Bad Kissingen
Abstimmung mit dem Feuerzeug
Beim Piano Battle feiert der heldenhafte Kampf Mann gegen Mann fröhliche Urständ. Das Publikum muss entscheiden und hat seinen Spaß dabei.
Wer ist der bessere Musiker? Das ist eine Frage, die nicht nur die Musiker selbst, sondern vor allem das Publikum umtreibt, und das, seit es öffentliche Aufführungen gibt. Das wird sich auch nicht ändern, weil es keine endgültigen Antworten gibt. Selbst wenn sich die Meinungen auf den einen oder die andere zuläuft - natürlich abgemildert mit einem "vermutlich" oder "derzeit" oder "lebend", dann melden sich reflexhaft die Hauptbedenkenträger mit einem
bedeutungsvollen "ja, aber": ja, aber der Arthur Schnabel oder der Jascha Heifetz oder die Callas!
Berühmt geworden ist der Wettstreit von Georg Friedrich Händel und Domenico Scarlatti 1707 in Rom, bei dem man sich offenbar auch nicht einigen konnte, denn Scarlatti soll am Cembalo die Nase vorne gehabt haben, Händel an der Orgel.
Und zehn Jahre später wurde Johann Sebastian Bach in Dresden am grünen Tisch einmütig zum Sieger erklärt, weil sein Herausforderer, der französische Cembalist Louis Marchand, in letzter Minute Muffensausen bekommen hatte und rechtzeitig geflohen sein soll. Der Ragtime hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts den "Piano Battle" bekannt und beliebt gemacht.
Jelly Roll Morton, Fats Waller oder Erroll Garner sind Namen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, im Jazz der Gegenwart Axel Zwingenberger.
In die Klassik zurückgeholt haben den "Piano Battle" die beiden deutschen Pianisten Paul Cibis und Andreas Kern, die seit sechs Jahren diese Form des musikalischen Duells pflegen und in die Konzertsäle tragen, jetzt auch beim Winterzauber in den Großen Saal.
Das sieht im Vorfeld alles ein bisschen nach Klamauk aus - und das ist es natürlich auch. Schon wenn man den Saal betritt, sieht man auf dem ansonsten leeren Podium zwei Flügel, mit den Spitzen kampfbereit gegeneinander gerichtet. Und als die Pianisten, jeder von seiner Seite, aufeinander zugehen, der eine im schwarzen Anzug mit weißem Hemd, der andere im weißen Anzug mit schwarzem Hemd, da könnte man diese Szene auch in einem Western schneiden - nur, dass die beiden
Herren ihre Finger nicht knacken lassen, um besser schießen, sondern um besser treffen zu können. Der heldenhafte Urkampf Mann gegen Mann feiert fröhliche Urständ.
Aber die Regeln verraten Lockerheit: Jeder der beiden Pianisten spielt einen Satz; dann stimmt das Publikum im dunkeln Saal mit vorher verteilten Feuerzeugen ab. Wer mehr Flammen bekommt, schiebt seinen Flügel ein bisschen nach vorne. Wer nach mehreren Runden als erster die Ziellinie am Bühnenrand erreicht hat, hat gewonnen.
Das geht natürlich alles nicht ohne Hilfe des Publikums. Da müssen Freiwillige aus dem Publikum auch mal eine verdammt schwierige Einzelentscheidung treffen, da müssen andere Tischtennisbälle einsammeln, die die beiden Pianisten sich während des Spielens in die Flügel schmettern - dann wird abgezählt. Da wird mitgesungen und mitgeklatscht - kurz: Da ist Stimmung in der Bude.
Auch weil Cibis und Kern höchst launige Moderationen machen, in denen sie sich verschmitzt auf den Arm nehmen. Und weil sie es schaffen, die Pause mit einem der unsäglichen Pauseninterviews zu eröffnen, in dem sie ihren Kampf in die Sprach- und Bilderwelt des vertrauten Fußballs holen.
Das ist alles höchst intelligent und animierend. Das ist wirklich eine perfekte Bühnenshow.
Musik gab's natürlich auch. Sätze von Chopin, Debussy und Liszt und anderen, eine Runde mit Ligetis "Musica ricercata" und Moritz Eggerts Nummer VIII aus dem "Hämmerklavier", bei dem auch der linke Fuß immer mal auf die tiefen Tasten haut. Einen Satz aus China gegen eine Eigenkomposition von Andreas Kern, bei der Robert Schumann jeden Plagiatsprozess gewonnen hätte. Es gab höchst raffinierte Improvisationen über Themenwünsche aus dem Publikum und vieles mehr.
Es war natürlich nicht alles CD-reif, aber darum ging es auch gar nicht. Denn immer weiter nach vorne drängte sich der Eindruck, was passieren kann, wenn sich Musiker dem Publikum öffnen, welche große Rolle die Emotionalität spielt, wie sie sich auch steuern lässt, wie sehr die Akzeptanz eine Frage der Präsentation ist.
Dass Paul Cibis an dem Abend deutlich gewann. Lag nicht daran, dass er der bessere Pianist war, sondern weil er in dem Spiel den "good cop" gab, der den Kontakt zum Publikum suchte, der den weicheren, romantischeren Anschlag hatte, dem das Publikum sogar gerne den Eggert verzieh und ihm dafür den Siegpunkt gab. Andreas Kern als "bad cop" war zurückhaltender, nüchterner in seinem Spiel, zurückhaltender im Umgang mit dem Publikum. Und das spürte er an der Bepunktung. Beim nächsten Mal sind die Rollen vermutlich vertauscht. Denn wer will schon immer verlieren.
Es war eine eindrucksvolle Demonstration, was auch klassische Musik bewirken kann, wenn man sie aus ihrem Elfenbeinturm herausholen kann, wozu ein Publikum bereit sein kann. "Bleiben Sie neugierig", rief Paul Cibis am Ende den Besuchern zu. Recht hat er.
Berühmte Vorbilder
Berühmt geworden ist der Wettstreit von Georg Friedrich Händel und Domenico Scarlatti 1707 in Rom, bei dem man sich offenbar auch nicht einigen konnte, denn Scarlatti soll am Cembalo die Nase vorne gehabt haben, Händel an der Orgel.
Und zehn Jahre später wurde Johann Sebastian Bach in Dresden am grünen Tisch einmütig zum Sieger erklärt, weil sein Herausforderer, der französische Cembalist Louis Marchand, in letzter Minute Muffensausen bekommen hatte und rechtzeitig geflohen sein soll. Der Ragtime hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts den "Piano Battle" bekannt und beliebt gemacht.
Jelly Roll Morton, Fats Waller oder Erroll Garner sind Namen, die in diesem Zusammenhang zu nennen sind, im Jazz der Gegenwart Axel Zwingenberger.
Auftakt wie im Western
In die Klassik zurückgeholt haben den "Piano Battle" die beiden deutschen Pianisten Paul Cibis und Andreas Kern, die seit sechs Jahren diese Form des musikalischen Duells pflegen und in die Konzertsäle tragen, jetzt auch beim Winterzauber in den Großen Saal.
Das sieht im Vorfeld alles ein bisschen nach Klamauk aus - und das ist es natürlich auch. Schon wenn man den Saal betritt, sieht man auf dem ansonsten leeren Podium zwei Flügel, mit den Spitzen kampfbereit gegeneinander gerichtet. Und als die Pianisten, jeder von seiner Seite, aufeinander zugehen, der eine im schwarzen Anzug mit weißem Hemd, der andere im weißen Anzug mit schwarzem Hemd, da könnte man diese Szene auch in einem Western schneiden - nur, dass die beiden
Herren ihre Finger nicht knacken lassen, um besser schießen, sondern um besser treffen zu können. Der heldenhafte Urkampf Mann gegen Mann feiert fröhliche Urständ.Aber die Regeln verraten Lockerheit: Jeder der beiden Pianisten spielt einen Satz; dann stimmt das Publikum im dunkeln Saal mit vorher verteilten Feuerzeugen ab. Wer mehr Flammen bekommt, schiebt seinen Flügel ein bisschen nach vorne. Wer nach mehreren Runden als erster die Ziellinie am Bühnenrand erreicht hat, hat gewonnen.
Das geht natürlich alles nicht ohne Hilfe des Publikums. Da müssen Freiwillige aus dem Publikum auch mal eine verdammt schwierige Einzelentscheidung treffen, da müssen andere Tischtennisbälle einsammeln, die die beiden Pianisten sich während des Spielens in die Flügel schmettern - dann wird abgezählt. Da wird mitgesungen und mitgeklatscht - kurz: Da ist Stimmung in der Bude.
Perfekte Bühnenshow
Auch weil Cibis und Kern höchst launige Moderationen machen, in denen sie sich verschmitzt auf den Arm nehmen. Und weil sie es schaffen, die Pause mit einem der unsäglichen Pauseninterviews zu eröffnen, in dem sie ihren Kampf in die Sprach- und Bilderwelt des vertrauten Fußballs holen.
Das ist alles höchst intelligent und animierend. Das ist wirklich eine perfekte Bühnenshow.Musik gab's natürlich auch. Sätze von Chopin, Debussy und Liszt und anderen, eine Runde mit Ligetis "Musica ricercata" und Moritz Eggerts Nummer VIII aus dem "Hämmerklavier", bei dem auch der linke Fuß immer mal auf die tiefen Tasten haut. Einen Satz aus China gegen eine Eigenkomposition von Andreas Kern, bei der Robert Schumann jeden Plagiatsprozess gewonnen hätte. Es gab höchst raffinierte Improvisationen über Themenwünsche aus dem Publikum und vieles mehr.
Es war natürlich nicht alles CD-reif, aber darum ging es auch gar nicht. Denn immer weiter nach vorne drängte sich der Eindruck, was passieren kann, wenn sich Musiker dem Publikum öffnen, welche große Rolle die Emotionalität spielt, wie sie sich auch steuern lässt, wie sehr die Akzeptanz eine Frage der Präsentation ist.
Dass Paul Cibis an dem Abend deutlich gewann. Lag nicht daran, dass er der bessere Pianist war, sondern weil er in dem Spiel den "good cop" gab, der den Kontakt zum Publikum suchte, der den weicheren, romantischeren Anschlag hatte, dem das Publikum sogar gerne den Eggert verzieh und ihm dafür den Siegpunkt gab. Andreas Kern als "bad cop" war zurückhaltender, nüchterner in seinem Spiel, zurückhaltender im Umgang mit dem Publikum. Und das spürte er an der Bepunktung. Beim nächsten Mal sind die Rollen vermutlich vertauscht. Denn wer will schon immer verlieren.
Bleiben Sie neugierig
Es war eine eindrucksvolle Demonstration, was auch klassische Musik bewirken kann, wenn man sie aus ihrem Elfenbeinturm herausholen kann, wozu ein Publikum bereit sein kann. "Bleiben Sie neugierig", rief Paul Cibis am Ende den Besuchern zu. Recht hat er.Themen & Autoren / Autorinnen