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Winterwandern bei Rübezahl
Auf Schneeschuhen durchs Riesengebirge: Die Region rund um die Schneekoppe lockt Wintersportler mit grandioser Natur und deutsch-polnischer Kulturgeschichte.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 26.04.2023 22:58 Uhr

Was groß und menschenfremd in dir,

du Weltgebirge, lob’ ich mir:

Den Sturm, der deine Nacht durchbraust,

darin der Umwelt Dämon haust.

Dem bleibst Du fremd, der recht dich kennt.

Urmythos ist dein Element.

Du schweigst gewaltig, wenn du sprichst

Und rasend deine Forsten brichst.

Du duldest uns im Winterschnee,

doch deine Gnaden tuen weh.

Nun aber, weichlich sind wir nicht:

Wir lachen Dir ins Angesicht!

Gerhart Hauptmann (1862 - 1946) hat die Stimmung an diesem Wintervormittag gut getroffen. Dabei war Schneeschuhwandern vor hundert Jahren, als der Nobelpreisträger seiner Heimat, dem Riesengebirge, in einem Gedicht huldigte, noch kein Thema. Heute schon. Über Nacht hat es 15 Zentimeter Neuschnee gegeben. Gerade noch rechtzeitig, damit es sich lohnt, die ovalförmigen „Teller“ anzuschnallen. Ein Sportgerät, das es erlaubt, auch abseits planierter Winterwege die Schneelandschaft zu genießen.

Wobei es den Genuss nicht ohne Anstrengung gibt. Drei Stunden sind wir unterwegs, um von Szklarska Poreba (Schreiberhau) aus die Fichten- und Tannenwälder zu durchstreifen. Sieben Kilometer Strecke. 500 Höhenmeter querfeldein. Als wir den Wald verlassen, wird es ungemütlich im Gestöber. Eisiger Wind bläst Schneekristalle direkt ins Gesicht. Der weite Ausblick von der Hochalm (1160 Meter) ins Tal von Jelenia Gora (Hirschberg) sollte eigentlich die Belohnung für die Mühen sein. Doch hier oben ist nichts als Nebel. Gut, dass Bergführerin Patrycja Osciak sich auskennt. Nur noch wenige Schritte sind es in die Schronisko Pod Labskim Szczytem, die Alte Schlesische Baude, eine der urigen Berghütten, die der Riesengebirgsverein Ende des 19. Jahrhunderts errichtet hat, als sich in der Region der Tourismus etablierte.

Zehn Bauden mit bis zu 150 Übernachtungsplätzen erschließen das Riesengebirge (Korkonosze) Wanderern, Kletterern und Wintersportlern. Bigos, den polnischen Kraut-Eintopf, oder die Rote-Beete-Suppe Barszcz, die haben wir uns verdient. Und während sich die Nimmermüden aufmachen, auch noch die Elbquelle (1346 Meter), die auf der tschechischen Seite des Gebirgskamms liegt, im Nebel zu erkunden, stärken wir uns lieber bei schlesischem Mohnkuchen und einem warmen, mit Nelken oder Ingwer gewürzten Bier für den Rückweg durch den Schnee. Ein gewöhnungsbedürftiges Traditionsgetränk. Doch es hilft. Müde, aber sehr zufrieden, sinken wir am Abend ins Bett.

Und träumen von Rübezahl, dem Berggeist, der seit dem 17. Jahrhundert Symbolfigur des Riesengebirges ist. In Sagen und Märchen wird er meist dargestellt als geheimnisumwitterter, angsteinflößender Dämon. Die Touristiker im heutigen Polen vermarkten ihn lieber als fürsorglichen Wächter über alle Bergwanderer. „Du musst ein guter Mensch sein, dann kannst du Rübezahl sehen“, verheißt die Fremdenverkehrswerbung.

Pragmatisch leben die Polen mit der deutschen Vergangenheit der Region. Dort, wo das Riesengebirge heute Polen und Tschechien trennt, verlief einst die Grenze zwischen dem preußischen und dem Habsburger Reich. „Wir profitieren von dieser Geschichte“, weiß Anna Konieczynska, die Landrätin von Jelenia Gora. 70 Prozent der ausländischen Gäste sind Deutsche. Waren es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs vor allem Menschen mit familiären Wurzeln in Schlesien, die kamen, sind heute längst auch andere neugierig auf eine Mittelgebirgsregion, in der es grandiose Natur und jede Menge Kultur zu entdecken gibt. Für Wintersportler ist ausreichend Infrastruktur vorhanden. Nicht zu vergleichen mit den Alpen, aber mit den Angeboten der deutschen Mittelgebirge kann das relativ schneesichere Riesengebirge gut mithalten. Zumal das Preisniveau bestimmt ein Drittel unter dem vergleichbarer Regionen im Westen liegt.

Für umgerechnet nicht mal 50 Euro die Nacht in einem echten Schloss zu verbringen, das Hirschberger Tal macht’s gleich mehrfach möglich. 30 Schlösser, darunter allein neun Schlosshotels im Umkreis von 15, 20 Kilometern, das gibt’s nur hier. Sie künden von goldenen Zeiten im 19. Jahrhundert, als Niederschlesien „In-Place“ der High Society war. Egal, ob Unternehmer, die durch die Leinenproduktion oder den Handel reich geworden sind, oder preußische Adelige, die ihren Söhnen und Töchtern etwas Gutes tun wollten, sie alle haben damals stattliche Herrenhäuser in die Gegend gesetzt. Etwa in Staniszow (Stonsdorf), wo Waclaw Dzida das historische Schloss, das in sozialistischer Zeit ein Kinderheim und eine Feuerwehrschule beherbergte, zu einem Schmuckkästchen umgebaut hat. Von der Terrasse geht der Blick durch den englischen Landschaftspark zum Gipfel der Sniezka, der Schneekoppe, dem mit 1602 Metern höchsten Berg im Riesengebirge. Traumhaft, wenn nur diese dicke Schneewolke im Vordergrund nicht wäre.

Ähnlich überwältigend ist die Atmosphäre in Lomnica (Lomnitz), wo die Familie von Küster das Erbe ihrer Vorfahren seit 1991 hegt und pflegt. „Das Schloss war das am meisten verfallene weit und breit, das wollte einfach niemand haben“, erinnert sich Elisabeth von Küster, die Schlossherrin. Schon damals habe kein Pole Angst gehabt, hier könnten sich deutsche Revanchisten breitmachen. Heute ist man stolz, Touristen solch ein Kleinod bieten zu können. Stück für Stück hat die Familie die Anlage restauriert. So locken nicht nur Restaurant, Hotel und Veranstaltungsräume, sondern auch der umgebaute Gutshof mit kleiner Landwirtschaft, einer eigenen Bäckerei und Geschäften Publikum aus Deutschland und Polen.

Nach dem Kulturtrip geht's wieder in die Berge. Schließlich gibt's heute blauen Himmel. Doch der trügt ein wenig. Heftige Windböen bremsen den Sessellift, der uns auf halbe Höhe Richtung Schneekoppe bringen sollte. Also starten wir unten in Karpacz (Krummhübel) mit den Schneeschuhen – und Sonnenbrille. Eindrucksvolles Bergpanorama umgibt die Wanderer schon nach wenigen Kilometern. Tiefe, steile Senken, die in der Eiszeit entstanden sind, verleihen dem Riesengebirge hier fast Hochgebirgscharakter. Am Duzy Staw (Kleiner Teich, 1195 Meter) ist er besonders ausgeprägt. Die Hütte Samotnia, die Teichbaude, könnte besser nicht liegen. Es gibt Bigos, Kuchen und – dieses Mal – ein kühles Bier. Gemütlichkeit pur. Grazyne Zalecka, die Cousine der Wirtin, ist in Szczecin (Stettin) unweit der Ostsee zu Hause. Seit 46 Jahren hilft die 64-Jährige jedes Jahr mindestens drei Monate in der Baude. „Mir gefällt es hier, im Sommer aber noch besser.“ Schließlich gebe es im Winter Tage, da liege der Schnee fast zwei Meter hoch. Und dann helfen nicht einmal mehr Schneeschuhe.

Tipps zum Trip

Information: Polnisches Fremdenverkehrsamt, Hohenzollerndamm 151, 14199 Berlin; Tel. (030) 21 00 92-0, Fax 21 00 92-14. Internet: www.polen.travel/de; E-Mail: info.de@polen.travel

Näheres zu Unterkünften in allen Kategorien: für Szklarska Poreba (Schreiberhau): www.szklarskaporeba.pl; für Karpacz (Krummhübel): www.karpacz.pl; zu den Schlössern im Hirschberger Tal: www.talderschloesser.de

Individuelle Anreise: Von Würzburg/Schweinfurt geht es auf der Autobahn via Bamberg, Bayreuth, Plauen, Chemnitz, Dresden und Görlitz bis Jedrychowice. Dort die A 4 verlassen, dann weiter über die N 30 bis Jelenia Gora. Insgesamt knapp 550 Kilometer.

Angebot: Wikinger Reisen bietet achttägige Gruppenreisen zum Schneeschuhwandern „Auf den Spuren Rübezahls“ ab 720 Euro pro Person an. Zum Programm gehören fünf geführte Wanderungen unter anderem auf die Schneekoppe. Vorkenntnisse sind nicht nötig, etwas Kondition schadet nicht. Die Ausrüstung wird gestellt. Info: www.wikinger.de

Zloty: Aktuell entsprechen 4,3 Zloty einem Euro. Das Preisniveau im Riesengebirge liegt rund ein Drittel unter dem deutschen.

Gerhart Hauptmann: Die Erinnerung an den Autor von Dramen wie „Die Weber“ und „Die Ratten“ wird in der prächtigen Villa Wiesenstein in Jagniatkow (Agnetendorf) wachgehalten, wo der Literaturnobelpreisträger (1912) von 1901 bis zu seinem Tod 1946 gelebt hat. Das Dom Gerharta Hauptmanna (Gerhard-Hauptmann-Haus) ist dienstags bis sonntags von 9 bis 16 Uhr (im Sommer bis 17 Uhr) geöffnet. Info: www.muzeum-dgh.pl/de

Glashütte Julia: 1866 erbaute Friedrich Wilhelm Heckert eine Glasraffinerie im schlesischen Petersdorf (heute: Piechowice); 1889 eröffnete er eine Glashütte. Diese wird noch heute betrieben; es ist die letzte von früher drei Glashütten im polnischen Riesengebirge. Seit 1958 heißt sie Glashütte Julia. 140 Mitarbeiter produzieren in Handarbeit hochwertige Trinkgläser, Vasen oder Glastiere. Besichtigungstouren durch die Glashütte gibt es montags bis freitags von 9.30 bis 17 Uhr, samstags und sonntags von 9.30 bis 16.15 Uhr. Info: www.hutajulia.com Text: Micz

 
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