Gerade hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung im Jahresbericht 2012 das Gewicht der Bevölkerungsgruppen unter die Lupe genommen. Senioren sind zu dick, resümierte die Bildzeitung mitleidslos. Nach der Studie sind 74 Prozent der Männer und 63 Prozent der Frauen zwischen 70 und 74 Jahren übergewichtig. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn was heißt „übergewichtig“ bei Älteren und was ist gut für die Gesundheit?
Die meisten Menschen legen beim Älterwerden an Gewicht zu, das ist normal. Gründe dafür ist die veränderte Hormonzufuhr, der Östrogenspiegel bei Frauen und der Testosteronspiegel bei Männern sinken, auch der Stoffwechsel schaltet auf Sparflamme, leider aber nicht der Appetit. Und da man sich zudem auf dem heimischen Sofa recht wohl fühlt, weniger Stress hat und sich scheut, mit seinen Gelenkschmerzen bei Wind und Wetter zu laufen, nimmt der Energiebedarf ab. Zwar ist der Kalorienverbrauch individuell unterschiedlich, abhängig von Größe, Gewicht, Temperament, Alter und genetischer Veranlagung, wer aber regelmäßig auch nur ein wenig mehr isst, als der Körper verbraucht, wird zwangsläufig dicker. Zum Beispiel benötigt ein 80-Jähriger etwa 400 kcal weniger als ein 30-Jähriger, also mindestens ein Stück Kuchen weniger, sagen Ernährungswissenschaftler. Ungefähr 2000 bis 2200 Kilokalorien pro Tag seien für Senioren ein grober Richtwert, weniger als 1800 Kilokalorien sollten es aber nicht sein.
Altersforscher sind sich heute einig, dass ein paar Kilos mehr auf den Rippen nichts schaden, im Gegenteil seien leicht mollige Senioren für den Krankheitsfall oft besser gerüstet als untergewichtige. Im Vergleich hätten sehr Schlanke sogar deutlich mehr gesundheitliche Probleme als Gewichtigere, bestätigt auch Dr. Michael Schwab, Chefarzt im Geriatriezentrum des Würzburger Bürgerspitals, und er warnt vor unkontrollierten, kurzfristigen Abmagerungskuren, wie sie in der Werbung angepriesen werden. Wer als älterer Mensch glaube, mit Schlankheitskuren sein Leben verlängern zu können, habe falsche Erwartungen, so der Arzt. Schon ab 40 Jahren gelten Schlankheitskuren als kontraproduktiv, ab 60 Jahren als kritisch, ab 70 sind sie aus ärztlicher Sicht nicht mehr wünschenswert. Fasten bei gleichzeitigem Mangel an Bewegung führe zum Abbau von Muskel- und Knochenmasse, erklärt Dr. Schwab. Die Gefahr von Osteoporose steige, die eigene Immunabwehr werde geschwächt, die Körperkraft lasse nach, was im höheren Alter vermehrt zu Stürzen führen könne.
Das Idealgewicht für ältere Menschen wird heute von Gesundheitsexperten deutlich höher angesetzt als früher. Gradmesser ist der so genannte Body-Mass-Index (BMI): Das überprüfte Gewicht teilt man durch die aktuelle Körpergröße im Quadrat, also Kilogramm geteilt durch Meter mal Meter. Dabei nicht mogeln, denn mit dem Älterwerden wird man auch kleiner! Wem das zu kompliziert ist, kann sich im Internet (Stichwort: Body-Mass-Index) mit den entsprechenden Angaben seinen Wert errechnen lassen (dazu nebenstehender Text).
Alle reden vom Abnehmen, aber auch, wer zu dünn ist, fühlt sich oft nicht wohl. Sorgen, Stress, vielleicht Depressionen führen zu Appetitlosigkeit. Im hohen Alter droht die Gefahr von Mangelernährung. Das Zunehmen ist genauso schwer wie das Abnehmen, wissen Betroffene.
Diskutiert wird in Fachartikeln zur Zeit eine skandinavisch-amerikanische Untersuchung mit 650 000 Teilnehmern. Sie zeigt, dass es vielen älteren Menschen unabhängig vom Gewicht gut geht, solange sie sich regelmäßig bewegen. Auch Untergewichtige könnten nur profitieren, denn ein längerer Spaziergang mache hungrig. Schon wer nur 75 Minuten in der Woche zügig gehe, steigere damit seine Lebenserwartung um 1,8 Jahre, sagen die Forscher. Und ihre Ergebnisse zeigen, dass selbst aktive Fettleibige im Durchschnitt länger leben als inaktive Schlanke oder Faule.