Alwin und Mellow schieben einen ruhigen Dienst. Hinterm geschmiedeten Tor blinzeln die beiden Haus- und Hofhunde des Casteller Schlosses in die Sonne des Spätnachmittags. Nur ein sachtes Heben der Ohrspitzen signalisiert doch so etwas wie Aufmerksamkeit. Doch weil ihnen der Besucher nicht zu nahe kommt und obendrein brav an der Schnur der Türglocke zieht, lassen sich die beiden nicht aus der Ruhe bringen und dösen weiter vor sich hin.
Das ändert sich erst, als der Schlossherr auftaucht. Ferdinand Erbgraf zu Castell-Castell hat die Vierbeiner im Griff, auch wenn ihm die herrische Attitüde sonst fremd ist. Der 43-Jährige ist Geschäftsmann, das Rationale liegt ihm mehr als das Repräsentative. „Bewohner dieses Schlosses zu sein, lässt sich vom Unternehmersein nicht trennen“, sagt er. Eine Maxime, die die Familie inzwischen über Generationen hinweg begleitet. Weinbau, Forst, Landwirtschaft und natürlich die Castell-Bank – Bayerns ältestes privates Geldinstitut – sind die Säulen, auf denen nicht nur die Existenz der Familie, sondern sinnbildlich auch das Casteller Schloss steht.
Dessen Architektur, obwohl Ende des 17. Jahrhunderts entstanden, passt perfekt zum heutigen Selbstverständnis der Familie: kein zur Schau getragener Pomp, dafür Gediegenheit und – so weit das bei einem Schloss dieser Zeit möglich war – sogar etwas Sachlichkeit. Der Barock des neuen Schlosses – vom alten Haus auf dem Schlossberg zeugt heute nur noch ein Treppenturm – ist von unaufdringlicher Eleganz. Und sogar revolutionär: „Unser Schloss dürfte wohl die älteste Drei-Flügel-Anlage in Franken sein“, sagt Graf Ferdinand, ehe er, nun doch ein wenig mit Stolz in der Stimme, hinzufügt: „Und wir haben wohl auch das erste Mansarddach in Süddeutschland.“
Ehrbare Kaufleute
Von der Pforte bis zum Dachboden – ein Schloss hat viele Zimmer. Welches ist das Schönste? Graf Ferdinand scheint auf diese Frage gewartet zu haben und antwortet mit den Worten seines Vaters, des heute 83-jährigen Fürsten Albrecht zu Castell-Castell. Der habe einmal gesagt, der in den Hang des Berges gebaute Weinkeller sei „die wertvollste Etage des Hauses“. Das wirtschaftliche Fundament und das sorgsam gepflegte Image der ehrbahren Kaufleute – an dieser Kombination mögen die Casteller Grafen bis heute nicht rütteln – wie auch die Vertreter der anderen Linie des Hauses Castell, die Grafen und Fürsten zu Castell-Rüdenhausen.
Deren Schloss liegt zwar nicht einen Steinwurf, aber doch nur einen ausgedehnten Spaziergang weit entfernt. Mit der Casteller Anlage ist das Rüdenhäuser Schloss praktisch in nichts zu vergleichen: Was in Castell das elegante Landhaus am Hang, das ist in Rüdenhausen die fast trutzig wirkende Burg. Noch heute lässt das Alte Schloss den Burggraben erahnen, Symbol der einstigen Wehrhaftigkeit.
Vom Wasserschloss, das es einmal war, ist sonst nicht mehr viel zu sehen. Die hohen Mauern mit dem geschwungenen Dach, die unvermittelt hinterm Gassengewirr des Ortes auftauchen, sind auch heute noch reizvoll genug. Ein Ort für Mittelalter-Romantiker, aber auch ein Ort zum Leben und Wohnen, zumal es das „Neue Schloss“ ja längst nicht mehr gibt. Der Anfang des 19. Jahrhunderts im klassizistischen Stil errichtete Bau, der dem Alten Schloss seitlich gegenüber stand, wurde 1973 abgebrochen, die Erhaltung wäre zu teuer gewesen.
Um Erhaltung und Sanierung geht es auch heute wieder in Rüdenhausen. Dass die Bewohner, Johann Friedrich Fürst zu Castell-Rüdenhausen, Fürstin Maria und die Familie, im Moment nur selten im Schloss anzutreffen sind, hat damit zu tun. Das Fürstenpaar wohnt zurzeit im kleinen Schlösschen auf dem Friedrichsberg bei Abtswind. Derweil haben im Rüdenhäuser Schloss noch bis 2009 Bauarbeiter und Handwerker das Sagen.
Das Schloss, dessen Ursprünge wohl bis in die Zeit um 1500 reichen, hat über die Jahre hinweg viele Umbauten erfahren. Die ältesten Teile sind der Unterbau und die beiden Rundtürme. 1905 erfolgte ein Anbau, der sich unauffällig in das Gesamt-Ensemble einfügt.
Nun soll Schloss Rüdenhausen für das 21. Jahrhundert fit gemacht werden – zum Beispiel mit einem modernen Hackschnitzel-Heizkraftwerk. Steigende Energiekosten machen auch vor fürstlichem Geblüt nicht Halt.
Seit Anfang März wird in Rüdenhausen gewerkelt. Die nötige Baufreiheit hat die fürstliche Familie mit einer radikalen Lösung geschaffen: Das ganze Schloss ist praktisch leer. „Bis auf ein paar ganz schwere Schränke“, sagt Fürst Johann-Friedrich, „die hätte niemand die enge Wendeltreppe hinuntergebracht“. Zwei Wochen lang war ein vierköpfiges Umzugsteam zugange; eingelagert wurde der fürstliche Haushalt in einer Lagerhalle.
Auch nach dem Umbau wird es auf Schloss Rüdenhausen eher rustikal als mondän zugehen – wie schon in den Jahrhunderten zuvor. Dafür sorgt schon die Architektur des Schlosses mit seinen eher kleinen Räumen. „Wenn man die Gästezimmer abzieht, leben wir auch nicht in mehr Räumen als andere Leute“, sagt Fürstin Maria.
In den Schlagzeilen ist Rüdenhausen immer mal wieder. Nicht zuletzt weil der heutige Chef des Hauses Hohenzollern, Georg Friedrich Prinz von Preußen (32), hier seine Wurzeln hat. Seine Mutter ist Donata Gräfin zu Castell-Rüdenhausen. Sein Vater, Louis Ferdinand jun. von Preußen, starb 1977 bei einem Unfall.
Nicht für Touristen geöffnet
Bei den beiden Linien Castell-Castell und Castell-Rüdenhausen setzt man für gewöhnlich jedoch eher auf Zurückhaltung. So sind auch die beiden Schlösser als Privatwohnsitze nicht für Touristen geöffnet. Letztere kommen dennoch auf ihre Kosten, ebenso wie die Einheimischen. Der untere Teil des Casteller Schlossparks ist ständig für Besucher zugänglich, außerdem finden im Park regelmäßig öffentliche Veranstaltungen statt. Auch in Rüdenhausen kann die Öffentlichkeit wenigstens einmal im Jahr den Fuß in den Schlosspark setzen. Ende August, zur Rüdenhäuser Kirchweih, ist der Park gleich über mehrere Tage hinweg Schauplatz von Veranstaltungen, vom Schlosstanz bis hin zum Schießen der Bürgerwehr.
Um aufgesetzte „Leutseligkeit“ geht es weder in Castell noch in Rüdenhausen. Graf Ferdinand zu Castell-Castell sieht's pragmatisch: „Unser Weinfest im Schlosspark ist eine schöne Sache, aber nicht nur reines Vergnügen. Es ist Teil unserer unternehmerischen Tätigkeit.“ Frankens Adel im 21. Jahrhundert: Tradition ist wichtig, aber eben nicht alles.