An seinen ersten Fall vor Gericht kann sich Thomas Mayer, 48, nicht mehr erinnern. Oft sind es aber Fälle mit Alkohol und anderen Drogen, die ihn sehr erschrecken. Schwerwiegende Straftaten, die ihn von seiner Insel der Glückseligkeit runterholen, wie ihm eine Schöffenkollegin einmal sagte. Der Gerolzhöfer (Lkr. Schweinfurt) ist seit 2009 Jugendschöffe am Amtsgericht Schweinfurt und entscheidet dort mehrmals im Jahr über die Zukunft von Jugendlichen.
Die Bewerbungsphase für die kommende Amtsperiode, beginnend am 1. Januar 2014, läuft zurzeit. Gesucht werden Laienrichter für die Amts- und Landgerichte in Bayern. Mayer hat sich erneut beworben. „Als Schöffe schaue ich in eine andere Welt“, sagt er. „Außerdem leiste ich so meinen Beitrag für die Gesellschaft.“ Einen Beitrag, der sich vor allem durch den Spagat zwischen Opfern und Angeklagten auszeichnet. Auf der einen Seite fordert das Opfer Sühne, erwartet meist eine hohe Strafe. Auf der anderen Seite der Angeklagte, über dessen Zukunft das Gericht entscheidet. „Es soll für die Jugendlichen eine Art Warnschuss sein“, sagt Mayer. Wegsperren, so sieht er das, sei das letzte Mittel. Als er sich vor fünf Jahren für das Amt bewarb, waren seine Söhne im jugendlichen Alter. „Ich habe durch meine Kinder viel mitbekommen, auch was bei Freunden von ihnen passiert.“ Außerdem hatte er viel Berufserfahrung und war neugierig – gute Voraussetzungen für einen Jugendschöffen.
Neugierde war es auch, die Erika Zink, Gemeinderätin aus Birkenfeld (Lkr. Main-Spessart), dazu brachte, sich zu bewerben. „Ich hatte schon viele Pressebericht über Urteile gelesen“, erzählt sie im Gespräch. Dabei hat sie sich oft gefragt, wie so ein Urteil zustande kommt. „Als mich 2009 der Gemeinderat gefragt hat, habe ich spontan ja gesagt.“ Zink ist derzeit Laienrichterin in der Wirtschaftskammer am Landgericht Würzburg.
Anders als beim Jugendschöffengericht, wo die Fälle meist an einem Tag verhandelt werden, ziehen sich Wirtschaftsverfahren oft über Monate hin. „Manch einer muss zwei Mal die Woche bei Gericht auftauchen“, sagt Helga Müller. Sie ist Vorsitzende Richterin am Landgericht Würzburg und erlebt es oft, dass Schöffen den Zeitaufwand unterschätzen. „Viele erwarten Verfahren wie bei Barbara Salesch, halbe Stunde und fertig. Dabei dauert es meist länger.“ Deswegen sind Ausdauer und eine gewisse Portion Sitzfleisch eine der Qualitäten, die ein Schöffe mitbringen muss.
„Ein Schöffe braucht auch gesunden Menschenverstand und Erfahrung“, sagt Michael Roth, Vorsitzender des Jugendschöffengerichts am Amtsgericht Schweinfurt. Letztlich, sagt er, besteht die Aufgabe darin zuzuhören, zu denken und natürlich zu entscheiden. Das Richtertrio (am Amtsgericht ein Berufsrichter und zwei Schöffen) trifft sich kurz vor Beginn der Verhandlung, ehe sie sich im Saal die Aussagen von Angeklagten, Zeugen sowie die Plädoyers anhören. Erst dann zieht sich das Dreigespann in das Richterzimmer zurück. „Dort wird der Fall erneut aufgearbeitet und diskutiert“, erzählt Thomas Mayer. „Es stellt sich ziemlich schnell heraus, ob sich der persönliche Eindruck mit dem der Kollegen deckt.“ Zweifel am Urteil habe er selten. „Das ist ja der Vorteil am Schöffengericht: Wir entscheiden zu dritt und am Ende steht ein mehrheitsfähiges Urteil.“
Von Spaß könne man bei der Arbeit aber nicht sprechen. Da sind sich Erika Zink und Thomas Mayer einig. „Die Sache ist einfach zu ernst“, sagt Zink. „Ich bin mir aber meiner Verantwortung bewusst und versuche das Amt würdevoll auszufüllen.“ Das sei auch der Grund, warum sie heikle Verfahren gut ablegen könne. „Es kommt schon mal vor, dass mich gewisse Fälle berühren und ich eine Nacht darüber nachdenke“, erklärt Zink, „aber dauerhaft belastet mich das nicht.“ Dazu passt, dass auch sie sich nicht mehr an ihren ersten Fall erinnern kann.
Eine Straftat jedoch blieb Jugendschöffe Mayer besonders im Gedächtnis: Bei der Verhandlung war ein Jugendlicher angeklagt, der mitten am Tag in das offene Fenster einer alten Frau einstieg und diese, sitzend vor ihrem Fernseher, bedrohte. „Und das alles, weil er Geld für Alkohol brauchte“, sagt der gelernte Verwaltungsfachwirt. Gerade bei solchen Taten gilt für ihn die Leitfrage, ob „ich so was in der Gesellschaft möchte“, dass man nicht mal mehr in der eigenen Wohnung sicher ist oder abends in der Stadt spazieren gehen kann ohne niedergeschlagen und ausgeraubt zu werden.
„Viele sagen zwar pauschal, dass so einer weggesperrt werden muss“, so Mayer. „Manches stellt sich in der Verhandlung aber komplizierter dar.“ Man müsse sich nur mal vorstellen, was mit einem Jugendlichen passiert, der ins Gefängnis kommt. Eine Garantie dafür, dass er nicht wieder straffällig wird ist das nicht – das belegen Statistiken. „Viel wichtiger sind erzieherische Maßnahmen wie Arbeitsstunden.“
Die Schöffen sind auch für die Berufsrichter eine Art erzieherische Maßnahme, ein wichtiges Korrektiv, das vor Berufsblindheit schützt. „Der Laie hinterfragt einen“, sagt Michael Roth. „Der Richter wird dazu gezwungen, klar und strukturiert zu denken.“ Außerdem nehme ein Laie die Zeugen oft anders wahr als ein Berufsrichter.
Erika Zink und Thomas Mayer hoffen jedenfalls, erneut als Schöffen gewählt zu werden. Das verantwortungsvolle Amt gefällt ihnen und sie wollen besonders eins erreichen: ein Urteil im Namen des Volkes.
Wer kann Schöffe werden – und vor allem wie?
Schöffen müssen zahlreiche Kriterien erfüllen: Sie sollen zu Beginn der Amtsperiode älter als 25, aber nicht älter als 70 sein. Zudem muss er mindestens ein Jahr in dem Ort gelebt haben, in dem er sich bewirbt und darf keine Vorstrafen von mehr als sechs Monaten haben. Nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden ist keine weitere Bewerbung möglich. Schöffen können beispielsweise in Sozial- und Finanzgerichten eingesetzt werden, nicht dagegen an den Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof. Während der Verhandlungstage wird eine Zeit- und Verdienstausfallentschädigung von stündlich 20 Euro gezahlt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Angestellten freizustellen.
Bewerbungen für das Schöffenamt gehen an die jeweilige Gemeinde. Diese schickt nach Ende der Bewerbungsfrist die Vorschlagsliste an den Richter am Amtsgericht des jeweiligen Bezirks. Der Wahlausschuss besteht aus dem Richter beim Amtsgericht als Vorsitzendem, einem Verwaltungsbeamten der Landesregierung sowie sieben Vertrauenspersonen. Der Ausschuss wählt die Schöffen, Jugend- und Hilfsschöffen mit einer 2/3-Mehrheit. Bei der Wahl sollen alle Gruppen der Bevölkerung nach Geschlecht, Beruf und sozialer Stellung berücksichtigt werden.
In Bayern läuft derzeit die Bewerbung für die Amtsperiode vom 1.1.2014 bis 31.12.2018. Interessierte im Gebiet Würzburg können sich beispielsweise bis Freitag, 5. April, bei Bianca Oppelt unter Tel. (09 31) 372 617 bewerben. Bewerber für das Jugendschöffenamt im Raum Schweinfurt haben noch bis Montag, 1. April, die Möglichkeit dazu. Weitere Infos unter www.lrasw.de. Die Bewerbungsfristen anderer Gemeinden erfahren Sie bei der zuständigen Gemeindeverwaltung. Text: TB
ONLINE-TIPP
Alles rund um das Schöffenamt sowie Bewerbungsformulare zum Herunterladen: www.mainpost.de/geld-und-recht