Der Anfang war extrem zäh. Nach dem Motto: „Kennen wir nicht. Brauchen wir nicht!“ stieß Volker Schneidereit auf lauter verschlossene Türen, als er vor genau 20 Jahren begann, einen ersten Fahrradkurierdienst in Würzburg aufzubauen. 1200 Flyer verteilte der damalige Lehramtsstudent in der Stadt, um auf seine Idee aufmerksam zu machen. Immerhin ein Interessent sprang sofort an: „Das war ein Physiotherapeut. Der nahm den Flyer und sagte, er habe gleich etwas zum Transportieren.“
Das war am 22. Februar 1995. Ein schöner Start. Doch längst nicht genug für ein rentables Geschäft. Von einer Apotheke erhielt Schneidereit eine Woche später den entscheidenden Tipp, dem es letztlich zu verdanken war, dass sein Geschäft überhaupt ins Rollen kam: „Ich konnte einen Pharmagroßhandel als Kunden gewinnen.“ Das war am 1. März 1995. Danach ging es aufwärts.
Heute ist die Würzburger Uniklinik Schneidereits größter Kunde. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht einer seiner Kuriere dort im Einsatz ist. Transportiert werden Blutproben, Medikamente, Röntgenbilder, CT-Bilder und manchmal auch brandeilige Dinge: „Etwa Untersuchungsmaterial, das direkt bei einer Operation entnommen wurde.“
Sehr schnell muss dieses Material zur Auswertung kommen, hängen doch vom Ergebnis Entscheidungen ab, die über Leben und Tod eines Patienten bestimmen können. Schneidereit: „Da geben wir richtig Gas. Hätten wir ein Blaulicht wie die Ambulanzen, würde das leuchten.“
20 Kuriere stehen bei Volker Schneidereits Kurierdienst Velocité derzeit in Lohn und Brot. Zwei Drittel sind Männer, ein Drittel Frauen. Die meisten fahren, wie der Chef vor 20 Jahren, neben ihrem Studium ein bis drei Schichten in der Woche. Entlohnt wurden sie bisher, je nach Anspruch der Fahrt, mit einem Stundensalär zwischen acht und zehn Euro. Zu Jahresbeginn musste Schneidereit umstellen: „Denn auch ich zahle natürlich Mindestlohn.“
Allerdings nicht unbedingt gern, gibt er zu. Durch den Zwang, pauschal auf 8,50 Euro zu erhöhen, fielen jetzt erst mal alle Zulagen weg. Zum Leidwesen jener, die besonders stressige Fahrten übernehmen: „Zum Beispiel um 7 Uhr morgens bei fünf Grad Minus.“ Gerecht ist der Einheitslohn also nicht unbedingt. Deshalb denkt Schneidereit doch wieder über Zulagen nach. Obwohl sich die Personalkosten durch den Mindestlohn insgesamt deutlich erhöht haben.
Sein ursprüngliches Ziel, Lehramtsstudium und Kurierdienst parallel laufen zu lassen, stellte sich als nicht realistisch heraus. Zu herausfordernd war es in den ersten Jahren, den neuen Service in Würzburg zu etablieren. Schneidereit ließ das Studium schleifen. Und gab es irgendwann ganz auf. Als dann nach ein paar Jahren die ersten großen Hürden genommen waren, wagte er einen zweiten Anlauf, um seine Leidenschaft, Wissen zu vermitteln, mit jener des Kurierfahrens zu verbinden: Er begann, Schulmusik für das künstlerische Lehramt an Gymnasien zu studieren.
Das zog er auch bis zum ersten Staatsexamen durch. 2005, als er das erfolgreich abgelegt hatte, begann er, an der Musikhochschule als Lehrbeauftragter für Stimmbildung und Sprecherziehung zu unterrichten. Das macht der sangesfreudige Radler, der neben seinem Studium bei Martin Hummel Gesangsunterricht genommen hatte, heute immer noch: „Sieben Stunden in der Woche.“ Außerdem wirkt er manchmal solistisch bei Opernproduktionen der Musikhochschule mit.
Wenn?s brennt, steigt der Kurierdienstgründer immer noch selbst aufs Rad. Vor allem dann, wenn die meisten Studierenden aus Würzburg weg sind: „Zum Beispiel zwischen Weihnachten und Silvester.“ Doch der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt inzwischen in der Verwaltung. Hier gibt es auch jede Menge zu tun.
Um die zwei Millionen Kilometer, rechnete Schneidereit aus, kamen in den letzten 20 Jahren durch rund 700 000 Aufträge zusammen. „Allein für die Würzburger Universitätsklinik fuhren wir im vergangenen Jahr um die 35 000 Kilometer.“ Mindestens ein Kurier ist ab morgens um 7 Uhr mindestens im Einsatz. Und zwar auch samstags und sonntags. Der Kurierrekord betrug einmal 55 Fahrten innerhalb von fünfeinhalb Stunden. Das war eine sagenhafte Leistung, die absolut an die körperliche Leistungsgrenze ging – erbracht von einer weiblichen Fahrerin.
Bei so vielen Kilometern ist es erstaunlich und ein Glück, dass noch kein schwerer Unfall passiert ist. Schürfwunden, aufgeplatzte Knie und schmerzhafte Verstauchungen des Handgelenks durch Stürze kommen aber natürlich immer wieder vor. Einmal stürzte einer der Männer mit den gelben Taschen so, dass sein Helm gleich an zwei Stellen brach. Das war vor knapp drei Jahren: „Danach habe ich die Helmempfehlung in eine Helmpflicht umgewandelt.“