Noch steht der Kreis Bad Kissingen mit seiner hausärztlichen Versorgung ganz gut da. Nach den Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), die die Kassensitze vorgibt, gibt es mit 105 Prozent sogar eine leichte Überversorgung (Stand 08/22).
Derzeit eine Praxis zu eröffnen, würde also gar nicht funktionieren. Doch aus deren Daten liest sich auch: 20 der 39 Hausärzte im Landkreis sind über 60 Jahre alt. Dazu kommt die Demografie: Die große Babyboomergeneration wird älter und braucht öfter ärztliche Hilfe.
Junge Mediziner anlocken
Um den Standort für junge Mediziner attraktiver zu machen, hat der Landkreis im Verbund mit „Gesundheitsregion Plus“ einen Weiterbildungsverbund auf die Beine gestellt: ein Zusammenschluss von Klinik- und niedergelassenen Fachärzten. Diese bieten jungen Medizinern für ihre Facharztausbildung Allgemeinmedizin nach ihrem Studium eine Komplettlösung für die fünfjährige Ausbildungszeit.
„Dem Assistenzarzt wird Planungssicherheit, eine garantierte Rotation durch alle erforderlichen Weiterbildungsschritte und ein nahtloser Übergang der einzelnen Abschnitte gewährleistet“, heißt es aus der Pressestelle des Landratsamtes.
Gesundheitsregion Plus unterstützt
Dass das nicht alles ist, weiß Moritz Hehn von der Gesundheitsregion Plus. Um die Studierenden schon früh zu gewinnen, sind auch Programme für das Blockpraktikum angedacht. Zudem solle es Unterstützung etwa in Form der Jobvermittlung für Partner oder bei der Kinderbetreuung geben. In Sachen Praxisgründung solle es Beratungsangebote geben.
Betriebswirtschaftliches Know-How fehlt
Das ist wichtig, bestätigt Facharzt in Ausbildung zum Allgemeinarzt , Johannes Stößel. Er arbeitet in der gleichnamigen Praxis seiner Mutter in Steinach und will diese übernehmen. Er weiß: Zwar sind etwa die Kosten der Praxis auf dem Land geringer, andererseits sei für viele das Leben in der Stadt attraktiver – zudem wohnten dort mehr Privatpatienten.
Dass er die Praxis übernehmen kann, damit hat er Glück, denn was er auch oft von Kommilitonen hört: „Die größte Hürde für viele ist, dass man während des Medizinstudiums und der Weiterbildung nichts über Betriebswirtschaft lernt, über Praxisführung, Abrechnungen, woher man seine Geräte für die Praxis bekommt – die komplette Organisation.“ Das würde viele abschrecken, sich auf eigene Beine zu stellen.
Niederlassung einfach machen
„Wenn man möchte, dass sich Hausärzte niederlassen und nicht nur investorengeführte MVZ entstehen, die Ärzte anstellen, um maximal Geld zu verdienen, muss man den Leuten die Niederlassung an sich und das Organisatorische so einfach wie möglich machen“, so Stößel.
Eine Stelle im Landratsamt, die bei diesen Fragen hilft, oder die Vermittlung an ehemalige oder erfahrene Ärzte wäre sehr hilfreich. Stößel bemerkt eine wachsende Unsicherheit bei werdenden Ärzten : „Viele wollen in den ambulanten Bereich, aber wollen sich eher anstellen lassen. Sie sagen auch: ,Ich habe keine Lust, mich am Wochenende noch um Abrechnungen zu kümmern.’“
Angebote für Kultur, Freizeit und Familie
Ein weiterer Punkt sei das kulturelle und Freizeitangebot. „Ein richtiges Angebot für junge Leute existiert nicht.“ Auch was die Vereinbarkeit einer jungen Familie mit dem Beruf angeht, sieht Stößel noch Luft nach oben. „Es ist nicht mehr so, dass die Ärzte für das Arztsein leben, sondern eben auch für Freizeit, ihre Familie und Privates. Das kommt einfach noch ein bisschen zu kurz.“
Auch Hausbesuche würden die Praxen belasten: Viele haben nicht die Zeit und Personaldichte, um das verstärkt zu übernehmen. „Es gibt immer mehr alte Leute, die nicht mehr Autofahren können und keine Angehörigen haben, die sie fahren“, berichtet Stößel. Daher wäre es hilfreich, alten Leuten eine Möglichkeit zu schaffen, sie zum Arzt zu bringen.
Zudem gebe es zu wenige Studienplätze, die auf eine in Rente gehende große Babyboomergeneration treffen. Ausländische Kollegen, die hierher kämen, müsse man hierbehalten und „ihnen das Leben hier so einfach wie möglich machen.“
Beratungsstelle für Patienten
Auch würde eine Beratungsstelle des Kreises für Patienten helfen. Denn beraten muss die Praxis von Johannes Stößel oft: „Vieles davon sind gar keine medizinischen Fragen, sondern Versorgungsfragen oder sozialer Art. Zum Beispiel zum Beantragen von Renten, was brauche ich für irgendwelche Versicherungen, was brauche ich für meinen Bootsführerschein?“
Das habe jemand, der aus dem Studium kommt, nicht gelernt. „Ich weiß solche Sachen auch nur, weil ich sie immer nachlese.“
Telemedizin als Chance
Was auf lange Sicht die Arbeit des Mediziners erleichtert, das ist die Telemedizin. Videosprechstunden bietet er bereits an: „Das ist ganz einfach aufgebaut, ich habe sogar schon Videosprechstunden mit jemandem über 70 gehalten, das funktioniert ganz einfach über Handy und es ist für viele auch ausreichend.“
In der Zeit braucht Stößel weniger Personal: Niemanden muss am Empfang sitzen oder danach das Wartezimmer putzen. Gut für die Patienten außerdem: Nicht jeder muss extra zu ihm kommen. Und die meisten Leute bis 60 Jahren hätten mittlerweile ein Handy.
Stößel hat weitere Pläne: „Ich will auch die Online-Terminvergabe miteinbinden: Viele beschweren sich, dass sie nicht durchkommen. Aber wir sind eine Arztpraxis, kein Callcenter.“ Er habe nicht unzählige Kräfte, die sich um die Terminvergabe und Fragen kümmern können. Eine Online-Buchung würde das erleichtern.
Telemedizin: "Da ist viel Potenzial"
Ebenfalls das Arbeiten für die Praxis erleichternd und bequem für Patienten: Das elektronische Rezept. Das gibt es auch schon in seiner Praxis. „Da ist viel Potenzial, wo noch mehr gemacht werden müsste. Das haben Politik und Krankenkassen ein bisschen versäumt, dazu kommt noch die Skepsis der Menschen.“
Derzeit werde die ganze Digitalisierung auf die Ärzte selbst abgewälzt, vor allem auf die Hausärzte. „Es gibt einfach durch die Krankenkassen zu wenig Aufklärung, was es überhaupt gibt und wie das funktioniert. Ich müsste eigentlich aktiv auf die Patienten zugehen, ihnen das am besten noch mit einer Arbeitskraft am Handy erklären, das funktioniert nicht.“
Er sehe hier auch Angebote auf regionaler Ebene. Etwa einem Stand auf den Gesundheitstagen, wo geschultes Personal den Leuten am Handy erklärt, was sie machen müssen, um etwa an ein E-Rezept zu kommen und ihnen zeigt, welche Möglichkeiten ihr Smartphone im Medizinischen bietet. Stößel betont: „Das auf uns abzuwälzen ist der falsche Weg. Das kostet ja auch meine Zeit.“
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Richtet ein angehender Facharzt welcher ja quasi überall gesucht wird danach tatsächlich seine Karriere aus? Ich kann es mir nur schwer vorstellen aber einen Versuch ist es wert.
Zitat: "„Die größte Hürde für viele ist, dass man während des Medizinstudiums und der Weiterbildung nichts über Betriebswirtschaft lernt, über Praxisführung, Abrechnungen, woher man seine Geräte für die Praxis bekommt – die komplette Organisation.“
Das sind Versäumnisse die es nicht nur im Studium gibt sondern schon in Haupt- und Realschulen als auch in Gymansien. Es bräuchte ein Fach "Lebenskunde" - wie fülle ich eine Steuererklärung aus... usw.
Anmerken möchte ich, dass die Sache mit den Quereinsteigern nicht falsch ist. Es kommt darauf wie man sie angeht und natürlich in welchen Berufsfeld und wie man diese Personen nachqualifiziert. Das hatte ich in einem anderen Beitrag schon geschrieben.
Bei Quereinsteiger als Lehrer hab ich auch arge Bedenken zumindest wenn diese schon vor der entsprechenden Nachqualifikation auf Schüler losgelassen werden.