gemacht. Aber mein Vater hat mich gefragt, ob ich ihm bei dem Filmprojekt "Der letzte Zug" mithelfen könne. Das habe ich gemacht und erst dabei gemerkt, wie viel Film doch in mir steckt.
Und zuletzt, weil es sich ja um die jüdischen Kulturtage handelt: Wie wichtig ist Ihnen der jüdische Glaube?
Sehr wichtig, ich bin sehr gläubig. Nicht orthodox, das kann ich nicht realisieren mit meiner Arbeit. Aber jeden Schabbat zünde ich die Karten an, wir begehen die hohen Feiertage. Meine Söhne sind auch im jüdischen Sinne erzogen worden. Ich bin dem Judentum ganz tief verbunden, religiös, moralisch, philosophisch.
Das Gespräch führte Ellen Mützel.