Auch Musiker träumen: Dem hiesigen Wintergrau entfliehen und ab in die Karibik. Auf die Jungferninsel nach St. Thomas. Dort finden die Classic Rebells eine Kiste mit Noten von Johann Sebastian Bach . Die hatte Bach an seine neue Arbeitsstelle als Kantor nach Leipzig in die St. Thomas Kirche vorausschicken wollen, aber die Zusteller scheinen schon im 18. Jahrhundert ziemlich unter Druck gestanden haben. Dreihundert Jahre in Rum getränkt, werden die handgeschriebenen Klassiknoten zu Jazz , wird aus Kantate Swing, aus Motette Rag, aus Kontrapunkt Groove. Das Richtige für die Classic Rebells, hochprofessionelle Musiker, die mit Trompete, Hammondorgel und 6-String Violine Grenzen überwinden, Bach'sche Tiefe ausloten, mit elektronischen Klängen Grenzen zur Neo Klassik finden und mit feurigem Esprit neue Klangwelten schaffen. "Bach in Blue" nennen sie das.
Kurtheater ist kein Jazzkeller
Es hätte ein komplett mitreißendes Winterzauber-Konzert werden können: Fetzige Session statt wohltemperiertem Klavier: Wurde es musikalisch durchgängig auch, stimmungsmäßig eher weniger. Was auch am Publikum und am "schönen Theater", wie Daniel Schmahl die Spielstätte nannte, lag. Das Kurtheater ist nun mal kein Jazzkeller, wo man dem Pianisten auf die Finger schauen und die Schweißperlen auf der Stirn des Trompeters zählen kann. Leider waren wohl zu wenig echte Jazzfreunde in den Plüschsesseln. So wird nicht jede Solopassage beklatscht, nicht alle lassen sich mitreißen vom direkten Kontakt zum Interpreten. Seltsam, dass die außergewöhnliche Hammondorgel samt Leslie Box des brillanten Marius Leicht im hinteren Bühnendunkel stand. Der Pianist - als gehörte er nicht dazu - ausschließlich mit dem Rücken zum Publikum. Schade auch, dass man schon bei den ersten Sätzen der lockeren Moderation des Trompeters Daniel Schmahl um die etwas belegte Stimme zittern musste. Erkältungszeit! Dabei fordert Bach gerade von den Blechbläsern außerordentlich viel. Befreit aufspielen, das war unter diesen Umständen nicht immer gegeben, nicht alle Einsätze kamen punktgenau, mancher Ansatz gepresst statt weich. Aber ein Trompeter seines Kalibers hält das in kaum hörbaren Grenzen. Tiefe Verbeugung, dass der Ensemblechef durchgehalten hat - auch die Zugabe!
Seltene Klänge
Aber da war ja noch Matthias Zeller. Von Schmahl als einer von nur zwei europäischen Virtuosen angekündigt, die eine 6-saitige E-Violine beherrschen, und bei all der Flunkerei um die in Rum gereiften Noten, das darf man getrost glauben. Diese Viola Pomposa gleicht zunächst höchstens einem Torso üblicher Geigen, ihre Möglichkeiten und der exzessive "elektrische" Klang aber ist ein Erlebnis, das haften bleibt. Welch eine Souveränität, welche Gelassenheit, welche Hingabe zur Musik strahlt Zeller aus. Unglaubliche Klangfarben vermag der Plauener dem Instrument zu entlocken. Mit den Füßen bedient er verschiedene Pedale und Knöpfe, mischt so exorbitante Harmonien, lässt Klangfarben geradezu auflodern. Bei seinen Soli, da waren sie da, die Jubelstürme wie im Jazzkeller. Zusammen lassen die Classic Rebells nur drei Instrumente als ein ganzes Orchester erklingen, sie machen, so perfekt gespielt, auch mit Swing und Rhythmus, Bachs Genialität zu einem Erlebnis.
Was Bach alles aushalten muss
Schon mit der unverwüstlichen Toccata und Fuge gelingt den Grenzgängern zwischen Klassik und Jazz die leichte Lebensart des Südens mit der Strenge des großen Bach genussvoll zu verbinden. Daniel Schmahl, unterwegs zwischen Alter Musik und früher Moderne, sucht nach ungewöhnlichen Interpretationsmöglichkeiten. Ludwig Güttler als Vorbild, spielt der Potsdamer vornehmlich Jazz , ist aber bei den Würzburger Bachtagen ebenso zu hause wie in "Bach's heiliger Halle", der Leipziger Thomanerkirche. Und so erklingen weitere Klassiker des großen Meisters, wie die Kantate "Machet auf, ruft uns die Stimme", oder der Choral "Jesus bleibet meine Freude" eben ganz anders, eine Mischung aus klassischer Vorlage und Improvisationsvermögen des Jazz . Aber nur wer in beiden Genres zu hause ist, bekommt das so gekonnt hin. Bachs große Klangarchitektur war als zeitloses Maß stets gegenwärtig. Die E-Violine dominiert, setzt Zeichen, abwechselnd füttern Piccolotrompete, Flügelhorn und Trompete den Sound an, die Hammond-Orgel rundet und jeder darf solistisch brillieren. Bleibt die Frage: Was hätte Bach dazu gesagt? Es hätte ihm wohl gefallen. Immerhin ist seine Musik nicht im Zuckerrohrschnaps untergegangen.