
Die SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth liegt oberhalb von Rieneck bei Gemünden am Main (Lkr. Main-Spessart). Sie entstand im Jahr 1978 aus einem ehemaligen Hofgut. Heute leben dort in 20 Wohnhäusern 160 Menschen mit geistiger Behinderung. In der Dorfgemeinschaft werden Milchkühe und Milchschafe nach biologisch-dynamischen Richtlinien gehalten, Brot in der eigenen Bäckerei gebacken und Milch in der dorfeigenen Molkerei verarbeitet. Auch der Kräutergarten ist ein Lebens- und Arbeitsbereich, angeleitet von Kräuterhexe Marika Konrad.
Acht bis zwölf Bewohner kommen täglich und helfen Marika Konrad, den Garten in Schuss zu halten. Sie ernten Minze, trocknen Ringelblumen für Tees und Salben, sie jäten Unkraut oder vermehren Setzlinge. Die 33-jährige Karolin lebt schon seit 15 Jahren in der Dorfgemeinschaft Hohenroth und in der Wildkräuter-Werkstatt arbeitet sie am liebsten.
„Karolin schneidet gerne aus und fertigt so die Anhänger für Essig- und Ölfläschchen“, sagt Marika Konrad. Die Anhänger sind aus Filz. Karolin sitzt konzentriert am Tisch. Vor ihr liegt ein großes Stück roter Filz, auf dem sie sich mit einem schwarzen Stift Kreise vorgezeichnet hat. Später werden das kleine Himbeeren, die die Flaschen des Himbeeressigs zieren.
„Die Grundlage all unserer Essigsorten ist echter Bio-Weißwein- oder Obstessig“, sagt Konrad. Sie überlegt sich immer neue Kreationen wie Zitronenverbenen-Chili-Essig oder Ingwer-Estragon-Orangen-Essig. Die Bewohner sollen Spaß haben am Kräutergarten und an allen Produkten, die daraus entstehen. Und Spaß scheinen sie wirklich zu haben. Die 24-jährige Sarah hilft gerne beim Seifen machen. Auch hier werden nur natürliche Substanzen und keinerlei chemische Farb- und Konservierungsstoffe eingesetzt. „Die Seifen bestehen aus pflanzlichen Ölen, Milch, Lanolin, Mineralerde, Kräutern und Blüten.“ Gefärbt werden sie mit echtem Kakao oder Spinat.
Die Rohstoffe für all die duftenden Produkte liefert der eigene Kräutergarten, der direkt hinter der Werkstatt liegt und besichtigt werden kann. Immer am ersten Sonntag im Mai werden dort Kräuter- und Pflanzenraritäten zum Verkauf angeboten, wie kuschelige Pfefferminzgeranien oder Erdbeerminze, eine Vielzahl an Tomatenpflanzen, Pilzkraut, afrikanischer gelber Salbei oder Waldmeister. Marika Konrad liebt diese Vielfalt. Sie entdeckt immer wieder auf Messen oder im Internet seltene Kräuter.
Vor allem für seine Vielfalt an Minzen ist der Kräutergarten Hohenroth bekannt: 15 verschiedene Pfefferminzarten – von Ananasminze bis hin zu After-Eight-Minze oder Slowenische Bergminze kann man derzeit dort kaufen. „Die meisten Minzen lieben feuchten Boden und sind auch mit Halbschatten zufrieden“, sagt die Kräuterfrau. Ein ungewöhnliches Kraut ist die sogenannte Katzenminze. „Man kann die Blätter trocknen und in einem Säckchen der Katze ins Körbchen legen. Das beruhigt die Tiere.“ Die meisten Mentha-Arten lassen sich einfach durch Stecklinge vermehren. Dafür werden kräftige Triebe fingerlang abgeschnitten und in feuchte Erde zur Bewurzelung gesteckt. Oder der Trieb wird zunächst im Wasserglas anwurzeln gelassen und später in gut befeuchtete Erde gepflanzt.
Marika Konrad schwört auch auf Pilzkraut, das eigentlich aus Papua-Neuguinea stammt. „Ernten Sie knackige, dicke, sukkulente, glänzende Blätter mit einem delikaten, zarten Pilzaroma. Das schmeckt toll in Sahnesoße und ist sehr nährstoffreich“, schwärmt sie. Das Pilzaroma wird bei kurzem Mitgaren verstärkt, sodass es sinnvoll ist, es erst am Ende des Kochvorganges mitziehen zu lassen. Frische Blätter sind lecker in Salaten und auf Sandwiches. „Die Pflanzen können das ganze Jahr über wie eine Art Spinat oder, um Speisen ein zartes Pilzaroma zu verleihen, geerntet werden.“
In den Frühbeetkästen treffen weiße Akelei und roter Sonnenhut aufeinander, genau wie Lavendel, Gewürztagetes und Kronenlichtnelken. „Wir haben auch viele Pflanzen, die Bienen lieben und genau deshalb von Gartenliebhabern gekauft werden.“ Im Gewächshaus jäten drei Männer Unkraut. Sie haben es sich auf Hockern gemütlich gemacht, damit die Arbeit nicht zu anstrengend wird.
„Den Bewohnern wird echte Arbeit angeboten, allerdings ohne Produktions- oder Zeitdruck“, sagt Konrad. Unterhalb der Häuser gelangt man in einen weiteren Kräutergarten, der ebenfalls von der Gruppe gepflegt wird und jederzeit besichtigt werden kann. Dort stehen einfache Stauden wie aus Omas Bauerngarten zum Beispiel essbare Eintagslilien neben Alant und Waldmeister.
Auch die Süßdolde hat sich hier ausgebreitet: „Wenn die Pflanzen hier wachsen wollen, dann sollen sie das tun“, kommentiert Konrad die wild wuchernde Pflanzenart aus der Familie der Doldenblütler. Die Süßdolde ist im Geschmack dem Kerbel sehr ähnlich. „Die Samen haben einen feinen Lakritzgeschmack und sind daher auch bei Kindern sehr beliebt.“ In einer eigenen Saatgutwerk-statt wird Saatgut von etwa 70 verschiedenen Pflanzenarten gewonnen. Die Pflanzen werden herangezogen, es werden Auslesen gemacht, die Samen geerntet, gereinigt auf ihre Keimfähigkeit geprüft und abgetütet. „Die Saatguttüten werden von Hand bemalt und beschriftet.“
Sarah hat sich nach der Anstrengung beim Pfefferminzblätter pflücken nun eine Pause verdient: Sie legt sich für ein Viertelstündchen in die Wiese. Auch das ist bei der Arbeit in der Dorfgemeinschaft erlaubt.
Kräutergarten Hohenroth
Kontakt: SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth, Hohenroth 4, 97737 Gemünden;
Tel. (0 93 54) 90 99-0
Der Kräutergarten ist öffentlich zugänglich und kann besichtigt werden. Das Hohenrother Café und der Naturkostladen sind auch am Wochenende geöffnet. Die idyllische Lage der Dorfgemeinschaft lädt zum Spazieren und Wandern. Öffnungszeiten Café: Mittwoch bis Freitag von 9 bis 17.30 Uhr, Samstag von 10 bis 17.30 Uhr, Sonntag von 13 bis 17.30 Uhr. Buchtipp: Johannes Gutmann, Leben und genießen mit Kräutern und Gewürzen, 2011, Ulmer Verlag.
ONLINE-TIPP
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