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WALDBRUNN
Wo das Einsam im Gemeinsam verschwindet
Treffpunkt: Im Waldbrunner Mehrgenerationenhaus werden Nachbarn jeden Alters Freunde.
Foto: Thomas obermeier | Treffpunkt: Im Waldbrunner Mehrgenerationenhaus werden Nachbarn jeden Alters Freunde.
Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:05 Uhr

Mehrgenerationenhäuser (MGH) sind in aller Regel keine Wohnhäuser, sondern Treffpunkte für Jung und Alt. Kompetenzzentren für Fragen des demografischen Wandels und bürgerschaftlichen Engagements. Um sie nachhaltig zu sichern, ist neben dem andauernden Bürgerengagement vor allem eines nötig: Geld. Und was das betrifft, hängen zahlreiche MGH womöglich schon bald in der Luft.

Etwa 460 MGH gibt es in Deutschland, rund 100 in Bayern, unter anderem in Würzburg, Waldbrunn, Arnstein-Binsfeld, Kitzingen, Bad Kissingen, Üchtelhausen, Haßfurt und Miltenberg. Durch das „Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser II“ fördert das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nach eigenen Angaben bundesweit 453, im Freistaat Bayern 82 Einrichtungen. 30 000 Euro gibt es pro Haus und Jahr. Hinzu kommt eine kommunale Kofinanzierung in Höhe von 10 000 Euro. Das Programm läuft jedoch Ende 2014 aus.

Wie geht es dann weiter? „Die Bundesregierung überlegt derzeit, ob sie eine weitere Förderung von MGH im Rahmen ihrer Demografiestrategie darstellen kann“, antwortet Maximilian Griebl, Sprecher des Sozialministeriums in München. Bayern würde das sehr begrüßen, der Bund sei „weiter in der Pflicht“.

In Berlin klingt das anders. Zur weiteren Förderung nach 2014 können keine Aussagen getroffen werden, schreibt Claus Junghanns vom Presse- und Informationsstab des Familienministeriums. Grundsätzlich sei eine dauerhafte Förderung des Bundes für Projekte auf lokaler Ebene, wie es die MGH sind, nicht möglich.

Das hört man in der 2600-Seelen-Gemeinde Waldbrunn (Lkr. Würzburg) nicht gerne. Das MGH dort ist drin im Aktionsprogramm und wird gefördert. Vor zwei Jahren ließ die Gemeinde Wohncontainer neben das Rathaus stellen, weil sich kein anderes, zentral gelegenes Quartier fand. Die Container-Optik wird noch kritisiert, die Arbeit im MGH nicht. „Das Haus gibt viele Impulse für das Gemeindeleben“, sagt Bürgermeister Hans Fiederling (UBG). „Es ist sehr wichtig und muss bleiben.“

Neun Senioren, die montags regelmäßig zum Mittagessen ins Waldbrunner MGH kommen, unterstreichen die Aussage. Am Anfang sind ihre Mienen erwartungsvoll freudig, später zufrieden, ja glücklich und dankbar. Das liegt nur zum Teil am leckeren Drei-Gänge-Menü, das Maria Hidekuti und ihr Team zubereitet haben. Auch die Geselligkeit ist wichtig. Wer gekommen ist, isst nicht alleine, man unterhält sich und bleibt noch eine Weile beisammen. Das ist etwas Besonderes. Deswegen sind viele Besucher gut gekleidet gekommen, erläutert Patricia Nennstiel-Tischler.

Bei der Sozialpädagogin laufen alle Fäden zusammen im MGH. Ihre Stelle als Koordinatorin wird aus den Mitteln vom Familienministerium finanziert. Der Verein WABE (Waldbrunner Bürgerengagement) unter Vorsitz ihres Mannes Peter Tischler betreibt das MGH. Träger der Einrichtung ist die Gemeinde. Der Verein arbeitet „komplett“ ehrenamtlich, betont Peter Tischler, dank der mehr als 60 Freiwilligen konnte das Programm ständig weiterentwickelt werden. Die WABE-Mitarbeiter bewirtschaften den Garten neben dem MGH, in dem vieles wächst, was an den Montagen auf die Teller kommt. Sie sind als Küchenhelfer, Kursleiter, Handwerker oder Kuchenbäckerinnen im MGH aktiv, sie organisieren auch die Nachbarschaftshilfe im Dorf.

So ist schon vieles in Bewegung gekommen. Beim Tanzkurs im MGH liegen sich Jung und Alt in den Armen, beim Börsenstammtisch machen Erfahrungen und Empfehlungen zu Wertpapieren die Runde. Man spielt Boules, lernt mit Hingabe Englisch oder „ackert“ sich beim Gedächtnistraining gemeinsam durchs weite Feld der Erinnerung. Am Freitagvormittag ist die Krabbelgruppe im MGH und am Freitagabend wird genäht und gebastelt. Und ganz neu im MGH-Programm ist der Kurs für Alltagsbegleiter. Die sollen später im Westen des Landkreises Würzburg Demenzkranke betreuen helfen und deren Familien unterstützen.

Die Kurse laufen gut. 3700 MGH-Besucher haben die WABE-Verantwortlichen 2012 gezählt, 800 Jugendliche mögen es bei der Pool-Party gewesen sein, die am Ortsrand ebenfalls unter Mitarbeit des Vereins organisiert wurde.

Nur in einem, allerdings wichtigen Punkt sind MGH-Koordinatorin Patricia Nennstiel-Tischler und WABE-Vorsitzender Peter Tischler nicht zufrieden: Der Offene Treff, der in Info-Broschüren der zuständigen Ministerien von Bund und Ländern als Kernelement und Erfolgsfaktor von MGH gewertet wird, ist oft schwach besucht. Vielleicht ist das einfach noch zu neu, spekuliert Tischler, vielleicht befürchten einige das Gerede, wer ins MGH gehe, habe sonst nichts zu tun.

Der Bürgermeister bleibt da ganz gelassen. „Solche Sachen“ brauchen Zeit, sagt Hans Fiederling und wird ein wenig philosophisch. „Wir legen viele kleine Samenkörner. Wir müssen das wachsen lassen.“

Für die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) sind die MGH „eine Erfolgsstory“. In einer Pressemitteilung vom März lobt sie die ehrenamtlichen Helfer in den MGH und die Politik in Berlin und München. Dank „umfassender Förderung“ gebe es in nahezu jedem Landkreis und fast jeder kreisfreien Stadt Bayerns ein MGH. Als Beleg für die „umfassende Förderung“ führt sie ins Feld, dass der Freistaat 51 finanzschwachen Kommunen mit 5000 Euro pro Jahr fürs MGH unter die Arme greife. Der sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag nennt das Heuchelei. Der Freistaat müsse mehr Geld für die MHG ausgeben, schreibt Pfaffmann, viele Träger seien in finanziellen Schwierigkeiten. Ministeriumssprecher Griebl kontert, die Förderung finanzschwacher Kommunen mit Landesmitteln sei „bundesweit einmalig“.

Geht das Kompetenzgerangel weiter, wird es finanziell eng werden für das eine oder andere der bestehenden MGH. Es sei denn, die Kommune springt ein. Waldbrunns Bürgermeister Hans Fiederling kann der Entscheidung des Gemeinderats nicht vorgreifen, aber eine Meinung hat er natürlich. In der Gemeinde hat ein Prozess begonnen, sagt er, der fortgesetzt werden muss. „In den vergangenen Jahren wurden etliche Sozialfälle gelöst, bei denen ich echt nicht gewusst hätte, wie ich ohne Mehrgenerationenhaus damit hätte umgehen sollen.“

 
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