Der Alptraum jedes Hundebesitzers: Ein Reh am Waldrand, der Hund wirft sich in die Leine, der Karabiner bricht, der Hund ist weg und kommt nicht wieder. Mit Bella ist das am Neujahrstag so passiert. Bis heute ist sie nicht wieder aufgetaucht.
Bella ist eine hübsche, freundliche Mischlingshündin mit cremefarbenem, halblangem Fell, weißen Pfoten und einem weißen Streifen um die Nase. Als sie verschwand, trug sie ein rotes Geschirr. Sie ist etwa so groß wie ein Labrador. Und sie ist eine Gochsheimer Neubürgerin: Sie war ein bosnischer Straßenhund, landete in einer öffentlichen Auffangstation und hatte dann das Glück, über den deutschen Verein Stray Dogs Bosnien nach Gochsheim vermittelt zu werden. Seit 15. November lebt sie dort bei Christine Wenker. Die war am 1. Januar um 13.15 Uhr mit Bella nördlich des Ortes in der Nähe der Autobahn spazieren, als sich oben beschriebene Szene abspielte. „Das war das erste Reh ihres Lebens“, sagt Christine Wenker, „der Reiz war einfach zu groß.“
Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Bella das Reh nicht annähernd erwischt. Zurückgekommen ist sie nach Abbruch der Verfolgungsjagd allerdings nicht. Christine Wenker hat die Gegend bis Einbruch der Dunkelheit abgesucht und ist dann später nochmal mit Helfern wiedergekommen – „bis 4 Uhr morgens waren wir dort“. Sie hat außerdem sofort die Polizei verständigt, inzwischen sind auch Jäger, Tierheime, Tierarztpraxen und Tierkliniken informiert.
Seither finden sich täglich Suchtrupps zusammen, die das Gebiet bis zum Main durchstreifen. Am 4. Januar kam sogar Suchhund Schnösel zum Einsatz. Schnösel ist ein auf Pet Trailing spezialisierter Bloodhound – er sucht und findet entlaufende Haustiere. Sein Herrchen Thomas Weißkirchen ist Hundeerzieher und Verhaltensberater und betreibt am Rande des Westerwalds eine Hundepension. Auf seiner Homepage www.hundentlaufen.de beschreibt er Schnösels Arbeitsweise so: „Simpel ausgedrückt, verliert jedes warmblütige Lebewesen ständig Hautschuppen. Diese Hautschuppen werden von Bodenbakterien zersetzt und bilden eine Art Geruchswolke, die über längere Zeit wie ein Faden hinter uns hergezogen wird. Diese Spur ist bei jedem Warmblüter einzigartig und kann von speziell auf diese Arbeit ausgebildeten Hunden wahrgenommen werden.“
Schnösel also machte sich auf die Suche, fand auch eine deutliche Spur genau an der Stelle, an der Bella abgehauen war. Die Spur führte durch die Wälder weiter weg von Gochsheim, wendete dann und kam wieder zurück. „Bella war anscheinend auf dem Heimweg“, vermutet Sonja Häcker. Sonja Häcker ist Schriftführerin bei Stray Dogs Bosnien. Sie lebt bei Ulm, ist aber mehrfach angereist, um bei der Suche mitzuhelfen. Sie war auch bei der Gruppe dabei, die in einem Gebüsch einen toten Hund fand, den jemand in einer Plastiktüte weggeworfen hatte (wir berichteten).
Nach verheißungsvollem Start riss die Spur plötzlich ab, Schnösel konnte nichts mehr ausrichten. Die Stelle ist eine Art Parkplatz zwischen einer Fußgängerpassage unter der A 70 und einem eingezäunten Gelände. Hier stellen die Leute ihre Autos ab, wenn sie in der Gegend mit ihren Hunden spazierengehen. „Sonst kommt niemand hierher“, sagt Christine Wenker.
Sonja Häcker hat für das jähe Ende der Spur nur eine Erklärung: „Jemand muss Bella mitgenommen haben. Wenn sie noch in der Gegend wäre – lebend oder tot –, hätte Schnösel sie gefunden.“ Unwahrscheinlich wäre das nicht. Christine Wenker beschreibt das Tier als vertrauensselig und aufgeschlossen: „Ein richtiger Seelenhund. Bella geht auf Menschen und Tiere zu und verträgt sich mit allen – auch mit unserer Katze. Das war vorher nicht klar gewesen.“
Der Verein Stray Dogs hilft Hunden in Bosnien, „die keiner haben möchte, die gequält, misshandelt und getötet werden“, heißt es auf der Homepage. 2013 hat er in Banja Luka einen privaten Shelter – eine Auffangstation für Straßenhunde – eröffnet. Er engagiert sich auch stark in der Sache Bella: Stray Dogs hat Flyer gedruckt und 500 Euro für den ausgesetzt, der den Hund lebendig zurückbringt. Und er hat die unterschiedlichsten Online-Plattformen mit Suchmeldungen bestückt, von Facebook über ebay, www.deine-tierwelt.de bis hin zu openPR. Christine Wenker ist beeindruckt: „Ich hatte vorher noch nie mit dem Verein zu tun, aber die kümmern sich um jedes Tier. Da geht es nicht nur kurzfristig um die Vermittlung.“
Die Resonanz nicht nur im Netz ist groß. Viele Facebook-Mitglieder teilen die Suchmeldung ihrerseits. Immer wieder gehen Hinweise ein von Menschen, die glauben, Bella gesehen zu haben. Am wahrscheinlichsten kommt den Hundefreunden eine Meldung aus der Stadt vor: Ein etwa zehnjähriges Mädchen habe den Hund während des Einkaufs vor einer Bäckerei angebunden. Der Tippgeber habe sogar Merkmale der Fellzeichnung beschreiben können, die nicht öffentlich bekannt gegeben worden seien, so Sonja Häcker.
Ob ein Hund die gesuchte Bella ist oder nicht, lässt sich eindeutig feststellen: Bella ist gechippt. Das heißt, sie trägt einen Chip unter der Haut, dessen Kennung beim Verein Tasso registriert ist. Seit 32 Jahren widmet sich Tasso der Registrierung und Rückvermittlung entlaufener Tiere. Jedes Jahr laufen in Deutschland rund 300 000 Hunde und Katzen weg, so der Verein im Internet. Ohne Kennzeichnung und Registrierung seien diese Tiere kaum an ihre Besitzer zurück zu vermitteln. Nach eigenen Angaben vermittelt Tasso mittlerweile alle zehn Minuten ein entlaufenes Tier zurück.
Christine Wenker hofft inständig, dass eines dieser Tiere bald ihre Bella ist. Sie selbst kann sich mit der Sucherei einigermaßen von den Sorgen ablenken. Aber ihren vierjährigen Sohn trifft es sehr hart, dass sie weg ist. „Er war lange krank, und da hat Bella auf ihn aufgepasst.“
Wer einen Hund findet oder aufgenommen hat, der Bella sein könnte, kann sich unter der Notrufnummer von Tasso melden: Tel. (0 61 90) 93 73 00.