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"Wir sind keine Helden"
Das Gespräche führte Achim Muth
 |  aktualisiert: 16.12.2020 14:29 Uhr
Zum Pressetermin im Cineworld im Dettelbacher Mainfrankenpark kommt Horst Eckel gut gelaunt, und wie fit er noch immer ist, beweist er mit einem Ball, den er ein paar Mal mit dem Fuß in der Luft hält. "Dem Fußball", sagt der 71-Jährige, "werde ich immer verbunden bleiben". 1954 gehörte Horst Eckel jener Mannschaft an, die im Finale im Berner Wankdorf-Stadion fast sensationell die favorisierten Ungarn mit 3:2 besiegte. Mit 22 Jahren war er damals der jüngste Spieler im Team. Ebenso wie sein Mentor Fritz Walter spielte Eckel für den 1. FC Kaiserslautern, für den er 214 Spiele (64 Tore) absolvierte. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere arbeitete der gebürtige Vogelbacher als Repräsentant der Sepp-Herberger-Stiftung, die sich der Resozialisierung jugendlicher Straftäter verschrieben hatte. Für den Kinofilm "Das Wunder von Bern" wirkte Horst Eckel als Berater von Regisseur Sönke Wortmann mit. Im Interview spricht der rüstige Rentner über seine Erinnerungen an die 50-er Jahre und den Fußball von heute.

Frage: Herr Eckel, welche Szene aus dem Film "Das Wunder von Bern" ist Ihnen besonders nah gegangen?

Horst Eckel: Das war, als die Jungs hinter den Häusern auf einer Wiese kicken. Das hat mich sehr an damals erinnert, wir hatten ja als Kinder auch nur Bälle, die wir aus Lumpen zusammengebunden haben.

Da haben es die Kinder heute einfacher, die können mit High-Tech-Kunstlederbällen spielen. Wären Sie lieber in der heutigen Zeit ein Fußball-Star?

Eckel: Nein, nein, nie! Wir haben doch die viel schönere Zeit gehabt. Die können heute noch so viel Geld verdienen, den Spaß, den wir hatten, den können die nicht haben. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir würden das Geld natürlich auch nehmen. Wenn sich ein Verein solche Beträge leisten kann, warum nicht. Ich bin nur gegen die extrem hohen Gehälter. Fünf, sechs Millionen Euro im Jahr, das steht in keiner Relation. Da kann die Leistung noch so gut sein.

Blutet Ihnen da nicht das Herz, wenn Sie sehen, wie über Jahre bei Ihrem Ex-Verein in Kaiserslautern gewirtschaftet wurde?

Eckel: Selbstverständlich. Das war ein Schock für uns alle. Gott sei dank kam Präsident Rene Jäggi, jetzt geht es wieder aufwärts.

Verfolgen Sie den heutigen Fußball noch?

Eckel: Natürlich bin ich dem Fußball noch verbunden und werde es immer bleiben. Ich gehe regelmäßig ins Fritz-Walter-Stadion und schaue mir auf Premiere auch die Ligen in Italien, Spanien und England an. Meine Frau schimpft zwar manchmal, aber . . .

Wer ist für Sie derzeit der beste Fußballer?

Eckel: Eindeutig Zinedine Zidane, der Franzose.

Zurück zum Film. Hatten Sie Bedenken, dass der Stoff filmisch umgesetzt werden kann?

Eckel: Ja, ich hatte schon meine Zweifel. Aber Sönke Wortmann hat ja keinen Fußball-Film gemacht, sondern eine Familien-Geschichte in die WM 1954 eingebunden, und das ist ihm hervorragend gelungen.

Durch das Kino haben Sie neue Popularität . . .

Eckel: Naja, es war nie ruhig um uns. Gut, die Medien haben weniger berichtet, aber die Menschen auf der Straße, die haben mich immer erkannt.

Sie waren bei der Realisation des Films auch Berater. Sind bei der Arbeit Erinnerungen hochgekommen, die Sie zeitweise verdrängt hatten?

Eckel: Nein, ich hatte und habe jede einzelne Szene parat, ich kann Ihnen jede Spielsituation genau schildern. Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen.

Der Film lockt auch viele junge Fußball-Fans ins Kino, die 1954 noch gar nicht geboren waren. Hatten Sie Bedenken, wie die Jugend den Film aufnimmt?

Eckel: Ich wusste in der Tat nicht, ob man damit die Jugend überzeugen kann. Aber überall, ich bin ja jetzt schon seit zwei Wochen unterwegs, kommen die Jungen auf mich zu und reagieren sehr positiv. Das hat mich schon überrascht. Sogar in der Schweiz, ich war am Dienstag zusammen mit Wortmann in Bern, gab es Applaus.

Kam da nicht ein bisschen Wehmut auf, schließlich wurde das Wankdorf-Stadion unlängst in die Luft gesprengt, es musste für eine neue Arena weichen?

Eckel: Ja, da ist schon ein bisschen Wehmut dabei. Das war ja für mich wie ein Denkmal. Nach dem WM-Sieg 1954 bin ich noch dreimal dort gewesen, es war immer irgendwie erhebend.

Im Film gibt es viele Anekdoten, etwa die um das legendäre Fritz-Walter-Wetter, also Regen. Heute können Sie es doch verraten, war das Wetter nicht vollkommen egal?

Eckel: Nein, wir haben in der Tat immer gewusst: wenn es regnet, dann zeigt der Fritz seine beste Leistung. Wenn es sehr warm war, dann hatte er Probleme, ich glaube das lag daran, weil er sich im Krieg mit Malaria infiziert hatte. Also haben wir schon nach oben geschaut, ob da nicht ein paar Wolken kommen.

Aber das 3:8 gegen die Ungarn im ersten Spiel, das war doch wohl nicht geplant . . .

Eckel: Das Ergebnis sicher nicht, aber Sepp Herberger hatte uns schon während der Vorbereitung in München gesagt, dass er da nicht mit der kompletten ersten Mannschaft auflaufen wird. Warum sollten wir das auch tun? Es war klar, dass wir gegen die Türken gewinnen mussten, und das haben wir getan.

Stört es Sie, wenn Sie als lebende Legende bezeichnet werden?

Eckel: Nein, aber ich habe Probleme mit dem Wort Helden, das höre ich nicht gerne. Wir waren keine Helden, sondern normale Fußballspieler, die normale Menschen geblieben sind.

Ist Ihnen der Begriff Held zu martialisch?

Eckel: Vielleicht, ja. Wir waren geprägt von einer schlimmen Zeit. Es war ein Wunder, ja, aber Helden sind wir nicht.

Sind Sie ein gläubiger Mensch?

Eckel: Ja, weil ich glaube, dass Gott dazugehört. Jeden Morgen, wenn ich aufstehe, sage ich: 'Danke'.

Wie hat Ihrer Frau der Film gefallen?

Eckel: Sie war ganz begeistert. Sie war sowieso ein Glücksfall für mich, ich kannte sie praktisch ja schon aus dem Sandkasten. Obwohl sie keine Ahnung von Fußball hatte, stand sie immer fest hinter mir und ohne sie hätte ich diese Erfolge nie erreicht.

Was war das für ein Gefühl, als im August Helmut Rahn, einer der herausragenden Spieler der WM-Elf, starb?

Eckel: Es ist immer bitter und eine große Enttäuschung, wenn man hört, dass wieder ein Kamerad von uns gegangen ist. Schließlich waren wir mehr als elf Fußballer, wir waren zusammengewachsen. Von den 22 aus dem WM-Kader leben ja nur noch sieben und mit Ottmar Walter, Hans Schäfer und mir nur noch drei, die im Finale gespielt haben.

Hat Sie der Erfolg damals verändert?

Eckel: Nein, mein Leben hat sich nicht groß verändert. Ich hatte mir schon immer gesagt: 'wenn Du einmal im Leben Erfolg hast, dann bleib mit den Füßen auf dem Boden.' Das ist mir gut gelungen.

Der WM-Sieg 1954 wird oft als Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet . . .

Eckel: Was vielleicht etwas zu hoch gegriffen ist. Ich würde so sagen: 'Deutschland war am Boden zerstört, und unser Erfolg war da ein kleiner Lichtblick'.

Wie beurteilen Sie die Nationalmannschaft heute?

Eckel: Das Problem ist, dass die Jugend in der Bundesliga zu wenig Chancen bekommt. Dass es geht, zeigt das Beispiel Stuttgart. Der Lahm beispielsweise ist ein wirklich Guter. Wir dürfen auch nicht den Fehler machen und sagen, 'wir sind Vize-Weltmeister'. Das sind wir nur mit sehr viel Glück und einem überragenden Oliver Kahn geworden. Man darf die Probleme nicht unter den Tisch kehren.

Dennoch freuen Sie sich auf die WM 2006 in Deutschland?

Eckel: Natürlich, ich bin ja als WM-Botschafter für Kaiserslautern mit in die Vorbereitung eingebunden.

 
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