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Bad Kissingen
Acht Stimmen begeistern auf dem Kirchenschiff und der Bühne
England hat es besser. Das weiß jeder Chorleiter in Deutschland, wenn er mit neidischem Blick über den Kanal schaut.
Briten nehmen sich nicht gerne allzu ernst: Opernparodie der Sänger von 'Voces 8' bei ihrem Staunen erregenden Konzert im Rahmen des Bad Kissinger Winterzaubers. Foto: Gerhild Ahnert       -  Briten nehmen sich nicht gerne allzu ernst: Opernparodie der Sänger von 'Voces 8' bei ihrem Staunen erregenden Konzert im Rahmen des Bad Kissinger Winterzaubers. Foto: Gerhild Ahnert
| Briten nehmen sich nicht gerne allzu ernst: Opernparodie der Sänger von "Voces 8" bei ihrem Staunen erregenden Konzert im Rahmen des Bad Kissinger Winterzaubers. Foto: Gerhild Ahnert
Gerhild Ahnert
 |  aktualisiert: 20.08.2022 05:05 Uhr
Die Tradition der Kirchenmusik bringt in Kathedralen und Dorfkirchen dort immer wieder Sänger hervor, die man bei uns wohl gar nicht entdeckt und so nicht von Kindheit an gefördert hätte. Rein, klar, ohne Tremolo und in A-Cappella-Gruppen mit lupenreinem Zusammenklang präsentieren sich diese Sänger und bleiben oft auch professionell beim Singen, auch wenn sie ihren Kirchenchor oder College Choir längst verlassen haben.


Aus den Talentschmieden

Eine solche Gruppe bestaunten die Besucher im Großen Saal, und wer ihre Biografien liest, erkennt, dass sie genau aus diesen Talentschmieden kommen: vier von ihnen sangen in Westminster Abbey in London, zwei in Winchester Cathedral, einer in Exeter Cathedral, drei im Chor des Trinity beziehungsweise Caius and Gonville College in Cambridge, eine kommt von der Cardiff University in Wales.
Ihr Tour-Programm benennt diesen Weg: From the Nave to the Stage, vom "Kirchenschiff" mit geistlicher Musik auf die "Bühne" des 20. und 21. Jahrhunderts. Paul Smith, studierter Wirtschaftswissenschaftler und Orchestermanager, bevor er mit seinem Bruder Barnaby Smith "Voces 8" gründete, führte durch das Programm.


Harmonik der Renaissance

Barnaby und Chris Wardle sind die beiden Countertenöre, die Sopranlage vertreten Andrea Haines und Emily Dickens. Sam Dressel und Oliver Vincent sorgen als Tenöre für den harmonischen Mittelbau, während neben Bariton Paul Smith der Bass Jonathan Pacey für die Tiefen zuständig sind. Acht Sänger, völlig unplugged, die es mit unangestrengter menschlicher Stimmkraft schaffen, den Großen Saal mit reinsten Harmonien zu füllen und ihre Zuschauer zu bannen.
Den Anfang machten die Briten natürlich mit einem Werk des wichtigsten englischen Renaissancekomponisten, "Venite exultemus Domino" von William Byrd. Aus der gleichen Epoche stammten die Kompositionen des italienischen Vaters der Mehrstimmigkeit, Claudio Monteverdi, "Cantate Domino" und des wichtigsten deutschen Vertreters der Renaissance, Heinrich Schütz, "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes". Mit einem großen Sprung in unsere Gegenwart stellten die Sänger eine Chorkomposition ihres momentanen "Composer in Residence", des an der Juilliard School in New York unterrichtenden Ola Gjeilo vor: "Ubi caritas et amor", das in der einfachen Harmonik der Renaissance beginnt, sich dann aber mit spannenden Dissonanzen in unsere Zeit begibt und im "Amen" ganz wunderschön verklingt.
Zwei verschiedene Arten der Kirchenmusik aus der westlichen und der russisch-orthodoxen Kirchenmusik stellten die Sänger einander gegenüber mit Thomas Tallis zwei Vertonungen von "Te lucis ante terminum" und dazwischen Sergej Rachmaninows "Bogoroditse Dyero" (Ave Maria) aus seinen Vespern, op. 37. Auch am Ende des ersten Teils gab es die Überstellung zweier Epochen: "Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir" aus Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium "Elias" und Giovanni Gabrielis "Jubilate Deo omnis terra".


Andacht und Hörgenuss

Gerade Letztere zeigten, mit wieviel gelassener Ruhe, Durchsichtigkeit und Klarheit das achtköpfige Ensemble auch komplizierte Sätze zu singen vermag, wie wunderschön die einzelnen Stimmen zusammenklingen, über denen Andrea Haines runder und kräftiger Sopran schwebt, in deren Mittelbau absolut saubere Verzierungen und rhythmische Tücken gemeistert werden und in deren Tiefen ganz erstaunliche perkussive Effekte wie Glockentöne etwa bei Gabrieli möglich sind.
Solche ebenso komplexe wie kluge Arrangements machten den zweiten Teil "Stage" zum Vergnügen, doch setzten sie hier noch ihren typisch britischen Hang zu Parodie und Pantomime zu witzigen Interpretationen ihrer Texte oder Karikaturen der Sänger der vielen Arten von Popularmusik des 20. Jahrhunderts ein und verhalfen damit dem vorher andächtig ruhigen Publikum zu hörbarem Vergnügen. Bei den Jazz-Songs etwa von Nat King Cole oder Harold Arlens "I've got the world on a string", bei ihren Spirituals wie Ex-King-Singer Bob Chilcotts Version des ersten veröffentlichten "Were you there" oder "Underneath the stars" zeigten sie sich auch mal als Solisten, der Rest fungierte als Background wie in "The Luckiest" von Ben Folds oder Jessie James' "Everybody". Nach einer Hommage an den Swing teilten sie sich in eine vierstimmige Leadgroup auf, der Rest begleitete rhythmisch, wobei nur ein Egg Shake als Hilfsmittel zugelassen war.
Am Ende gab es zwei Zugaben: die köstliche Operndivenparodie mit einem Opera Medley aus "Carmen", "Zauberflöte", "Perlenfischer" und "Rigoletto", nach dem der gesamte Große Saal zum Applaudieren stand, bevor es mit "Maria durch ein Dornwald ging" wieder besinnlich wurde und noch ein bisschen weihnachtlich. Ein Staunen erregendes Konzert mit den acht Sängern von Voces 8.
 
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